Gedenken an Terror in Madrid:"Justiz bis zur letzten Konsequenz"

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Fast jeder in Spanien kennt ihr trauriges Gesicht: Pilar Manjon, zuvor eine unbekannte Beamtin, ist eine öffentliche Figur geworden, seit sie bei den Terroranschlägen von Madrid vor genau einem Jahr einen Sohn verlor. Nun fordert sie unerbittlich Aufklärung.

Von Peter Burghardt

Genau ein Jahr liegen die Terroranschläge auf die Madrider Vorortzüge zurück, und zehrend sind diese Tage besonders für eine schmale Frau. Pilar Manjon gibt Interviews, nimmt Preise entgegen, sucht die Betreuung von Psychologen. Zwanzig Kilo Gewicht hat die Präsidentin der Vereinigung der Opfer vom 11.März 2004 in diesem schlimmsten ihrer 46 Lebensjahre verloren, aufgegeben hat sie fürs erste ihren Funktionärsjob beim Raumfahrtinstitut.

Pilar Manjon verlor bei den Anschlägen von Madrid ihren Sohn. (Foto: Foto: Reuters)

Fast jeder in Spanien kennt inzwischen ihr trauriges Gesicht, durch das sich tiefe Furchen der Verzweiflung ziehen. Pilar Manjon, zuvor eine unbekannte, geschiedene Beamtin mit zwei Kindern, ist eine öffentliche Figur geworden, obwohl sie das niemals wollte. Getrieben wird sie vom Tod ihres ersten Sohnes.

Daniel Paz Manjon, damals 20 und Sportstudent, nahm an jenem Morgen wie üblich gegen halb acht die S-Bahn an der Station Vallecas und machte sich auf den Weg zur Hochschule. Drei Minuten später explodierte eine der Bomben islamistischer Extremisten. Er war sofort tot, insgesamt starben 191 Menschen, mehr als 1500 wurden zum Teil schwer verletzt.

Mit Megaphonen aufgerufen

Der graublaue Chronometer an Daniels linkem Handgelenk blieb heil; seitdem trägt seine Mutter die Uhr. Sie ist ein Erinnerungsstück und vielleicht auch ein Symbol für diesen Kampf gegen das Vergessen und für Aufklärung, den Pilar Manjon mit beeindruckender Kraft führt.

Ihren bedeutendsten Auftritt hatte die Landwirtschaftsingenieurin aus der Extremadura Mitte Dezember im Parlament. Vor dem Untersuchungsausschuss zum 11. März trug sie mit zitternder Stimme und Tränen in den Augen den Inhalt von 40 Seiten vor, die die Opfervereinigung verfasst hatte, das Fernsehen übertrug live.

Die Rednerin forderte "Wahrheit, Wiedergutmachung und Gerechtigkeit". Den Politikern warf sie vor, die Toten "als Wurfgeschosse" für Parteischlachten zu verwenden. Sie beschrieb, wie die entsetzten Angehörigen im improvisierten Leichenschauhaus mit Megaphonen aufgerufen wurden, wie sie später von Schalter zu Schalter liefen und jedes Mal den Totenschein vorlegen mussten.

Jahrestag in Stille und Würde

Sie traf den Ton dabei so genau, dass Beobachter nachher feststellten, dies sei eine der besten Parlamentsreden der vergangenen Jahre gewesen. Wo sonst hauptsächlich gestritten wird, herrschte während der Anklage Stille. Einige Mandatsträger entschuldigten sich anschließend öffentlich bei ihr, andere sahen beschämt weg.

Seitdem ist Pilar Manjon eine Autorität. Sie attackiert alle politischen Lager, obwohl rechtskonservative Kreise die Gewerkschafterin als sozialistenfreundlich abstempeln. Zum Jahrestag will sie "für niemanden Fotogelegenheit sein" und bittet um "Stille, Würde, Respekt". Danach solle eine unabhängige Kommission die genauen Ursachen des Massakers aufklären.

Die mangelnde Vorsorge der rechtskonservativen Vorgängerregierung Aznar trotz der Bedrohung durch Fanatiker und Sprengstoffschmuggler wird immer offensichtlicher. Pilar Manjon sagt, man verlange "Justiz bis zur letzten Konsequenz". So lange wird sie nicht ruhen, das ist sie ihrem toten Sohn Daniel schuldig.

© Süddeutsche Zeitung vom 11.3.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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