Geheimdienste:Die großen Ohren der Polizei

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Heribert Prantl

(SZ vom 07.11.2001) Terrorismusbekämpfungsgesetz bedeutet: Die Geheimdienste werden zu einer Art Polizeiorgan - sie dürfen ermitteln. Das gilt, wenn auch in unterschiedlichem Umfang, für jeden der drei deutschen Geheimdienste: für den Auslandsnachrichtendienst BND; für den Inlandsgeheimdienst, genannt Bundesamt für Verfassungsschutz; und für den Militärischen Abschirmdienst MAD. Sie alle sind künftig in den Bereichen tätig, für die originär Polizei und Staatsanwaltschaft zuständig sind. Ganz neu ist diese Entwicklung nicht. Die Tendenz zum Abbau der Trennung zwischen Polizei und Geheimdienst, die mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 begonnen hat, erhält aber jetzt einen kräftigen neuen Schub.

Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst können künftig bei allen Banken Auskünfte über Konten, Geldbewegungen und Geldanlagen anfordern - auf Anordnung des jeweiligen Geheimdienstpräsidenten oder seines Vertreters. Genau so ist es, wenn der Verfassungsschutz auf die Daten der Fluggesellschaften zugreifen will. Wenn Verfassungsschutz, Militärischer Abschirmdienst oder Bundesnachrichtendienst bei den Postdiensten oder den Telekommunikationsfirmen Daten abfragen wollen, dann läuft es so: Der Präsident oder sein Vertreter stellt einen Antrag beim zuständigen Bundesminister. Zum Beispiel auf Auskunft über "Erstens: Berechtigungskennungen, Karten-Nummern, Standortkennung sowie Rufnummern oder Kennung des anrufenden und angerufenen Anschlusses. Zweitens: Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und Uhrzeit" .

Blick in Konten und Computer

Der zuständige Bundesminister muss monatlich eine parlamentarische Kommission, die sogenannte G-10-Kommission, von den geplanten oder schon laufenden Aktionen unterrichten. Zugriffe, die die Kommission für unzulässig oder nicht notwendig hält, müssen vom Minister aufgehoben werden. Sämtliche eingeholte Daten können unter bestimmten Voraussetzungen an andere Sicherheitsbehörden weitergegeben werden. Der Blick in die Bankkonten und in die Computer der Fluggesellschaften soll nicht von dieser G-10-Kommission, sondern vom sogenannten Parlamentarischen Kontrollgremium überprüft werden, das vom Bundesinnenministerium nach maximal sechs Monaten eingeschaltet wird.

Der Betroffene jedenfalls erfährt von alledem erst einmal gar nichts, sondern vielleicht nach fünf oder sechs Jahren - dann nämlich, wenn, wie es im Bundesverfassungsschutzgesetz heißt, eine Gefährdung der Aufgabenstellung des Verfassungsschutzes "nicht mehr zu besorgen ist". Erst dann, lange Zeit danach also, kann er sich gegen die Maßnahmen vor Gericht wehren - vorher sind sie, daher der Name Geheimdienst, "geheim" und der ordentlichen juristischen Kontrolle entzogen.

Weil Geheimdienste eine heimliche Staatsgewalt sind, weil sie eine unheimliche Palette nachrichtendienstlicher Mittel (ohne richterliche Genehmigung) anwenden dürfen, war der Einsatz von Geheimdiensten bei der Kriminalitätsbekämpfung in der Bundesrepublik jahrzehntelang Tabu. Den Geheimdiensten, die von der Justiz nicht kontrolliert werden, waren diese Sonderrechte also nur zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung eingeräumt.

Das heißt: Die Tür zwischen Geheimdienst und Polizei war versperrt. Das Verbrechensbekämpfungsgesetz von 1994 öffnete sie erstmals einen Spalt. Jetzt wird die Tür noch weiter aufgestoßen. Am Beispiel des BND lässt sich diese Entwicklung anschaulich beschreiben: Ursprünglich beschränkte sich seine Aufgabe darauf, Informationen zu beschaffen, die für die außenpolitische Strategieplanung, also für die äußere Sicherheit wichtig waren. 1994 wurde er auch zuständig, wenn es um Informationen über Drogenkriminalität, Geldfälschung oder Geldwäsche geht. Zu diesem Zweck installierte das Gesetz von 1994 beim BND den so genannten elektronischen Staubsauger: Ein Aufzeichnungsgerät schaltet sich ein, sobald im internationalen Telefonverkehr ein bestimmtes Stichwort fällt. Ergeben sich Hinweise auf Straftaten, werden sie an die zuständigen Verfolgungsbehörden weitergegeben. Der BND wurde Zulieferer, das große Ohr der Polizei.

Dieses Prinzip wird jetzt ausgeweitet: Der BND darf noch mehr abhören, auch im Inland, er darf auch auf Bank-, Post- und Luftverkehrsdaten zugreifen - ohne die staatsanwaltschaftlichen oder richterlichen Genehmigungen, die ansonsten bei regulären Ermittlungen stets erforderlich sind. Die - ohne diese Voraussetzungen gewonnenen Erkenntnisse - dürfen gleichwohl anschließend polizeilich verwertet werden. Das bedeutet: Die Vorschriften des Strafverfahrensrechts können jetzt leicht umgangen werden: Was auf der Grundlage der ordentlichen Vorschriften nicht ginge, das geht jetzt unter Zuhilfenahme der außerordentlichen Regeln für die Geheimdienste - die dann ihre Erkenntnisse bei der Polizei abliefern.

Ursprünglich hatte der Bundesinnenminister dem Geheimdienst auch noch die Befugnis zum großen Lauschangriff per Wanze in Privatwohnungen geben wollen - ohne die strengen Kontrollmechanismen, die es ansonsten beim großen Lauschangriff gibt. Den Grünen ist es gelungen, dies wegzuverhandeln.

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