Gefängnisse:Tür auf, Licht an und zur Sicherheit noch eine Fessel

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Vor genau einem Jahr erhängte sich der Terrorverdächtige Dschaber al-Bakr in seiner Leipziger Zelle. Seither sind die Vorsichtsmaßnahmen in Gefängnissen drastisch verschärft worden.

Von Ronen Steinke, Berlin

Wenige Minuten genügten. Der Syrer, der am 10. Oktober 2016 in Leipzig in Untersuchungshaft kam, war nur kurz unbeobachtet in seiner Zelle. Drei Tage lang war er der meistgesuchte Mann Europas gewesen, in Chemnitz hatte er hochgefährlichen Sprengstoff zusammengemischt, die Behörden vermuteten einen islamistischen Anschlagsplan auf den Flughafen Berlin-Tegel. In seiner Zelle dann bekam Dschaber al-Bakr, 22, alle dreißig Minuten einen Kontrollbesuch. Eine Videoüberwachung wie in Frankreich bei dem Paris-Attentäter Salah Abdesalam gab es nicht. Al-Bakr konnte sich erhängen. Viele Fragen blieben offen damals, auch an die politisch Verantwortlichen.

Kein seltener Fall: Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung hat es seit 2015, dem Jahr der Flüchtlingskrise, einen starken Anstieg der Suizide hinter Gittern gegeben, in deutschen Haftanstalten brachten sich demnach so viele Menschen um wie seit zwanzig Jahren nicht (siehe Grafik). Kein anderes Thema wird in der Bundesvereinigung der Anstaltsleiter, geführt just vom Leiter des Leipziger Gefängnisses, in dem sich al-Bakr erhängte, derzeit dringlicher diskutiert.

In Baden-Württemberg rücken gerade die Handwerker an. Erste Spezial-Hafträume werden mit Videokameras ausgestattet. Die Eile ist in diesem Bundesland besonders groß, weil in Karlsruhe der Bundesgerichtshof sitzt. Das heißt, Terrorverdächtige, die mit Hubschraubern eingeflogen und von vermummten Polizisten vor Haftrichter geführt werden, verbringen anschließend ihre Nacht hier. Selbst wenn sie danach weiterverlegt werden: Die ersten Nächte sind die heikelsten, zeigt die Statistik, da kommt es am häufigsten zu Kurzschlüssen, gerade bei jungen Inhaftierten.

Lange dachte man, dass Islamisten sich aus religiösen Gründen nicht das Leben nähmen

Inzwischen gibt es in einigen Bundesländern Anordnungen, wonach alle Terrorverdächtigen vorsichtshalber in einen "besonders gesicherten Haftraum" eingewiesen werden sollen, also eine kahle Zelle mit Matratze und in den Boden eingelassenem Klo - so lange, bis ein Gefängnispsychologe Entwarnung gegeben und die Suizidgefahr verneint hat. Im Zweifel für radikale Vorsicht: Diese Linie haben etwa Hessen und Sachsen ausgegeben, zumal bei fremdsprachigen Gefangenen in den ersten Stunden, in denen man für sie noch keinen Dolmetscher herbeiholen kann.

Al-Bakrs vermeintlicher Komplize Khalil A., ein weiterer Syrer, der dem Terrorverdächtigen die Wohnung zur Verfügung gestellt hatte, wurde seinerzeit von Dresden aus zum Bundesgerichtshof geflogen. Aus dem Justizministerium in Stuttgart kam eine Anweisung an die Justizvollzugsanstalt Karlsruhe: Der Gefangene wurde mit einer Hand an sein Bett gefesselt, neben dem Bett saß ein Beamter, und in der offenen Tür saß ein zweiter Beamter. Die Tür blieb auf, gedimmtes Licht blieb an. Die ganze Nacht lang. So groß war die Sorge der Verantwortlichen vor einem weiteren Suizid.

Bei Islamisten nahm man lange an, dass sie sich aus religiöser Überzeugung nicht das Leben nähmen. Heute bilden sie einen besonderen Fokus der ehemaligen Celler Anstaltsleiterin Katharina Bennefeld-Kersten, die zu Suizidprävention forscht. "Der Weg in den Tod hat für diese Gefangenen noch einen politischen Sinn, indem man damit dem Staat schadet", sagt sie. Die Verfolgten entzögen sich ihren staatlichen Verfolgern. Sie nähmen diesen die Chance, an ihr Insiderwissen zu gelangen.

Die ständige Präsenz von Beamten könnte das Suizidrisiko auch verstärken

Es ist stets ein Gratwanderung zwischen dem Schutz des Gefangenen vor sich selbst und dem Respekt vor seiner Autonomie, vor seiner Menschenwürde. Ein Suizid verstößt gegen kein Gesetz. Ein Mensch kann das mit sich selbst ausmachen, mit welchem Recht also - so fragen sich die Anstaltsleiter, wenn sie derzeit untereinander diskutieren - packt der Staat den Knüppel aus, um einen Suizid zu verhindern?

Der Ex-Manager Thomas Middelhoff, inhaftiert wegen Untreue, hat angeprangert, dass er in Essen nachts alle 15 Minuten geweckt worden sei, mit Licht und Körperkontakt, weil man ihn als suizidgefährdet ansah. Die Grünen-Politikerin Renate Künast sah darin "eindeutig eine Verletzung der Menschenrechte", das Justizministerium des damals rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen wies Middelhoffs Darstellung zwar als grob übertrieben zurück. Es betonte aber, dass viertelstündliche Kontrollen - ohne Aufwecken - durchaus üblich seien und "dass landesweit täglich über 100 Gefangene auf diese Weise überwacht werden".

Die Expertenkommission unter der Leitung des ehemaligen Verfassungsrichters Herbert Landau, die über den Fall al-Bakr einen vertraulichen Untersuchungsbericht verfasste, gab zu bedenken: "Die ständige Präsenz von Bediensteten über eine längere Zeit und das Hineinleuchten in oder Dauerbeleuchten des Haftraumes während der Nachtzeit kann ein Suizidrisiko verstärken und damit gerade auslösen, was verhindert werden soll."

Und ein Gefängnisleiter, der Erfahrung mit Terrorverdächtigen hat, fügt hinzu: Wenn ein Häftling nur drei oder vier Tage lang unter besonderer Beobachtung stehe, könne man das vielleicht noch durchhalten. "Das Problem ist, wie kommt man raus aus der Nummer? Irgendwann wird er vielleicht verurteilt, dann reden wir von acht oder zehn Jahren." Die Anzahl der Islamisten in Haftanstalten steigt derzeit rasch an, die Geduld der Sicherheitsbehörden gegenüber "Gefährdern" hat abgenommen. Soll man die alle rund um die Uhr beobachten?, fragt der Praktiker. "Solche Maßnahmen über Jahre aufrecht zu erhalten, wäre undenkbar."

© SZ vom 09.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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