Franz Müntefering:Die Früchte des Zorns

Lesezeit: 3 min

Franz Müntefering und die SPD sind wieder ein harmonisches Paar. Auf Frau Merkel und ihre Mannschaft ist der Vizekanzler hingegen ganz schön sauer.

Nico Fried

Über seine Art, mit Ärger umzugehen, hat Franz Müntefering einmal gesagt: "Wenn ich richtig Zorn habe, wenn es richtig hart wird, dann werde ich eher leise." So gesehen kann man ins Zweifeln geraten, wie sauer der Vizekanzler am Montagabend im Koalitionsausschuss wirklich war, als Union und SPD über Mindestlöhne stritten.

Müntefering selbst hat hinterher nur berichtet, er sei einige Male wohl etwas laut geworden. Laut, nicht leise. Dass der Minister noch nicht am Anschlag war, beweist auch der Umgang mit der Kanzlerin.

Auf seiner Pressekonferenz am Dienstag, in der es Müntefering an wüsten Vokabeln für die Union als Ganzes nicht fehlen ließ, näherte sich der Vizekanzler auch einer persönlichen Attacke auf Angela Merkel wie ein Bungee-Jumper, der dem Boden entgegenrast. Wo am Sprungturm das Seil den Aufprall verhindert, riss Müntefering dann schließlich sich selbst am Riemen. Zentimeterarbeit.

Alles unter Kontrolle

Auffallend ist jedenfalls, dass Franz Müntefering zum Ende der Woche ziemlich gut gelaunt wirkte. Alles unter Kontrolle. Und neue Optionen offen. Am Donnerstag im Bundestag war er bereits wieder zu Scherzen aufgelegt.

Auch die breite Mehrheit in der Bevölkerung für einen gesetzlichen Mindestlohn, die am Freitag mühelos aus Umfragezahlen herauszulesen war, dürfte seine Stimmung alles andere als verdüstert haben, auch wenn Müntefering stets um den Eindruck bemüht ist, er halte von Demoskopie so viel wie vom nordrhein-westfälischen CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers.

Müntefering hat in diesen Tagen zwischen seinen Rollen als Vizekanzler, Arbeitsminister und SPD-Politiker eine neue Balance gefunden. Er ist auf Distanz zur Union und zu Merkel gegangen, ohne die Koalition in Frage zu stellen - und damit sich selbst, den vehementesten Befürworter dieses Bündnisses in der SPD, zu verraten.

Im nächsten Absatz: Müntefering, der wütende Briefeschreiber

Er hat als Ressortchef mehr erreicht, als er 2005 in den Koalitionsvertrag hineinverhandeln konnte. Das ist wichtig für ihn, der stets betont, dass die SPD-Minister in der Regierung die wirklich schweren Brocken beiseiteschaffen. Vor allem aber steht der ehemalige Parteichef nach Monaten des gegenseitigen Fremdelns wieder im Einklang mit seiner SPD. Ein Thema, ein Ziel. Untergehakt, wie er wohl sagen würde.

Dieses Ergebnis ist einfach zu bemerkenswert, als dass man Müntefering umstandslos abnehmen würde, es sei ihm ausschließlich um die Sache gegangen.

Und das, obwohl der Minister für diese Variante Argumente ohne Ende liefern kann: die Hungerlöhne in vielen Branchen; die enorme Zunahme der Zahl an Niedriglohnempfängern, welche zusätzlich Hartz IV beantragen müssen, um über die Runden zu kommen; seine ordnungspolitische Vorstellung, dass nicht der Staat aufstocken dürfe, wo die Firmen Dumpinglöhne zahlten.

Alles überzeugend - nicht zuletzt für ihn selbst. Schließlich ist es noch nicht allzu lange her, dass man von Müntefering zum Thema Mindestlohn noch das glatte Gegenteil von dem hören konnte, was er heute so vehement vertritt.

Lernfähigkeit hat Müntefering wiederholt für sich in Anspruch genommen. Am deutlichsten, als er 2003 vom Beton-Sozi zum Durchpeitscher für Gerhard Schröders Agenda 2010 wurde.

Andererseits ist auch seine Fähigkeit, neue Meinungen für den politischen Nahkampf zu instrumentalisieren, belegt. Als die SPD unter der Politik Schröders ächzte, warf Müntefering alle Bedenken, die er früher gegen eine Lehrstellenabgabe hatte, über Bord und drohte ungerührt vom Aufschrei der Wirtschaft mit der Zwangsumlage.

Monatelang gewährte er damit zur Freude der SPD-Basis einen Blick in die Folterkammer - und schloss die Tür erst in letzter Minute. So sehr steht Müntefering im Ruch eines Taktikers, dass selbst nach seinem plötzlichen Rücktritt als SPD-Chef der Verdacht aufkam, er habe den Knall bewusst herbeigeführt.

Das schärfste Schwert

Ganz abgesehen von seiner persönlichen Haltung betrachtete Müntefering jedenfalls auch das Thema Mindestlohn anfangs eher funktional. Auf dem Höhepunkt des Zerwürfnisses mit den Gewerkschaften wegen der Agenda-Politik bot es der SPD vor allem die Gelegenheit, mit den Arbeitnehmern wieder ins Gespräch zu kommen - zumal wegen deren eigener Uneinigkeit konkrete Ergebnisse für längere Zeit nicht zu erwarten waren.

Drei Jahre und eine Große Koalition später sieht das nun anders aus. Die SPD hat den Mindestlohn quasi zu ihrem schärfsten Schwert geschmiedet. Zuerst fuchtelte sie damit etwas ungelenk nach links wie nach rechts. Doch am Montag im Koalitionsausschuss reichte es zumindest einmal, um - jedenfalls aus sozialdemokratischer Sicht - die Union in die Ecke der sozialen Kälte zu stellen.

Ein Dreivierteljahr hatte die Koalition verhandelt. Eine Überraschung kann die harte Haltung der Union nicht gewesen sein. Nachts vor dem Kanzleramt bewertete Parteichef Kurt Beck das Ergebnis noch so: "Ich bin nicht enttäuscht, weil ich keine so großen Erwartungen hatte."

Müntefering hingegen ließ seinem Verdruss später freien Lauf. Und am Freitag schickte er der SPD-Fraktion noch einen Brief hinterher. Darin heißt es über die Ablehnung der Union, mit einer Untergrenze gegen sittenwidrige Löhne vorzugehen: "Diese ideologisch bestimmte Ignoranz ist nicht akzeptabel."

Für alle harten Reformen, vorneweg die Rente mit 67, hat der Vizekanzler in den vergangenen Monaten den Kopf hingehalten und sich loyal zu Merkel bekannt. Würde er nicht so treuherzig betonen, es gehe ihm keinesfalls um Taktik, man könnte glatt auf die Idee kommen, dass Franz Müntefering jetzt mal den Spieß umdreht.

© SZ vom 23.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: