Frankreich vor der Entscheidung:Diskreter Charme und kalkulierte Wut

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"Beruhigen Sie sich, Madame": Nun ist alles gesagt zwischen Nicolas Sarkozy und Ségolène Royal - im großen Fernsehduell vor der Stichwahl am Sonntag präsentieren sich beide in eher ungewohnten Rollen.

Gerd Kröncke

Es war ihr stärkster Moment. Wie aus dem Nichts hatte Ségolène Royal am Mittwochabend plötzlich eine Szene provoziert, die künftig dazu gehören wird, wenn bei einem Präsidentschaftswahlkampf die entscheidenden Augenblicke der Fernsehdebatte zwischen beiden Kandidaten gezeigt werden.

Ségolène Royal und Nicolas Sarkozy: sozialistische Feministin gegen den geborenen Konservativen. (Foto: Foto: AP)

Nicolas Sarkozy hatte in relativer Unschuld an die Ungerechtigkeit erinnert, die behinderten Kindern widerfährt, wenn ihre Eltern sie, was ihr gutes Recht ist, in "normale" Schulen schicken wollen, selbst die Anführungsstriche sprach er mit. Die Moderatoren wollten zum nächsten Thema, da meldete sich Ségolène zu Wort. Sie habe noch etwas zu sagen.

Sie zeigte kalkulierte Wut, redete sich nicht in Rage. Sie wusste zu jedem Moment, was sie sagte, auch wenn sie immer lauter wurde. Sie unterstellte ihrem Gegner Unwahrhaftigkeit, beschuldigte ihn "mit der Misere der Behinderten zu spielen". Sie war nicht zu bremsen, und der Gegenkandidat suchte Halt in seinen Notizen. Die Kamera wandte sich gnädig ab.

"Beruhigen Sie sich, Madame", sagte er ein ums andere Mal, aber sie wollte sich nicht beruhigen. Er konnte wenigstens noch anbringen, dass jemand, der Präsident werden will oder Präsidentin, sich unter Kontrolle haben muss.

Nein, sie wollte ihren Zorn vorführen und auskosten, weil sie wusste, dass sie gegen den Machtmenschen Gefühl einsetzen musste. Minutenlang dauerte der Auftritt, und bevor die Moderatoren endlich die Rede auf ein nüchternes Thema bringen konnten, schien es so, dass sie am Ende ihre Wut selber glaubte. Nur nicht die Contenance verlieren, gleichbleibende Höflichkeit war die einzige Waffe, die der Kandidat ihr entgegensetzen konnte.

Kinder schwieriger Väter

Das also wird als Höhepunkt aus der Debatte bleiben, und gewiss hat dieser inszenierte Ausbruch Ségolène Royals dazu beigetragen, ihre Position zu festigen. Nur, wird es ausreichen? Dem Kandidaten Nicolas Sarkozy ist es nicht gegeben, die Menschen zu rühren. Beide spielen sie ihre Rolle, der eine als konservativer Veränderer, die andere als mitfühlende Reformerin. Strategen der Macht sind beide und kommen von weit her.

Wer versuchen will, Menschen zu verstehen, muss sie wahrscheinlich aus ihrer Kindheit begreifen. Die Tochter des konservativ-reaktionären Soldaten Jacques Royal, der als Oberst in den Ruhestand ging, weil er sich von Charles de Gaulle und seiner Algerienpolitik verraten fühlte, hat in ihrer Kindheit gelitten. So sehr dass sie erst neulich als Kandidatin, inzwischen 53 Jahre alt, in das lothringische Dorf ihrer frühen Jahre zurückkehrte. Einen kurzen Nachmittag, weil es dem Wahlkampf nützte und gute Bilder brachte. Bisweilen hat sie ihre schwere Kindheit erwähnt und wie kalt und autoritär der Vater war.

