Franz Müntefering:"Ohne ein gewisses Maß an Arroganz hält man das nicht aus"

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Er war Parteivorsitzender der SPD, dann wurde er Arbeitsminister und Vizekanzler. Im SZ-Magazin spricht Franz Müntefering erstmals darüber, wie das wirklich war mit Gerhard Schröder, warum er 2002 fast zerbrochen wäre und: über den richtigen Zeitpunkt aufzuhören.

Nico Fried und Christoph Schwennicke

SZ-Magazin: Herr Müntefering, wir wollen über Politik reden, aber vor allem über Sie. Ist Ihnen das unangenehm?

Franz Müntefering kann Kritik gut wegstecken - sagt er. (Foto: Foto: dpa)

Franz Müntefering: Nein, kann man ja nicht trennen. SZ-Magazin: Ursula von der Leyen hat auf die Frage, was sie in Berlin am meisten überrascht hat, geantwortet: Franz Müntefering. Sie seien ernsthaft und lernwillig.

Müntefering: Stimmt - wobei mir noch mehr einfallen würde (lacht). Politiker sind oft anders, als der politische Gegner das vermutet. In so einer Großen Koalition ist das schon ein Erlebnis, besonders im Kabinett, weil wir uns da authentischer erleben als sonst. SZ-Magazin: Was sagt Ihnen das über Ihr Image, dass jemand von außen Sie nach persönlichem Erleben viel positiver findet?

Müntefering: Das ist nicht neu für mich. Wenn ich auf einer Versammlung bin, unter Menschen, die mich nicht kennen, dann gibt es immer zwei Feststellungen. Erstens: Ich bin kleiner, als sie gedacht haben. 1,76 - was soll ich machen? Und zweitens: Dass ich freundlicher bin, als sie gedacht haben. Ich glaube, dass ich durch meine Art und durch die Physiognomie Kantigkeit und manchmal auch Strenge ausstrahle. Ich habe darüber auch mal mit jemandem gesprochen, der davon etwas versteht, einem Professor oder so. Ich hab gesagt: Muss ich da was ändern? Der hat gesagt: Tun Sie das nicht. Bleiben Sie original. Der hatte recht.

SZ-Magazin: Von Ihnen stammt der Satz: "Mir ist wirklich egal, was andere von mir denken."

Müntefering: Ich kann Meinungen, die über mich geäußert werden - vor allem natürlich schlechte -, relativ leicht verdrängen und sagen: Na gut, die irren sich. Da schwingt ein gewisses Maß an Arroganz mit, das ich habe. Aber man hält das ja sonst auch nicht aus.

SZ-Magazin: In den vielen Porträts, die über Sie verfasst wurden, finden sich Beschreibungen wie "geheimnisvoll, unnahbar, undurchschaubar, emotionslos, eiskalt".

Müntefering: Ach, das sind so Etiketten. Ich glaube nicht, dass ich so bin. Was ich weiß, ist, dass ich kühl, dass ich distanziert sein kann. Dass ich einer bin, der in Freundschaftssachen eher zurückhaltend ist. Da gab's ja auch die Sache mit Gerd Schröder.

SZ-Magazin: Er sagte in einem Doppelinterview, er hätte Sie gern zum Freund. Sie haben geantwortet: Ich bin nicht so der Kumpeltyp.

Müntefering: Das war nicht böse gemeint. Darüber habe ich schon manches Mal nachgedacht. Vielleicht würde ja ein Psychologe sagen: Das liegt daran, dass er ein Einzelkind ist. Und ich habe meinen Vater erst kennengelernt, als ich sechseinhalb war. Da kam der aus dem Krieg zurück. Und ich hatte einen sehr guten Freund, aber der ist mit 32 tödlich verunglückt. So etwas ist nie wieder aufgetaucht. Ich war meistens ein Alleiner. Da ist eine gewisse Zurückhaltung bei mir.

SZ-Magazin: Was war das Besondere an diesem Freund?

Müntefering: Wir waren gleich alt, sind zusammen in den Kindergarten und in dieselbe Schulklasse gegangen. Wir haben uns abgenabelt aus der gesellschaftlichen Struktur, in der wir groß geworden sind. In unserer Buchhandlung konnte man Rowohlt-Taschenbücher nicht kaufen, weil das ein linker Verlag war. In der Nachbarstadt durfte Sartre nicht gespielt werden, weil der ein Kommunist war. Das ist alles original Bundesrepublik 1960 bis 65. Das war viel Mief.

SZ-Magazin: Wie sah das "Abnabeln" aus?

Müntefering: Ich las Pardon, die damals neue, linke Zeitschrift. Ich war Ur-Abonnent, die Urkunde hab ich noch. Man las Konkret, Die Zeit und hörte WDR III. Das haben wir alles zusammen gemacht. Ich wusste: Wenn was ist, kann ich mit dem reden. Als ich das erste Mal Kandidat für den Bundestag werden wollte, habe ich verloren. 52:48 oder so. Ich bin dann zu diesem Freund gefahren und hab mich mit dem besprochen. Wir haben auf der Treppe im Haus gesessen. Das hat eine halbe Stunde gedauert, und dann war das okay. Das Jahr danach ist er verunglückt.

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