Gastbeitrag:Ans Tageslicht

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Deutsche Polizisten sollten sich endlich einer effektiven Kontrolle stellen und über Fehler reden.

Von Joachim Kersten

Woran lässt sich aus Sicht der Polizeiforschung ermessen, ob ein Land eine demokratische und zivilisierte Polizei hat? Eine drastische Messlatte ist die Zahl der durch Polizeischüsse getöteten Bürger. In den USA hat sie in diesem Jahr bereits vor der Jahreshälfte die 600 überschritten. Bei uns waren es seit 1995 (also in einem Zeitraum von 20 Jahren) insgesamt 150, das heißt etwa sieben Todesopfer pro Jahr. Deutsche Polizisten leisten ihre harte, nicht selten gefährliche Arbeit insgesamt mit bemerkenswert großer Umsicht. Doch hohe Standards schützen nicht vor Problemen und Skandalen, die eine ansonsten ansehnliche Achtung der Durchschnittsdeutschen vor den Ordnungshütern trüben.

Gegenwärtig beschäftigen Missbrauchsvorwürfe in einer Wache der Bundespolizei in Hannover die Staatsanwaltschaft. Als Folge wurde eine interne Beschwerdestelle bei der Bundespolizei eingerichtet - ein Novum. Diese Stelle soll Beamten dazu dienen, Vorfälle zu melden, ohne sich an ihren eigenen Vorgesetzten wenden zu müssen, der eine solche "Denunziation" abstrafen könnte. In Bayern haben die skandalösen Übergriffe des Ex-Polizeichefs von Rosenheim und im Polizeigewahrsam der Münchner Au Rufe nach einer neuen Fehlerkultur lauter werden lassen.

Bei den meisten Beschwerden geht es um die magische Wirkung der Währung Respekt

Tatsächlich gibt es gewichtige Argumente dafür, es nicht bei einer nur internen Beschwerdestelle zu belassen. Eine umfassendere Form der Beaufsichtigung durch außenstehende Instanzen wäre nicht nur viel glaubwürdiger, sie würde der Polizei auch neue Ermittlungsressourcen erschließen. Unabhängige Polizei-Beschwerdestellen - die nur dem Parlament gegenüber verantwortlich sind - haben sich in anderen Ländern als sensible Antennen für Meldungen über polizeiliches Fehlverhalten erwiesen. Insbesondere Menschen aus Minderheiten brauchen solche Anlaufstellen. Deren Stadtviertel sind wichtige Partner und Informationszentren für die Polizei, gerade angesichts momentaner Terrorgefahren. Ein verbessertes Vertrauen zahlte sich da rasch aus. Nur selten geht es bei Beschwerden von Minderheitsangehörigen übrigens um gravierende Fälle von Amtsmissbrauch. Häufiger geht es um die Art, wie Polizisten auftreten, um den Sprachgebrauch der Beamten, um die magische Wirkung der Währung Respekt.

Stehen ernstere Vorwürfe im Raum, so braucht es eine externe Beschwerdeinstanz aber erst recht: Erst sie ermöglicht es, dass Bürger polizeiliche Übergriffe anzeigen können, ohne sich gleich der Gefahr einer Gegenanzeige auszusetzen. Diese Gefahr existiert: Die kriminologische Forschung weist seit Langem auf ein krasses Missverhältnis zwischen den rechtlichen Folgen der Anzeigen von Bürgern gegen Polizisten und den Auswirkungen von Anzeigen von Polizisten gegen Bürger wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt hin. Anzeigen wegen Widerstands führen oft zu empfindlichen Strafen - Anzeigen wegen Amtsmissbrauchs verlaufen fast immer im Sande. Denn im Gerichtssaal können sich die Beamten aufeinander verlassen; der Bürger, der sich beschwert hat, steht vor einer Mauer des Schweigens. Natürlich könnten auch Polizisten die neuen, externen Beschwerdeinstanzen nutzen, wenn sie Dinge nicht länger dulden wollen, ohne über kurz oder lang als "Kameradenschweine" weggemobbt zu werden.

Die Polizei in Europa genießt unterschiedlich hohes Vertrauen der Bevölkerung. Das zeigen Studien deutlich. Das Vertrauen ist dort am höchsten, wo weniger Geld für Sicherheitstechnik und Bewaffnung und mehr für soziale Unterstützung der benachteiligten Bevölkerungsgruppen ausgegeben wird. Die deutsche Polizei liegt auf der Vertrauensskala weiter oben, hinter den Skandinaviern. Damit das so bleibt, muss sie sich aber endlich einer Aufsicht von außen stellen. Die interne Beschwerdestelle der Bundespolizei darf als erster, wenn auch winziger Schritt dahin gelten. Dem muss allerdings eine polizeiinterne und politische Diskussion über die Schaffung wirklich unabhängiger Polizeibeauftragter oder -ombudsleute folgen.

Der Kriminologe Joachim Kersten , 67, lehrt an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster.

© SZ vom 20.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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