Fußball-Übertragung:Was die Leute sehen wollen sollen

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ARD und ZDF haben sich bei der Uefa beschwert, da sie in der Live-Regie konsequent die Jagdszenen der Hooligans auf den Rängen weggelassen hat. Dabei hat der Fußballverband diesmal sogar recht, wenn er sagt, er wolle keine Gewaltbilder frei Haus liefern.

Von Freddie Röckenhaus

Zensur stammt dem Wort nach von den alten Römern und es meinte so etwas wie Sittenaufsicht. Gute Sitten zu beaufsichtigen, ist ein Mittel der Machtausübung und besonders für den attraktiv, der selbst definiert, was gute und was schlechte Sitten sind. Deshalb ist es kein Wunder, dass bei Zensur sofort an Diktaturen gedacht wird, oder an Demokraturen wie Russland in Zeiten Putins.

ARD und ZDF haben sich gerade beim Europäischen Fußballverband (Uefa) über die Zensur der Fernsehbilder aus den Stadien der Europameisterschaft in Frankreich beschwert. Die Uefa kontrolliert die Bilder, die in die Welt hinausgehen, mit einer eigenen Bildregie. Das fertige, stets bunte und fröhliche Live-Fernsehbild geht auch an Sender wie ARD und ZDF, die sehr viel Geld dafür bezahlen, die populären Spiele ans interessierte Volk verbreiten zu dürfen.

Beim Spiel England gegen Russland, als es auf den Tribünen wüste Auseinandersetzungen zwischen Schlägern beider Lager gab, hat die Live-Regie der Uefa konsequent die Jagdszenen auf den Rängen weggelassen. Man wolle keine Gewaltbilder frei Haus in die Wohnzimmer und Fanmeilen liefern, hat die Uefa das begründet. Und im Gegensatz zu vielem, was man von dem Fußballverband so hört, dessen langjähriger Boss Michel Platini gerade wegen Bestechlichkeit seinen Posten räumen musste, ist das ein erstaunlich nachvollziehbarer Standpunkt.

ARD und ZDF schwingen sich zu Sittenwächtern auf

Dass ARD und ZDF lautstark Zensur beklagen, klingt dagegen wie Bigotterie. Die Uefa weist darauf hin, dass die Sender eigene Kameras ins Stadion bringen können. Sie könnten dann selbst entscheiden, ob sie inszenierte Schlägerei wie die aus der Arena von Marseille zeigen wollen. Dass die Live-Regie eines Fußballspiels dafür zuständig wäre, ist nicht nachvollziehbar.

Jahrzehntelang haben sich öffentlich-rechtlich beaufsichtigte Fernsehunternehmen wie ARD und ZDF oder auch ihr Vorbild, die britische BBC, selbst zu Sittenaufsehern erklärt. Adolf Grimme, nach dem der bekannte Fernsehpreis benannt ist und der von den Nazis ins Zuchthaus gesteckt wurde, hat das vor langer Zeit so formuliert: "Wir senden, was die Leute sehen wollen sollen." Rundfunk-Intendant Grimme konnte nicht ahnen, dass so ein Credo im Zeitalter von Internet, Youtube und Smartphones mit Videokameras hoffnungslos überholt werden würde. Jeder Amateur-Reporter kann heute alles in schön wackeligen, authentisch wirkenden Bildern mit seinem Telefon aufnehmen und sekundenschnell ins Netz laden.

Schon lange hat diese Allgegenwart von Kameras und von öffentlich verfügbaren Live-Bildern aus jeder Lebenslage Auswirkungen auf das, was bei ARD und ZDF zu sehen ist. Vor allem Nachrichten-Sendungen sind voll von oft expliziten Amateur-Bildern, von Fundstücken zum Beispiel von der globalen Video-Plattform Youtube. Beide öffentlich-rechtlichen Systeme bedienen sich nur allzu gern im Internet. Gerade junge Redakteure befördern eine Youtubisierung des Fernsehens.

Am selben Tag, an dem ARD und ZDF die Zensur der vergleichsweise harmlosen Stadion-Rangeleien bemängelten, wurden die Sender nicht müde, ihren Zuschauern brutalste Szenen aus der Altstadt von Marseille zu zeigen. In typischen Internet-Bildern trampelten schlechte Action-Film-Figuren auf am Boden liegende Rivalen ein. Spätestens bei der zweiten Ausstrahlung wünschte man sich etwas Sittenaufsicht.

Wer mit der Suggestivkraft von Bildern umgeht, muss bereit sein, eigene Filtermechanismen anzuwenden. Das unterscheidet Journalismus vom Senden wilder Youtube-Clips. Die Live-Regie eines Fußballspiels muss nicht reflexhaft auf alles anspringen, was auch nur eine inszenierte Realität für die globalen Bilderwelten des Internets und des Fernsehens ist.

© SZ vom 16.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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