Auch Nicolas Sarkozy hatte es nicht gut mit dem Vater getroffen, ein unzuverlässiger Lebemann, der mehr Zeit in den Salons als mit seinen Kindern verbrachte. Nicolas lehnte sich an seine Mutter, und er hatte einen Großvater, der ihm erste politischen Begriffe beibrachte, ihn nach den Mai-Unruhen von '68 zur großen Demonstration für de Gaulle auf die Champs Elysées mitnahm. Erst als erwachsener von 28 Jahren verließ Sarkozy die mütterliche Wohnung. Der Vater, ein Edelmann und Emigrant aus Ungarn, hat die Familie früh im Stich gelassen.

Unordnung und frühes Leid haben beide Kandidaten dazu gebracht, für Ordnung einzutreten, Madame Royal wird nur von ordre juste, von gerechter Ordnung sprechen. Und eine Ordnung ist in ihren Augen gerecht, wenn sie von einer Frau geschaffen wird.

Rebellieren um des Erfolges willen - des eigenen

Ségolène Royal ist eine sozialistische Feministin. Sarkozy war früh bei den Konservativen, Royal hat gleich nach dem Politik-Studium eine Anstellung im Elysée-Palast gefunden. Da war sie keine große Nummer, aber das Privileg der Nähe zu François Mitterrand ist Teil ihrer sozialistischen Vorzeigebiografie.

Wenn sie Rebellen waren, dann ging es beiden immer auch um den eigenen Erfolg. "Als ich ein junger Aktivist war", hat Sarkozy dem linken Philosophen Michel Onfray anvertraut, "wollte ich aus dem Hintergrund des Saales in die erste Reihe. Als ich in der ersten Reihe war, wollte ich dazugehören. Als ich dazugehörte, wollte ich aufs Podium. Als ich auf dem Podium war, wollte ich mehr, Besseres, weiter, so bin ich nun mal." Und bald könnte er Präsident sein.

Oder sie. Sie hat sich die Rolle der gerechten, alles verstehenden Madonna zugelegt. Sie hat sich eine "partizipative Demokratie" zugedacht, wochenlang ist sie durch die Lande gezogen, auf Wahlveranstaltungen hat sie den Leuten zugehört, wie ein Souverän, der dem Volk aufs Maul schaut.

"Auf ihre Weise sagt sie: 'Gebt mir die Sprache, lehrt mich reden, ich kann es nicht ohne Euch' " - so die Interpretation der Psychoanalytikerin Julia Kristeva. Um das große Ganze zu beschreiben bemüht Royal in der Diskussion immer wieder, was sie in jenem Krankenhaus oder von einer Frau auf dem Weg durch die Republik gehört hat.

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Sarkozy, der Emigrantensohn, 52 Jahre alt, betont unablässig, wie stolz er auf sein Land ist. "La France" hat ihm alles gegeben, nun will er ein bisschen von dem zurückzahlen, was er der Republik verdankt. Manchmal wird ihm noch hingerieben, zuletzt aus der rechtsradikalen Ecke, dass er "aus der Einwanderung kommt".

Die Linke hingegen versucht ihn als rechtsradikalen Dämon zu karikieren. In Paris wurden in diesen Tagen Plakate geklebt: "Sarkozy - er ist nicht Le Pen, er steht nur für dessen Ideen." Sarkozy hat in den Mittelpunkt seines Wahlkampfs den Wert der Arbeit gestellt. "Wer mehr arbeitet, soll auch mehr verdienen", wiederholt er ohne Unterlass.

Die Linke hält nicht ohne Argumente dagegen, dass es wichtiger ist, erst einmal den Erwerbslosen Arbeit zu verschaffen. Mit Entsetzen sieht man in Paris anonyme Aufkleber an den Wänden mit der KZ-Losung auf Deutsch: "Arbeit macht frei - Sarkozy."

Moderate Linke vermuten in Sarkozy stets irgendwie den Innenminister, einen intriganten, machtversessenen Fouché, der Präsident werden will. Mit seinem konservativen Ansatz hat er sich Feinde geschaffen, die ihm erhalten bleiben.

Die Ernennung von Azouz Begag zum Beispiel, eines Schriftstellers aus der Banlieue, zu einer Art Integrationsminister hatte für Aufsehen gesorgt. Er war mit Sarkozy jedoch nie warm geworden. In einer Flüsterkampagne, so stellte es Begag später dar, hätten die Büchsenspanner des Ministers ihn als Araber-Minister diffamiert. Sarkozy habe ihm die Parteinahme für die Banlieues übelgenommen.

"Ein Vollidiot!"

In einem Buch, das Begag im April veröffentlichte, um dann sofort zurückzutreten, schildert er, wie handfest Sarkozy sich äußert, wenn er wütend ist: "Du bist ein Drecksack, ein unloyaler, ein Vollidiot!", habe er eines Tages gewütet, "ich werde Dir die Fresse polieren."

Das mag die Tonart sein, die er anschlägt, wenn man entre nous ist. Sarkozy hat als Innenminister den Ruf des Harten, Unnachsichtigen erworben, den die Linke zum Bösen stilisiert.

Es spricht für Madame Royal, dass sie wenigstens das Klischee vom "Kärcher"-Minister im Duell nicht wieder hochgekocht hat. Denn dass er die Vorstädte mit dem Kärcher reinigen wollte, hängt ihm an, und dass er mit seinem Wort ausdrücklich die Kriminellen und Drogenhändler gemeint hat, will keiner wissen.

Vor den Kameras von France2 und TF1 vermied der Kandidat jeden Ausfall. Ganz Staatsmann, in einem Anzug, wie ihn Mitterrand heute tragen würde. Im Knopfloch das Bändchen der Ehrenlegion, eine etwas zu große, zu teure Uhr am Handgelenk.

Er war: toleranter als sein Ruf

Manchmal spielte er mit seinem Kugelschreiber, der ziemlich gewöhnlich aussah. Er, im Wissen um seinen Vorsprung in Umfragen, konnte sich einen moderaten Umgangston leisten, war toleranter als sein Ruf.

Sie im dunkelblauen Kostüm, wie es business women tragen. Man hatte sie schon eleganter erlebt, sie sah aus, wie man sich die Vorsitzende des Regionalrats von Poitou-Charentes vorstellt. Der Titel bleibt ihr, wenn sie am Sonntag verliert. An diesem Abend aber war sie Matadorin, es waren vertauschte Rollen: Sie gab die Aggressive, bisweilen fast ruppig. Einmal versuchte sie ihn in Grund und Boden zu lachen. Er übte sich in gutem Benehmen, und um bei ihren verbalen Ohrfeigen nicht die andere Wange hinzuhalten, fragte er: "Warum so viel Verachtung, Madame?"

Die meisten Beobachter waren einig, dass Royal nicht gewonnen, Sarkozy aber auch nicht verloren hat. Das könnte seinen Sieg am Sonntag bedeuten, weil der Favorit nicht destabilisiert wurde. Keiner ging zu Boden, und es braucht die Voreingenommenheit der Parteigänger, den eigenen Favoriten als Punktsieger zu sehen. Tags darauf stürzten sich beide wieder in den Wahlkampf, und nun sind es nur noch Stunden bis zur Entscheidung.

Ob Sieg oder Niederlage, für beide wird das Leben nicht mehr sein, was es vorher war.

Sarkozy, sollte er gewinnen, würde mit Frau Cécilia in den Elysée ziehen, was lange nicht selbstverständlich war. Zu seinen persönlichen Krisen hatte gehört, dass in seinem annus horibilis vor zwei Jahren Cécilia, die Mutter seines Sohnes Louis, durchgebrannte und in New York an der Seite eines reichen Mannes ein neues Leben beginnen wollte.

Es war die Zeit, als Sarkozy schon mal einen Termin mit dem Premier absagte, weil ihn die Migräne umwarf. Cécilia ist zurückgekehrt, man sieht sie selten. Vorletzten Sonntag gingen beide zusammen wählen. Anders als früher, als sie Beraterin und Strippenzieherin im Innenministerium war, hat sich das Paar Sarkozy Diskretion auferlegt. Ihr Privatleben, bei dem sie sich gern fotografieren ließen, ist nicht länger Teil des Propaganda-Apparats.

