Frankreich / Österreich:Massenproteste gegen Rentenreform

Lesezeit: 2 min

Mit landesweiten Streiks und Demonstrationen haben mehr als eine Million Menschen in Frankreich und Österreich gegen geplante Rentenreformen ihrer Regierungen demonstriert.

(SZ vom 13. Mai 2003) In Frankreich blieben Busse, Züge und U-Bahnen in den Depots sowie Flugzeuge am Boden. In Paris, Lyon, Marseille und anderen Städten demonstrierten nach Gewerkschaftsangaben mehr als eine Million Menschen.

In Österreich legten 100.000 Lehrer an Grund-, Haupt- und Berufsschulen für einen Tag die Arbeit nieder, sodass für eine Million Schüler der Unterricht ausfiel. Durch die geplanten Reformen sollen ähnlich wie in Deutschland die Renten gekürzt und die Lebensarbeitszeit verlängert werden.

Mit Ausnahme des Eurostar fielen in Frankreich die meisten Zugverbindungen aus. Der Öffentliche Nahverkehr in Paris und vielen Provinzstädten kam völlig zum Erliegen. 80 Prozent der Flüge wurden annulliert.

Auch bei der Post, dem Energieversorger EDF und bei der France Télécom, deren Beschäftigte ebenso wie die der Staatseisenbahn SNCF von den Reformplänen gar nicht betroffen sind, wurde der Streikaufruf stark befolgt. Viele Franzosen mussten einen freien Tag nehmen, weil auch viele Schulen geschlossen waren.

Diese größte Mobilisierung seit den wochenlangen Protesten gegen Renten-Reformpläne der Regierung Juppé 1995 wird als Erfolg der Gewerkschaften gewertet, weil sich auch viele Beschäftigte der Privatwirtschaft an den Protesten beteiligten. Umfragen zufolge hält zwar eine Mehrheit der Bürger eine Reform der Altersversorgung für notwendig.

Die allmähliche Verlängerung der für eine volle Rente nötigen Beitragszeiten bis auf 42 Jahre und Abstriche bei der Höhe des Rentenniveaus werden jedoch abgelehnt. Fast zwei Drittel der Franzosen sollen die Aktionen gutheißen.

Für Premier Jean-Pierre Raffarin ist dies die erste große Kraftprobe seit seinem Regierungsantritt vor einem Jahr. Der Ausgang der Auseinandersetzung ist für seine weiteren Reformpläne für die Krankenversicherung, den Abbau der Beamtenstellen und die Dezentralisierung von entscheidender Bedeutung.

Obwohl auch in Österreich die Reformen von allen Parteien und auch von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen grundsätzlich akzeptiert werden, haben Rigorosität und Eile der Pläne der ÖVP/FPÖ-Koalition zur schärfsten Konfrontation innerhalb der Gesellschaft seit der Vereidigung der ersten Rechtskoalition im Februar 2000 geführt. Zehntausende kamen zu einer zentralen Kundgebung nach Wien.

Heftige Meinungsverschiedenheiten gibt es zwischen Bundespräsident und Bundeskanzler, zwischen Regierung und Opposition, aber auch innerhalb der Regierungsparteien ÖVP und FPÖ, in denen sich die Fraktionen hart bekämpfen.

Österreichs Kommentatoren halten eine parlamentarische Niederlage der Regierung am 4. Juni für denkbar. An diesem Tag will Bundeskanzler Wolfgang Schüssel die Reform verabschiedet sehen. Opposition und Sozialpartner wollen das aber um jeden Preis verhindern. Es wird bereits über Neuwahlen spekuliert.

© N/A - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: