Gedenken in Polen:Dasein oder Nicht-Dasein

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Auch in Polen spiegelt sich bei den Gedenkveranstaltungen die aktuelle politische Lage Osteuropas - bei der Gästeliste und den Themen.

Von Florian Hassel, Danzig

Es war eine beachtliche Runde, die Polens Staatsoberhaupt Bronisław Komorowski zum 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Danzig zusammenbrachte. Rumäniens und Bulgariens Präsidenten waren gekommen, die Staatschefs Tschechiens und Kroatiens, Vertreter der drei baltischen Länder, der ukrainische Präsident Petro Poroschenko, Donald Tusk, Vorsitzender des EU-Rates, und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon.

Die Schlüsse, die viele Staatschefs in Danzig aus dem Vermächtnis des Krieges zogen, reichten oft in die Gegenwart: zu einem neuerlich aggressiven Russland, das mit der Annexion der Krim und dem Konflikt in der Ostukraine "alle Prinzipien, die Europas Nachkriegsordnung bestimmten, über Bord geworfen hat", so Estlands Präsident Toomas Ilves: "Die Frage ist, wie wir in Europa weiter vorgehen. Geht die Aggression weiter, haben wir zu wenig getan." Bulgariens Präsident Rosen Plewlenijew stimmte zu, Europa müsse mehr gegen ein Russland tun, das "instabile, abhängige" Staaten zu Nachbarn wolle und "jedes Mittel nutzt, um die EU zu schwächen". Petro Poroschenko appellierte erneut, die Ukraine nicht allein zu lassen.

Nach Danzig reisen und dabei den Kreml im Blick behalten

Polen hatte bestritten, dass das Treffen von Danzig eine Gegenveranstaltung zur Moskauer Siegesfeier am 9. Mai werden solle. Das sahen viele Eingeladene indes anders. Zwar wollte kein Präsident oder Regierungschef der großen EU-Länder nach Moskau. Doch ebenso wenig wollten sie den Kreml mit einer Fahrt nach Danzig vor den Kopf stoßen. England oder Italien waren gar nicht vertreten, Deutschland nur durch Ex-Bundespräsident Horst Köhler. Frankreichs Präsident François Hollande, auf den Warschau gehofft hatte, ließ sich von Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian vertreten. Der erinnerte in Hollandes Auftrag daran, dass Russlands Verstöße gegen internationales Recht in der Ukraine "seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ohne Beispiel und unakzeptabel sind".

Neben aktueller Politik war in Danzig nicht nur die Befreiung vom NS-Regime durch die Rote Armee Thema - allein in Polen starben mehr als eine halbe Million sowjetische Soldaten. Ebenso ging es um die folgende Unfreiheit unter Moskauer Oberherrschaft. "Obwohl polnische Soldaten fünf Jahre für die Freiheit gekämpft haben, mussten wir dann in Unfreiheit leben - weil wir auf der falschen Seite des Eisernen Vorhanges waren", sagte Komorowski. Polens Präsident empfing die Gäste im Europäischen Solidarność-Zentrum, Symbol des Protests der Werftarbeiter von 1980 und des Anfangs vom Ende des Moskauer Imperiums. Die Präsidenten besuchten eine Ausstellung zur Solidarność-Geschichte und ein Denkmal, das daran erinnert, dass Werftarbeiter schon im Dezember 1970 Proteste wagten, die vom kommunistischen Regime zusammengeschossen wurden, 44 Arbeiter verloren ihr Leben.

Für die Hauptzeremonie lud der Präsident auf die Westerplatte: Dort nahm das deutsche Schlachtschiff Schleswig- Holstein am 1. September 1939 gut 180 Soldaten der polnischen Armee unter Feuer - die ersten Schüsse des Zweiten Weltkriegs. Dass Komorowski und seine Präsidentenkollegen ausgerechnet um Mitternacht auf der Westerplatte einem Konzert lauschten, Kränze niederlegten und bei Feuerwerk des Sieges über das "Imperium des Bösen" (Komorowski) gedachten, lag wohl daran, dass die Staatsoberhäupter am 8. Mai zu Gedenkveranstaltungen in ihren Heimatländern wollten. Komorowski leitete am Freitagabend eine rein polnische Gedenkveranstaltung in Warschau.

Am Morgen bestieg Polens Präsident das US-Kriegsschiff Jason Dunham im Hafen Gdynia. Der Besuch solle "Amerikas Engagement für Polens Sicherheit und die Pflichten nach Artikel 5 des Nato-Vertrages" - die Beistandspflicht im Kriegsfall - bekräftigen, so die US-Botschaft. Komorowski dankte für das "wichtige Zeichen der Solidarität" angesichts der "schwierigen Lage östlich unserer Grenzen" und dem "geringeren Gefühl von Sicherheit in der Region".

© SZ vom 09.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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