G-8-Gipfel:Bitte helft uns nicht!

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Der Schuldenerlass ist ein Blankoscheck für Diktatoren und er entmündigt Afrika, sagt der ugandische Journalist Andrew Mwenda.

Interview: Alex Rühle

In Gleneagles verhandeln die G8-Staaten über einen Schuldenerlass für die ärmsten Länder der Welt, die Verdoppelung der Entwicklungshilfe und eine Verbesserung der Handelsbedingungen für die Dritte Welt. Einige Afrikaner halten diese Initiative für eine Katastrophe. Ein Interview mit Andrew Mwenda, 32, der für die Weltbank gearbeitet hat und als Redakteur der ugandischen Tageszeitung Monitor die Entwicklungshilfepolitik seit langem scharf kritisiert.

Andrew Mwenda (Foto: Foto: privat)

SZ: Mister Mwenda, Was haben Sie am Samstag Abend gemacht? Andrew Mwenda: Ich habe mir zu Hause auf CNN das Live-8-Konzert angeschaut. Robbie Williams war großartig. Aber in Sachen Afrikahilfe war das Ganze erwartungsgemäß eine Katastrophe.

SZ: 1985, beim ersten Live-Aid-Konzert schrieben die europäischen Medien, die Hungerkatastrophe habe "biblische" Ausmaße, was ja bedeutet, dass das Schicksal, die Trockenheit und der liebe Gott daran schuld waren, aber nicht die Politik. Haben Sie den Eindruck, dass die Medien seither dazugelernt haben? Mwenda: Nein. Unser Problem ist angeblich immer noch eine permanente Hungerkatastrophe. Bob Geldof zeigte ja diesmal einen Film von 1985 über die damalige Dürre in Äthiopien und sagte dazu, der Hunger sei seither um keinen Deut besser geworden. Dann betonte er, dass die "G8-Führer es in der Hand haben, die Geschichte zu ändern". Die afrikanischen Politiker haben anscheinend nichts mit Afrika zu tun.

SZ: Tony Blair wird auf dem G8-Gipfel wahrscheinlich verkünden, dass den ärmsten afrikanischen Ländern die Schulden gestrichen werden. Mwenda: Blair begeht einen der größten Fehler seines Lebens. Er gibt den afrikanischen Diktatoren einen Blankoscheck. Die können jetzt ausleihen, wie sie lustig sind, und das Geld verprassen, und am Ende wird ihnen dann vergeben wie einem Schwererziehbaren.

SZ: Wenn Sie eingeladen wären zum G8-Treffen, was würden Sie Blair und seinen Kollegen raten? Mwenda: Stellt alle finanzielle Hilfe ein. Sorgt dafür, dass alle Länder ihre Schulden auf Heller und Pfennig zahlen. Und ignoriert Afrika. Alle Hilfe verschleiert nur die Inkompetenz unserer Despoten.

SZ: Würde Afrika ohne eine Art Marshallplan nicht erst recht kollabieren? Mwenda: Marshallplan! Wenn ich das schon höre. Der Marshallplan machte seinerzeit zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes von Deutschland aus. Die Länder südlich der Sahara erhalten im Durchschnitt 13 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts. Das ist der größte Geldtransfer in der Geschichte. Unser Staatshaushalt wird zu 50 Prozent vom Ausland finanziert.

SZ: Wenn man diesen Hypermarshallplan also aussetzte, würde dann nicht alles kollabieren? Mwenda: Einige Länder würden kollabieren oder im Bürgerkrieg versinken aber einige würden am Ende mit kompetenten Regierungen dastehen. Mit eurer Hilfe wird Afrika nie aus dem Morast herauskommen.

SZ: Sie sprechen von "den" afrikanischen Ländern. Gibt es Länder, die Ihrer Meinung nach vernünftig wirtschaften? Mwenda: Botswana und Mauritius haushalten sehr maßvoll. Wenn sie Schulden machen, zahlen sie sie sofort zurück.

SZ: Was ist mit Uganda? Die Weltbank bejubelt Ihr Heimatland doch als "Erfolgsstory Afrikas"? Mwenda: 2000 hatte Uganda drei Milliarden Dollar Schulden. Zwei Milliarden wurden uns damals erlassen. Uganda hat zur Feier des Tages gleich mal ordentlich Geld geliehen und einen Präsidentenjet gekauft. Und 200 Millionen wurden an die politische Patronage verteilt, wir haben schließlich 68 Minister und 73 Präsidentenberater. Heute hat Uganda fünf Milliarden Schulden.

