Gaza-Streifen:Renitente Siedler vergleichen Räumung mit Holocaust

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Zwei Wochen vor dem Abzug Israels aus dem Gaza-Streifen nimmt die Spannung in der Region zu. Die Räumung von 21 jüdischen Siedlungen im Gaza-Streifen und vier weiteren im Westjordanland stellt das Land schon vor dem so genannten D(isengagement)-Day vor riesige Probleme.

Von Thorsten Schmitz

Schuld daran sind renitente Siedler und deren Kinder. Einige wollen sich KZ-Uniformen anziehen, weil der Rückzug ihrer Meinung nach dem Holocaust gleichkomme. Selbst vor Todesdrohungen schrecken die Extremisten nicht zurück. 20 Ultra-Orthodoxe, darunter Rabbiner, riefen die "Engel der Zerstörung" zur Tötung von Premier Ariel Scharon auf.

Das Ritual wurde in aramäischer Sprache abgehalten und im Fernsehen ausgestrahlt. Inzwischen ermittelt die Polizei, weil der Fernsehsender für das Videoband 5000 Dollar gezahlt haben soll. Kurz bevor 1995 Premierminister Itzchak Rabin von einem jüdischen Fanatiker ermordet worden war, war ebenfalls eine so genannte Pulsa Dinura ausgesprochen worden.

Von diesem Montagabend an wollten sich wieder mehrere tausend Siedler zu einer Großkundgebung versammeln, diesmal in der immer wieder von Raketen heimgesuchten Stadt Sderot. Von dort aus wollen die Protestierer zum Siedlungsblock Gusch Katif im Süden des gaza-Gebietes marschieren. Obwohl dieser für Nicht-Bewohner gesperrt ist, ist es in den letzten Tagen 2000 Siedlern gelungen, dorthin vorzudringen. Die Armee muss jetzt also nicht nur 8000 Menschen aus dem Gaza-Streifen notfalls mit Gewalt wegtragen, sondern 10.000.

Während ein Großaufgebot von 20.000 Polizisten und Soldaten Siedler vom Eindringen in den Gaza-Streifen abhalten soll, sprühen diese auf Schaufenster in Tel Aviv: "Dieser Laden könnte ausgeraubt werden, während die Polizei Juden aus ihren Häusern vertreibt."

Medienwirksame Proteste

Die Präsenz der Polizei im Süden wollen die Räumungsgegner für Straßenblockaden am Mittwoch im Norden nutzen. Trotz der medienwirksamen Proteste bleibt es beim Abzugstermin 15. August. An diesem Tag werden Soldaten freundlich an die Türen klopfen und den Bewohnern eine letzte Frist von 48 Stunden lassen. Ab dem 17. August werden ausnahmslos alle Siedler und deren Sympathisanten weggetragen - und notfalls sogar in Käfige gesperrt, die an Kränen hängen.

Die Methode war bereits bei der Räumung der Sinai-Halbinsel 1982 angewandt worden. Außerdem soll mit einer "Heulkanone" der Siedler-Widerstand gebrochen werden. Dabei handelt es sich um eine Anlage, die hochfrequente, für das Innenohr schmerzhafte Schallwellen ausstrahlt. In einem Gebäude, das in der Rekordzeit von nur zwei Monaten neben einem Gefängnis bei Tel Aviv errichtet wurde, soll ein Sondergericht mit militanten Gegnern kurzen Prozess machen.

Abzug mindert Arbeitslosigkeit

Weniger Schlagzeilen machen jene Siedler, die sich dem Regierungsbeschluss beugen und in diesen Tagen ihre neuen provisorischen Behausungen nördlich des Gaza-Streifens beziehen, so genannte Caravillas. In Nitzan nahe Aschkelon stehen mehr als 300 der vergleichsweise luxuriösen vorgefertigten Vierzimmerhäuser bereit.

Auf der anderen Seite des Gaza-Zauns hat der Abzug bereits die Arbeitslosigkeit mindern geholfen: In Tag- und Nachtschichten werden in einer Stofffabrik in Gaza-Stadt grün-weiß-rotschwarze Palästina-Fahnen zusammengenäht, die dann über den geräumten Siedlerhäusern gehisst werden sollen. Allein die Autonomiebehörde, die ihre Parlamentswahlen nun im Januar abhalten lassen möchte, hat 60.000 Fahnen geordert - und so wahlkampfwirksam mehreren Dutzend Palästinensern Zeitarbeitsjobs verschafft.

© SZ vom 2.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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