Geopolitik:Die Balz der Stachelschweine

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Große Mächte neigen dazu, sich argwöhnisch auf Abstand zu halten. Die USA und Indien aber kommen sich derzeit immer näher. Ein wichtiger Grund dafür: Beider Rivale China tritt immer selbstbewusster auf.

Von Arne Perras

Wie mühsam es ist, den richtigen Abstand zueinander zu finden, hat Arthur Schopenhauer in seiner Parabel von den Stachelschweinen beschrieben. Unter Staaten ist das manchmal ähnlich, vor allem, wenn sich Länder im Lauf der Geschichte öfters in ihrer Einsamkeit gefielen. Die Amerikaner haben solche Phasen durchgemacht, die Inder auch. Insofern darf man staunen über die Bilder von der neuen innigen Freundschaft zwischen zwei Partnern, denen Züge von politischem Autismus nicht ganz fremd sind.

Wer die bärenartigen Umarmungen zwischen US-Präsident Barack Obama und dem indischen Premier Narendra Modi beobachtet hat, bekam nicht den Eindruck, die Annäherung schmerze besonders. Auf den ersten Blick scheint nichts mehr zu stacheln zwischen Indien und den USA, zumindest sollten die symbolischen Gesten dies signalisieren. Die Regierungschefs haben sich in zwei Jahren sieben Mal getroffen, Modi ist diese Woche zum vierten Mal seit seinem Wahlsieg 2014 in die USA gereist. Beide Länder pflegen demonstrativ die neue Nähe, nachdem sie Jahrzehnte lang skeptische Distanz gehalten haben.

Die USA und Indien kommen sich näher, weil China mächtiger wird

Für den indischen Premier ist das auch persönlich ein sehr weiter Weg gewesen. Als er noch Regierungschef des Bundesstaates Gujarat war, konnte er gar nicht in die USA reisen. Zu groß war dort die Skepsis gegenüber einem Mann, der wegen tödlicher religiöser Unruhen in seiner Heimat ins Zwielicht geraten war. Indische Gerichte haben ihm jedoch nie eine Mitschuld nachgewiesen. Und seitdem ihn ein Milliardenvolk zum Premier gemacht hat, kommt keiner mehr an Modi vorbei. Auch in den USA ist er jetzt willkommener Gast.

Der Westen sucht den Schulterschluss mit einem Land, das zwar behäbiger ist als all die dynamischen Tigerstaaten Asiens. Dafür ist Indien ein Schwergewicht, das man im 21. Jahrhundert nicht mehr ignorieren kann. Und es ist demokratisch verfasst, was es leichter macht, die Beziehungen zu vertiefen. Modi sprach nun 46 Minuten vor dem US-Kongress und pries das Verhältnis wie kein indischer Premier zuvor. Er ist dabei getrieben von einem doppelten Ziel: die Geschäfte mit dem Westen auszubauen, um Jobs in Indien zu schaffen. Das ist sein Wahlversprechen, an dem er gemessen wird. Doch ebenso wichtig ist die strategische Komponente. Der Inder möchte dem Rivalen China signalisieren, dass mit Delhi noch zu rechnen ist, dass der indische Staat einen mächtigen Partner an seiner Seite weiß, wenn es hart auf hart kommt. Denn bei allem Misstrauen der Inder gegenüber dem Erzfeind Pakistan ist es der asiatische Dualismus mit den Chinesen, der die Strategen beschäftigt.

Peking tritt sehr forsch auf, lässt Muskeln spielen im Inselstreit im Südchinesischen Meer. Die Inder haben dort zwar keine Ansprüche, sie fürchten aber China als erstarkende maritime Macht und werden nervös, weil sie glauben, mit der Modernisierung ihrer Streitkräfte zurückzuliegen. Auch das treibt sie in Washingtons Arme.

Was Modi außenpolitisch, ökonomisch und verteidigungstechnisch zu stärken scheint, könnte ihn zu Hause aber auch angreifbar machen, vor allem , wenn die Inder das Gefühl bekommen, dass ihre Eigenständigkeit durch eine Partnerschaft mit den USA beschnitten wird. Zwar redet der Premier davon, dass das "Zögern der Geschichte" vorüber sei. Gleichzeitig schallen ihm aber Rufe entgegen, Indien dürfe niemals seine Unabhängigkeit gefährden, um geostrategische Interessen anderer zu befriedigen.

Delhi glaubt als bald bevölkerungsreichstes Land der Welt an sein eigenes, wachsendes Gewicht. Insofern dürfte die Nähe zu Washington künftig auch wieder mal stacheln, gerade dann, wenn die USA ihren schwierigen Verbündeten Pakistan stützen, den Indien als Gegner belauert.

© SZ vom 10.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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