Gesundheitsreform:Schröder erzwingt eigene Mehrheit der Koalition

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Die rot-grüne Koalition hat bei der Abstimmung im Bundestag über die Gesundheitsreform eine eigene Mehrheit erreicht und damit eine Regierungskrise abgewendet. Gerhard Schröder sagte, er sei mit dem Ergebnis "sehr zufrieden".

Von Philip Grassmann

(SZ vom 27.09.2003) — Für die Gesundheitsreform, die zuvor in parteiübergreifenden Verhandlungen mit der Union ausgearbeitet worden war, stimmten 243 SPD-Abgeordnete und 54 Grüne. Zusammen kam die Koalition mit 297 Stimmen zwar auf eine eigene Mehrheit. Sie verfehlte damit jedoch die so genannte Kanzlermehrheit von 302 Stimmen. Bei der Union gab es 220 Ja- und 3 Nein-Stimmen. Die FDP-Fraktion sowie die beiden PDS-Parlamentarierinnen lehnten das Gesetz ab.

Schröder sagte nach der Abstimmung, die Koalition habe mehr Stimmen auf die Waage gebracht als die anderen Fraktionen zusammen. "Insofern wäre das Gesetz auch ohne die Hilfe und Mitarbeit der anderen Fraktionen beschlossen worden." Dies bedeute aber nicht, dass die Koalition die Zusammenarbeit mit der Union bei der Gesundheitsreform nicht schätzen würde. Wenige Stunden zuvor hatte der Kanzler die SPD-Abgeordneten gewarnt: "Wenn wir heute die Mehrheit verfehlen, wird das auf das Ende der Koalition hinauslaufen."

Verärgerung über Abweichler

Obwohl die Koalition das selbst erklärte Ziel einer eigenen Mehrheit erreicht hat, ist die Verärgerung in der SPD-Fraktion über die sechs Abweichler groß. Fraktionschef Franz Müntefering sagte, er sei zwar zufrieden mit dem Ergebnis, nicht jedoch mit dem Verlauf der Diskussion vor der Abstimmung. Die Betreffenden müssten der Fraktion ihr Verhalten erklären.

Schließlich habe es sich bei der Abstimmung über die Gesundheitsreform nicht um eine Gewissensfrage gehandelt. Das Verhalten der sechs Abgeordneten nannte Müntefering "ein reines Spiel mit dem Feuer". Mit Blick auf die Reformvorhaben der Bundesregierung, die in den nächsten Wochen zur Abstimmung stehen, sagte er, dies dürfe sich nicht wiederholen.

Auf einer weiteren Fraktionssondersitzung nach der Abstimmung wurden die sechs SPD-Abgeordneten von ihren Kollegen scharf kritisiert. Nach Angaben von Teilnehmern wurde unter anderem gefordert, die sechs sollten ihre Fraktionsämter niederlegen.

Reform bringt erhebliche Belastungen für Versicherte

Mit der nun beschlossenen Gesundheitsreform kommen auf die Versicherten erhebliche Belastungen zu. Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen müssen künftig fünf bis zehn Euro für Medikamente auf Rezept sowie Praxis- und Krankenhausgebühren zahlen. Der Zahnersatz wird aus den Leistungen ausgegliedert und muss von 2005 an privat versichert werden.

Außerdem sollen die Arbeitnehmer von 2006 an das Krankengeld allein und ohne Arbeitgeberzuschuss versichern. Durch die Reform sollen die gesetzlichen Krankenkassen im kommenden Jahr um zehn Milliarden Euro entlastet werden, damit die Beiträge auf etwa 13,5 Prozent sinken können. Mittelfristig sollen sie bei zwölf Prozent liegen und so die Lohnnebenkosten deutlich reduzieren.

Redner von SPD, Grünen und Union verteidigten in der Debatte den Gesundheitskompromiss. Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Gudrun Schaich-Walch sagte, es sei der SPD nicht leicht gefallen, die Zuzahlungen zu erhöhen. Sie sei aber überzeugt, dass die Menschen dazu eher bereit seien, als auf Leistungen zu verzichten.

"Kleines Reparaturgesetz"

Der CSU-Abgeordnete Wolfgang Zöller sagte, an der Dringlichkeit der Reform gebe es keinen Zweifel. Sie sei ein Signal für mehr Arbeitsplätze, da die Beiträge künftig sinken würden. Die Gesundheitsexpertin der Grünen, Birgitt Bender, wies darauf hin, dass nicht nur die Versicherten, sondern auch Pharmaindustrie und Ärzte belastet würden.

Mehrere Redner von SPD und Union betonten jedoch auch, dass ihnen der Kompromiss schwer gefallen sei.

Die FDP lehnte den Gesetzentwurf dagegen ab. Fraktionschef Wolfgang Gerhardt nannte die Reform ein "kleines Reparaturgesetz", das "mehr Staat und weniger Selbstverantwortung" bedeute. Die erhofften Einnahmen durch die Reform seien unrealistisch. Deshalb werde es auch nicht zu Beitragssenkungen kommen. G

erhardt forderte einen Systemwechsel hin zu einer kapitalgedeckten Versicherung, bei der die Bürger die volle Wahlfreiheit haben müssten.

Der Bundestag verabschiedete außerdem mit den Stimmen von SPD und Grünen die Lockerung des Kündigungsschutzes und eine kürzere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes. Bei dieser Abstimmung übertraf die Koalition mit 305 Stimmen die Kanzlermehrheit.

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