Gefangenenaustausch zwischen Israel und Libanon:Erfolg für den Erzfeind

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Libanesische Gefangene sind gegen die Leichname israelischer Soldaten eingetauscht worden - dieses makabere Geschäft ist ein Riesenerfolg für die Schiitenmiliz Hisbollah. Deren Anführer Scheich Nasrallah hat damit ein symbolisches Versprechen erfüllt.

Tomas Avenarius

Angetreten am Flughafen waren der Präsident, der Premierminister, der Parlamentsvorsitzende: Libanons Staatsspitze als Empfangskomitee für fünf von Israel freigelassene Untergrundkämpfer. Das Spalier der höchsten Verfassungsorgane ist eigentlich zu viel der Ehre für eine Handvoll Milizionäre.

Ein Hibollah-Kämpfer auf der Willkommenszeremonie für die freigelassenen Gefangenen. (Foto: Foto: AP)

Zumal der eine von ihnen - zumindest in den Augen der Israelis - nichts anderes ist als ein brutaler Mörder. Samir Kuntar hatte 1979 bei einem Überfall einer Guerillagruppe in Israel einen Polizisten und einen Familienvater getötet. Der Tochter des Mannes habe der Libanese, so urteilte die israelische Justiz, mit dem Gewehrkolben den Schädel eingeschlagen.

Dieser Samir Kuntar ist nun ein freier Mann. Freigelassen von Israels Regierung, auf Druck der libanesischen Hisbollah. Womit klar ist: Das makabre israelisch-libanesische Geschäft, bei dem lebende libanesische Gefangene gegen die Leichname israelischer Soldaten eingetauscht wurden, ist ein Riesenerfolg für die Schiitenmiliz. Beim Empfang auf dem Flughafen hätte neben dem Trio aus Präsident, Premier und Parlamentssprecher ein weiterer Mann stehen müssen: Hisbollah-Chef Sayed Hassan Nasrallah. Der zeigte sich kurze Zeit später noch mit den Gefangenen - und demonstrierte sein neues Selbstbewusstsein.

Nasrallah lebt seit 2006 im Untergrund. Bisher verzichtete er auf öffentliche Auftritte, weil er ein Attentat der Israelis fürchtet. Doch der Schiitenführer bestimmt die Geschicke des Libanon. Der Gefangenenaustausch zeigt, wer wirklich Macht hat im Libanon, wer den israelischen Erzfeind zu Zugeständnissen zwingen kann: Es ist die Hisbollah, es ist Nasrallah. Das steigert das Ansehen der Schiitenmiliz - im Libanon, in der arabischen, in der islamischen Welt.

Nasrallah hatte über Jahre hinweg erklärt, dass er alle libanesischen Gefangenen aus den israelischen Gefängnissen nach Hause holen werde. Er hat sein Wort gehalten: Selbst Samir Kuntar, für Israel der personifizierte arabische Terrorist, kam nun frei. Zusammen mit Kuntar, der selbst kein Hisbollah-Mann ist, verließen auch vier Kämpfer der Schiiten-Miliz ihre Zellen: Kein einziger Libanese sitzt nun mehr in einer israelischen Zelle.

Scheich Nasrallah sorgt also für seine Landsleute. Selbst die sterblichen Überreste von 199 gefallenen libanesischen, palästinensischen und anderen arabischen Untergrundkämpfern wurden übergeben - die Hisbollah vertritt damit fast schon offiziell die Anliegen der Libanesen, der Palästinenser, der arabischen Welt.

Das wird das Image der Hisbollah noch weiter heben. Da die Kämpfer, die in Israel einsaßen, Volkshelden sind, musste die Beiruter Staatsführung dem Chef der Schiiten-Miliz bereits Dankbarkeit erweisen: Sie hat den Tag des Häftlingsaustausches zu einem Feiertag erklärt.

Die Hisbollah hat als "Widerstandsorganisation" gegen Israel jahrelang auf die Sympathie aller Libanesen setzen können. Hinter ihr stand nie nur ihre schiitische Klientel. Sie hatte die israelische Armee mit ihrem Guerillakrieg zum Abzug aus dem Südlibanon gezwungen. Selbst der Sommerkrieg von 2006, der das Land schwer traf, hat an diesem Heldenstatus nichts geändert.

Kratzer bekommen hat das Image der hochgerüsteten Miliz erst, als sie im Mai dieses Jahres ihre Waffen gegen Libanesen richtete. Nasrallah hatte dies aus innenpolitischen Gründen befohlen, er wollte seine Macht gegenüber der Regierung demonstrieren. Für diesen Handstreich hat er bezahlt: Der Mythos nahm Schaden.

Der Erfolg kommt für Nasrallah deshalb nun im rechten Moment. Der Gefangenenaustausch gibt der Hisbollah ein Stück von ihrem verlorenen Glanz zurück: Nasrallah und seine Miliz erreichten bei den Israelis all das, was die libanesische Regierung nie hätte bewirken können. Israel kann dies kaum recht sein: Die Hisbollah ist nicht nur ein gefährlicher und schwer berechenbarer Feind an der libanesisch-israelischen Grenze. Sie ist zudem Bundesgenosse Irans, einem weiteren Erzfeind Israels.

Sinn macht der spektakuläre Häftlingstausch für Israel daher nur, wenn sich hinter den Kulissen wirklich etwas im größeren Rahmen bewegt, im Nahost-Konflikt. Wenn Israels Friedens-Vorgespräche mit Syrien Erfolg versprechen, wenn Iran deshalb ernsthaft um seinen Bundesgenossen in Damaskus fürchten muss. Und wenn die Hisbollah dieser Entwicklung positiv gegenübersteht. Dann wäre das makabre Hin und Her von Särgen und Häftlingen ein Indiz dafür, dass sich die Verhältnisse insgesamt ändern.

Das alles aber ist nicht garantiert: Die Hisbollah hat engste religiöse, ideologische und personelle Verbindungen mit der politischen Führung in Teheran, sie war stets auch ein Instrument Syriens in seinem Kampf gegen Israel. Erst in den kommenden Wochen und Monaten wird sich zeigen, ob der Handel mit Häftlingen ein wertvoller politischer Schritt auf dem Weg hin zu einem Ausgleich mit einer militanten Kraft wie der Hisbollah war - oder ob Israels Zustimmung zu der Aktion voreilig und vor allem innenpolitisch motiviert war. Fürs Erste hat Israels Regierung die Hisbollah und ihren Führer gestärkt. Und das zu einem Zeitpunkt, zu dem Nasrallahs Miliz erstmals Imageprobleme hatte.

© SZ vom 17.7.2008/vw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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