Gesundheitsreform:Rot-Grün erreicht eigene Mehrheit

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Mit großer Mehrheit hat der Bundestag die Reform angenommen. 517 Abgeordnete votierten dafür, 54 dagegen. Mit 297 Ja-Stimmen von SPD und Grünen hat die Regierung eine eigene Mehrheit erreicht. Bundeskanzler Gerhard Schröder, der vor der Abstimmung mit Rücktritt gedroht hatte, erklärte, er sei "sehr zufrieden" mit dem Ergebnis.

Die rot-grüne Koalition hat bei der Verabschiedung des Gesundheitskompromisses im Bundestag nach Angaben der Grünen eine eigene Mehrheit erzielt.

Unter den 574 abgegebenen Stimmen seien 297 Ja-Stimmen von SPD und Grünen gewesen, sagte der Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck am Rande der Bundestagssitzung in Berlin.

FDP und PDS, die zusammen 49 Parlamentarier stellen, hatten ein "Nein" angekündigt. 29 der 603 Bundestagsabgeordneten nahmen nicht an der Abstimmung teil. Mit dem Kompromiss nahm eines der zentralen Reformprojekte die erste parlamentarische Hürde.

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) äußerte sich "sehr zufrieden" über die Abstimmungsergebnisse. "Bei der Gesundheitsreform hat die Koalition mehr Stimmen auf die Waage gebracht als die Opposition", sagte ein entspannt wirkender Schröder.

Der SPD-Vorsitzende sagte nach der Abstimmung vor seiner Fraktion, bei dem Votum über die Gesundheitsreform sei es um die Demonstration gegangen, dass die Koalition das Gesetz auch aus eigener Kraft hätte erabschieden können.

Schröder hatte für jedes Reformprojekt eine eigene Mehrheit der Koalition gefordert. Er soll vor der Abstimmung mit Rücktritt gedroht haben, falls die SPD ihm die Gefolgschaft verweigert. Aus Koalitionskreisen hieß es zudem, er habe auch das Ende der Koalition mit den Grünen angedroht. Drei mögliche Abweichler der Grünen waren diesen Angaben zufolge am Morgen zum Kanzler bestellt worden.

Politiker von SPD, Union und Grünen hatten die Gesundheitsreform zuvor als schwierigen, aber fairen Kompromiss verteidigt und erklärt, zu dem Reformwerk gebe es keine Alternative.

Sonst müssten die Krankenkassenbeiträge zum Jahresende von heute 14,3 auf 15 Prozent oder mehr steigen.

Die FDP, die aus dem Gesundheitskonsens ausgestiegen war, hatte die Vorlage hingegen scharf kritisiert.

Das vorliegende Gesetz sei "eine entscheidende Reform" und ein wichtiger Baustein der Agenda 2010, betonte SPD-Vizefraktionschefin Gudrun Schaich-Walch. Allerdings sei auch allen klar, dass es sich um einen Kompromiss handle, der "hart erarbeitet wurde" und in einigen Punkten schwierig sei.

Schaich-Walch nannte hier die Zusatzversicherung für Zahnersatz, die ab 2005 erforderlich wird. Auch die Leistungskürzungen wie etwa die Streichung des Sterbegelds seien nicht leicht gefallen.

Immerhin sei es gelungen, dass weiter alle Versicherten alle notwendigen Leistungen erhielten und auch am medizinischen Fortschritt teilhaben könnten, sagte Schaich-Walch. Für die erhöhten Zuzahlungen spreche, dass sie von den Menschen eher akzeptiert würden als Leistungskürzungen.

"An der Dringlichkeit dieser Reform gibt es keine Zweifel"

Ganz ähnlich argumentierten auch Wolfgang Zöller für die Unionsfraktion und Birgitt Bender für die Grünen. Für die Union wäre es bequem gewesen, den Konsens zu verweigern, sagte Zöller. Doch "an der Dringlichkeit dieser Reform gibt es keine Zweifel". Sie sei ein kurzfristiges Signal für mehr Arbeitsplätze, da die Beiträge nicht mehr weiter stiegen, sondern sänken. Auch die Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen sei ein "zentraler Schritt in die richtige Richtung", meinte Zöller.

Bender betonte, das Gesetz belaste nicht nur Versicherte, sondern auch die Leistungserbringer und die Pharmaindustrie. "Ungeschoren kommt bei dieser Reform niemand davon, und das ist richtig so", sagte die Grünen-Politikerin. Bei den Zuzahlungen gehe es auch nicht um frisches Geld für die Leistungserbringer, sondern um eine Entlastung der Beitragssätze.

FDP-Chef Wolfgang Gerhardt zog hingegen gegen die Reform mit scharfen Worten zu Felde. Es handele sich um ein "weiteres kleines Reparaturgesetz", das "mehr Staat und weniger Selbstverantwortung" schaffe und das Misstrauen gegen die Gesundheitsberufe schüre. Zudem sei das Finanztableau "noch nicht einmal auf Kante genäht". Es werde nicht zu den versprochenen Beitragssenkungen kommen.

Im Gesetz ist vorgesehen, dass der durchschnittliche Beitragssatz von 14,3 Prozent bereits 2004 auf 13,6 Prozent sinkt und in den folgenden Jahren weiter. Insgesamt sollen die Krankenkassen um gut 20 Milliarden Euro entlastet werden. Die Reform, die zum 1. Januar 2004 in Kraft treten soll, verlangt Patienten dafür erheblich höhere Zuzahlungen sowie ab 2005 die Zahn-Zusatzversicherung und ab 2006 einen Sonderbeitrag für das Krankengeld ab.

"Klarer Umbau auf eine kapitalgedeckte Versicherung"

Gerhardt forderte den Abschied von der bisherigen Krankenversicherung und den "klaren Umbau auf eine kapitalgedeckte Versicherung". Eine Bürgerversicherung wäre hingegen ein Irrweg und ein "einzigartiges Entmündigungsprogramm", meinte der FDP-Politiker. Während Bender erneut eine Entscheidung für die Bürgerversicherung forderte, betonte Schaich-Walch, dass zunächst ausführlich diskutiert werden solle. Vorher müsse die jetzige Reform umgesetzt werden.

(sueddeutsche.de/AP)

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