Geschichtsunterricht:Das große Durcheinander

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Sachsen will Geschichte wieder zum Pflichtfach in der Oberstufe machen - auch zur Prävention gegen rechtes Gedankengut. Was Schüler wissen müssen, ist ein Dauer-Streitthema.

Von Joachim Käppner

Auf die Frage "Was endete 1918?" wusste ein Schüler keine rechte Antwort. Statt "der Erste Weltkrieg" schrieb er in der Klassenarbeit lediglich: "Das Jahr 1917." Kuriose Antworten von Schülerhand füllen ganze Bücher. Historiker haben da ein wenig Bauchweh, denn aus ihrer Sicht mag ein Mensch gut im Leben klarkommen, ohne in der Schule das Wesen der Fotosynthese oder der Vektorraumaxiome durchdrungen zu haben; hat er aber keinen Schimmer, was früher geschah, wird er auch die Gegenwart kaum verstehen. Ein berühmter, auf einen jüdischen Religionsgelehrten zurückgehender Satz, der im Zusammenhang mit dem Holocaust oft vorgebracht wird, lautet: "Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung."

Genau an der Erinnerung aber, so beklagen Pädagogen, hapere es in deutschen Schulen; der Geschichtsunterricht sei unzureichend. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) will Geschichte, vor allem die des 20. Jahrhunderts, in der Oberstufe wieder zum Pflichtfach machen - zur Vorbeugung gegen den gerade in seinem Bundesland virulenten Rechtsextremismus. Der Rheinischen Post sagte er, Schüler der Oberstufe müssten "den Unterschied zwischen Freiheit und Demokratie auf der einen Seite und Totalitarismus und Diktatur auf der anderen verstehen lernen".

Die Klage, Schüler wüssten nichts von der Geschichte, gehört zur Bundesrepublik so fest wie die schwarz-rot-goldene Flagge der Republik, welche manche Pegidisten gern herumtragen, weil sie diese für die "Deutschlandfahne" halten. In Wahrheit sind es die Farben der von ihnen so wenig geschätzten Republik. Aber vielleicht hat man ihnen das in der Schule nicht erzählt. In den Achtzigern befürchteten Konservative, die Alt-68er in den roten Bildungsministerien trachteten das Nationalbewusstsein zu vergiften, indem sie Gesellschaftskunde auf den Lehrplan setzten statt die Glorie der Staufer oder ausgewählte Schlachten. Heute geht der Streit nicht mehr um das Wie, sondern mehr um das Ob. Vielerorts ist Geschichte nur Wahlfach. Bildungsbürokratismus und die Ausdünnung der Lehrpläne wegen des G 8 führten dazu, dass manche Epochen gar nicht oder nur im Zeitraffer behandelt werden. Im didaktischen Neusprech nennt sich das "Längsschnitt"-Unterricht: Man behandelt die Geschichte nicht mehr chronologisch, sondern nur noch in ausgewählten Abschnitten. Die Folge, beklagt der Philologenverband: Den Schülern fehlt die Vorstellung von Ursachen und Abläufen, in der Folge "werfen sie alles durcheinander".

Norbert Frei, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Jena, begrüßt Tillichs Vorstoß. Sogar Studierende der Geschichte brächten aus der Schule nicht selten erstaunliche zeitgeschichtliche Wissenslücken mit. Wenn Schüler am Beispiel des "Dritten Reiches" lernten, so Frei, wie eine Diktatur zustande komme und wozu sie fähig sei, "sollte sie das schon nachdenklich machen angesichts gegenwärtiger Formen von Rechtsradikalismus und Fremdenhass". Man dürfe aber nicht hoffen, "dass Geschichtsunterricht junge Menschen automatisch immunisiert - das wären falsche Erwartungen". Selbst wenn also die Frage des Ob geklärt ist - es kommt immer noch auf das Wie an.

© SZ vom 10.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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