Gefängnis Plötzensee:Freiberufliche Fräser

Vier Häftlinge und das passende Werkzeug - in Berlin bricht's sich zu leicht aus.

Von Heribert Prantl

Neun Gefangene entweichen binnen kurzer Zeit aus der Haft - da stimmt etwas nicht. Und in der Tat: Es stimmt etwas nicht in der Berliner Haftanstalt Plötzensee. Wenn sich aus der Werkstatt des geschlossenen Vollzugs vier Häftlinge herausfräsen können,diese Flucht von den Videokameras der Anstalt gefilmt wird, aber niemand eingreift, weil hinter den Monitoren niemand sitzt - dann liegt es nicht fern, von einer Aufsichtspflichtverletzung zu reden.

Diese Pflichtverletzung wiegt umso schwerer, wenn in der Werkstatt mit Werkzeug hantiert wird, das auch als Ausbruchswerkzeug geeignet ist. Der Anstaltsleiter und der Justizsenator müssen sich also erklären. Der eine trägt die unmittelbare, der andere die politische Verantwortung. Letzterer wird man nicht schon dadurch gerecht, dass man die Schuld auf den Amtsvorgänger schiebt.

Fünf Häftlinge sind aus dem offenen Vollzug entwichen. Das gehört zu den Risiken des offenen Vollzugs, die man im Resozialisierungs-Interesse in Kauf nehmen muss. Skandalöser als das Entweichen war in den konkreten Fällen die Inhaftierung als solche: Es handelt sich um die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen. Da werden Leute in Haft genommen, die ihre Geldstrafe nicht bezahlen konnten. Die wird dann per Haft vollstreckt. Das ist schädlich und primitiv. Das trifft Leute in schlechten Verhältnissen unverhältnismäßig. Der Gesetzgeber muss einen anderen Ersatz für Geldstrafen finden als das Einsperren.

© SZ vom 04.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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