SZ: Aber Uganda hat doch eine halbwegs florierende Wirtschaft. Mwenda: Ja. Eigentlich bräuchten wir gar keine Hilfe, wir verfügen theoretisch über genug eigene Mittel. Aber unsere Steuerbehörden treiben nur 57 Prozent der Steuern ein. Wir haben eine miserable Infrastruktur und korrupte Beamte. Und die Reichen und Mächtigen zahlen natürlich nichts. Die Regierung hat keinerlei Interesse daran, dieses System zu ändern, Uncle Sam zahlt schließlich die Rechnung. Erst wenn die Regierung merken würde, dass sie für Einkünfte auf die eigene Bevölkerung angewiesen ist, müsste sie endlich auf diejenigen Leute hören, die Kapital erzeugen und sie fragen: Was muss der Staat euch liefern, damit eure Firmen prosperieren? Das wäre ein Schritt in Richtung Demokratie.

SZ: Gaddafi provozierte auf dem Gipfeltreffen der Afrikanischen Union viele seiner Kollegen , als er sagte, die afrikanischen Staaten sollten endlich aufhören, sich "wie Bettler" zu benehmen. Mwenda: Stimmt. Die afrikanischen Regierungen haben eine Bettlermentalität entwickelt: Bei jedem Problem schauen sie mitleidheischend die Geberländer an. Aber haben Sie je einen Bettler gesehen, der durch milde Gaben reich geworden wäre? Afrika bekommt seit 40 Jahren Hilfe aus dem Ausland. Die Afrikaner sind in dieser Zeit nur ärmer geworden.

SZ: Das klingt, als sollten die Deutschen Heidemarie Wieczorek-Zeul bitten, das Entwicklungsministerium zu schließen. Mwenda: Die wäre schön blöd, sie hat schließlich Tausende von Angestellten. Für euch ist Afrika ein wunderbarer Markt. Die Hilfsindustrie setzt im Jahr 60 Milliarden Dollar um. Zigtausende Europäer und Amerikaner werden davon bezahlt. Die sind alle daran interessiert, dass das extravagante und verrückte System bestehen bleibt. Als die Briten Uganda 1962 verlassen haben, gab es 70 Verwaltungsbeamte. Heute arbeiten hier mehr als 5000 Hilfsexperten. Man könnte fast meinen, dass wir als Kolonie unabhängiger waren als heute. (lacht)

SZ: Der senegalesische Musiker Baaba Maal warf den Live-8-Veranstaltern Kolonialismus vor, weil afrikanische Sänger übergangen worden seien. Mwenda: Was das Konzert angeht, ist da was dran. Aber für die politische Diskussion gilt, dass das Problem nicht ein selbstherrlich koloniales Gebaren ist, sondern gerade umgekehrt ein naiv verklemmtes Schuldgefühl der Europäer: Oh Mist, wir haben Afrika kolonialisiert, schaut euch an, wie es da unten aussieht. Lasst uns schnell Geld schicken, um unser Gewissen zu erleichtern.

SZ: Viele Nicht-Regierungsorganisationen werfen den G8-Staaten vor, sie manipulierten den Weltmarkt so, dass Afrikaner eben keine Chance haben. Mwenda: Afrikas Problem besteht nicht darin, dass wir so viel zu exportieren haben, nur leider keinen Markt dafür. Unser Problem ist: Wir haben nichts zu verkaufen. Wir produzieren nichts. Oder jedenfalls viel zu wenig. Es ist eine Lüge zu behaupten, dass wir keine Chance auf dem europäischen Markt bekommen. Wir haben ja schon lauter Sonderkonditionen. Uganda dürfte fast unbegrenzt Zucker nach Europa exportieren. Wir haben aber gerade mal drei Zuckerraffinerien. Wir können nicht mal die Inlandsnachfrage befriedigen, geschweige denn ein lausiges Kilo nach Europa schicken. Es gibt diesen Vertrag namens EBA, everything but arms: Afrikanische Regierungen dürfen alles außer Waffen zollfrei auf den europäischen Markt exportieren. Und? Wie viele Länder arbeiten sich durch diese Exportvergünstigungen aus dem eigenen Elend? Kein einziges. Warum also redet ihr im Westen über bessere Zugänge zum Weltmarkt? Wenn wir es nicht geschafft haben unter den bisherigen Möglichkeiten, welches Wunder erwartet ihr also nach dem morgigen Beschluss?

SZ: Sind Sie eigentlich in Gefahr? Mwenda: Kann sein. Ich mache meine Arbeit. Wenn eines Tages etwas passieren sollte, bin ich darauf vorbereitet.

© SZ vom 07.07.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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