Ungeklärte Verhältnisse

Ségolène Royal und der Erste Sekretär der Sozialisten, François Hollande, ihr Lebenspartner, haben diesen Fehler nie begangen. Und er würde nicht mit in den republikanischen Palast einziehen.

Er könne, sagte Hollande säuerlich, durchaus im Elysée empfangen werden, "entweder als Parteichef oder als Abgeordneter". Es wäre keine Sensation, wenn sich herausstellte, dass beide auch privat getrennte Wege gehen. Gelegentlich gab es Gerüchte, Madame Royal sei ihrem Berater Julien Dray besonders nahe gekommen.

Aber vielleicht liegt das nur daran, dass Dray eine besonders tiefe Männerfeindschaft mit Hollande verbindet. Einmal, während des Wahlkampfs, hat Hollande Dray aus seinem Büro in der Parteizentrale hinausgeworfen. "Degage!" schrie er, und schreien kann er laut: "Hau ab." Es soll ein politisches Zerwürfnis gewesen sein. Überhaupt ist der Erste Sekretär nicht sehr gut auf die Entourage seiner Gefährtin zu sprechen. Einer von ihnen witzelte in einer TV-Runde, Ségolène habe nur einen Fehler, und das sei ihr Compagnon.

Madame geht ihre eigenen Wege, und ihr Partner hat oft seine liebe Not, die Parteilinie ihrem Kurs anzupassen. Neulich, als sie plötzlich den Zentristen Bayrou hofierte, ist er fast ausgerastet, drohte der Kandidatin, sie öffentlich zu desavouieren und musste später mühsam zurückrudern. Sie macht, was sie will, sie vertraut ihrem Instinkt, und ist damit erfolgreich.

Beide liegen falsch

In der Fernsehdebatte war das nicht anders. "Sie hat sich nicht an die Spielregeln gehalten", konstatierte Arlette Chabot, die Moderatorin, frustriert. Aber danach fragt keiner mehr, wenn es geklappt hat. Sie hat die Fragen ignoriert und dafür länger geredet. Sie hat ihr Gegenüber niedergeschrieen, und Sarkozy mimte den Bescheidenen. Sie warf mit Zahlen um sich, und wenn sie irrte, dann gründlicher.

Den Anteil des Atomstroms am französischen Energiekonsum bezifferte sie auf 17 Prozent und beharrte auch nach mehrmaliger Nachfrage darauf. Nein, 50 Prozent, sagte Sarkozy, und sie lagen beide falsch - es sind 78 Prozent.

Beide versprechen alles, was sie auch im Wahlkampf versprochen haben, nur wortreicher. Die Kandidatin zieht oft die Register der Anklägerin. Dass in einer Pariser Banlieue eine Polizistin nachts nach Dienstende vergewaltigt wurde, lastet sie Sarkozy an: "Wenn ich Präsidentin bin, wird jede Polizistin nachts nach Hause begleitet." Aber Madame, sagt der Ex-Innenminister, "wir können doch nicht hinter jeden Beamten einen Beamten stellen, der ihn beschützt."

Die Moderatoren konnten die Debatte nur mühsam meistern. Sie haben sie nicht gelenkt, die Kandidaten, vor allem die Kandidatin, haben Tempo und Themen bestimmt. Als der Journalist Patrick Poivre d'Avor die beiden um eine menschliche Einschätzung des Gegenübers bittet, ergeht sich Sarkozy in einer gebremsten Eloge.

Er hege Hochachtung vor dem Talent von Madame Royal, sie sei weit gekommen, und das mit Grund. Royal verweigert sich: "Es geht nicht um Personen, es geht um den Austausch von Ideen." Am Sonntag werden die Franzosen über die Ideen urteilen. Und über die Personen.

© SZ vom 4.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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