Fragen und Antworten:Drachme auf Zeit

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Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble schlägt einen Grexit auf Zeit vor. Das wirft viele Fragen auf - ebenso wie die Finanzlöcher in Athen, die immer größer werden.

Ein Grexit auf Zeit? Geht das? Ein einseitiges Papier von Finanzminister Wolfgang Schäuble, das am Samstag publik wurde (rechts im Original abgedruckt), verursachte Aufregung in Brüssel - aber auch die Nachricht, dass Griechenland weit mehr Geld benötigt als bislang bekannt. Wieso wusste keiner vorher von diesem gewaltigen Finanzbedarf? Die wichtigsten Antworten zum Euro-Drama:

Wie groß ist das Finanzloch in Griechenland?

Bereits seit Herbst 2014 liegen die Einnahmen des griechischen Staates unter Plan. Als sich unter der Regierung des Konservativen Antonis Samaras Neuwahlen abzeichneten, begannen die griechischen Bürger wie stets vor Wahlen, keine oder weniger Steuern zu zahlen. Auch die letzten ausländischen Investoren zogen sich zurück, etwa ein kanadischer Investmentkonzern. Mit Amtsantritt der linksgeführten Regierung von Alexis Tsipras begann der offene Streit um weitere Finanzhilfen und Sparauflagen, der in der Schließung der Banken und der Pleite zahlreicher Unternehmen gipfelte. Die Einnahmen brachen deshalb weiter ein, das Loch im Haushalt vergrößerte sich mit jedem Tag. So war am Freitag noch von einem Finanzbedarf von 50 Milliarden Euro die Rede, am Samstag rechneten Europäische Zentralbank und EU-Kommission mit 74 Milliarden Euro, der Internationale Währungsfonds sogar noch mit etwas mehr. Allein 25 Milliarden Euro sind nötig, um die Banken in Griechenland wieder mit Kapital auszustatten; der Rest geht für den Haushalt drauf - und dafür, bestehende Kredite abzulösen. Am Sonntag war das Loch im griechischen Etat dann nochmals gewachsen, die EU-Finanzminister bezifferten es auf 82 bis 86 Milliarden Euro. gam

Was schlägt Schäuble vor?

Schäuble hat vorgeschlagen, die Mitgliedschaft der Griechen in der Euro-Zone für fünf Jahre auszusetzen. Dann könnten die Schulden unter dem Dach des Pariser Clubs neu geordnet werden - etwas, was nach Ansicht der Bundesregierung innerhalb der Währungsunion nicht erlaubt ist. Es wäre also ein Ausweg für die Griechen, allerdings ohne den Euro, den Alexis Tsipras unbedingt behalten will. Im Pariser Club sind seit rund 60 Jahren die wichtigsten öffentlichen Gläubigerstaaten zusammengeschlossen, um Schuldenkrisen zu lösen. Für überschuldete Länder werden Umschuldungsmaßnahmen festgelegt, die genau auf das Land zugeschnitten sind. In der Regel wird die langfristige Streckung der Rückzahlungsfristen mit einer gewissen Anzahl von tilgungsfreien Jahren vereinbart. Voraussetzung ist bei allen Schuldnerländern die erfolgreiche Umsetzung von Reformprogrammen des Internationalen Währungsfonds. Inzwischen hat der Pariser Club mehr als 430 Umschuldungsabkommen mit rund 90 Entwicklungsländern und Schwellenländern geschlossen. Das Gesamtvolumen der umgeschuldeten oder annullierten Schulden liege bei mehr als 580 Milliarden Dollar, so das Bundeswirtschaftsministerium auf seiner Internetseite. Der Pariser Club besteht aus 20 ständigen Mitgliedern; hinzu kommen in Einzelfällen weitere assoziierte Mitglieder, darunter Brasilien, Südafrika und die People's Bank of China. Der Pariser Club tagt in Paris unter Vorsitz eines ranghohen Vertreters der französischen Regierung, die das Sekretariat und den Konferenzraum zur Verfügung stellt. Der Pariser Club ist ein informelles Forum geblieben, die Verfahrensregeln werden von den Gläubigerländern im Konsens festgelegt. Zyd

Würden ein Schuldenschnitt oder eine Umschuldung helfen?

Griechenland hat einen Schuldenstand von etwa 320 Milliarden Euro, alles in allem also 180 Prozent bezogen auf die Wirtschaftsleistung. Das ist nach Ansicht des IWF nicht tragfähig. Dies könnte über einen Schuldenschnitt oder eine Umschuldung, auch Restrukturierung der Schulden genannt, geändert werden. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Varianten ist, dass bei einem Schuldenschnitt nominal Schulden erlassen werden. Die Schulden zu restrukturieren bedeutet dagegen, die Kredite der Höhe nach zu erhalten, sie aber so umzuschichten, dass der Schuldendienst für Athen billiger wird. Kredite, die bei der EZB mit vier Prozent verzinst werden, könnten in den Euro-Rettungsfonds ESM verlagert werden - dort liegen die Zinsen bei einem Prozent. Umstritten ist, ob eine Umschuldung angesichts der Schulden von mehr als 320 Milliarden Euro ausreicht, um die Schuldenlast erträglich und bezahlbar zu machen. Die Schulden liegen zu fast 90 Prozent in der Hand öffentlicher Gläubiger. gam

Sind die griechischen Banken noch zu retten?

Die griechischen Banken bluten aus. Seit Jahresanfang haben Sparer rund 40 Milliarden Euro abgehoben. Seit die EZB zusätzliche Notkredite verweigert, gelten im Land Kapitalverkehrskontrollen. Die Griechen dürfen seither täglich nur noch 60 Euro abheben. Von Montag an könnten die Barreserven selbst dafür nicht mehr ausreichen. Die Banken bräuchten dann dringend frische Notkredite von der griechischen Zentralbank. Die EZB muss das genehmigen, doch sie täte es wohl nur, wenn es eine Einigung auf ein tragfähiges Hilfspaket gibt. Darüber hinaus brauchen die Banken auch mittelfristig neues Kapital - jene 25 Milliarden, die im Papier von IWF, EU-Kommission und EZB stehen. Denn durch den Wirtschaftseinbruch sitzen die Institute auf vielen faulen Krediten, von denen einige abgeschrieben werden müssten. Einigen griechischen Banken drohten Insolvenz und die Schließung, später könnten sie mit stärkeren Banken fusioniert werden, heißt es in Finanzkreisen. Von den vier großen Geldhäusern National Bank of Greece, Eurobank, Piraeus und Alpha Bank könnten am Ende noch zwei bestehen bleiben. In dem Hilfspaket müssten auch die Mittel für eine Rekapitalisierung der Banken bereitgestellt werden. zyd

Was würde ein Grexit auf Zeit kosten?

Bei einem vorübergehenden Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion würden für die Gemeinschaft monetäre und ideelle Kosten entstehen. Die Auswirkungen können nur geschätzt werden, weil nicht absehbar ist, welcher Dominoeffekt entsteht. So hatte die Entscheidung der US-Regierung im Jahr 2008, die Investmentbank Lehman Brothers pleitegehen zu lassen, beinahe zum Zusammenbruch des weltweiten Bankensystems geführt. Sicher ist, dass Athen nach der Einführung einer nationalen, zum Euro deutlich abgewerteten Währung nicht mehr fähig wäre, Kredite zu bedienen. Die Gläubiger müssten diese abschreiben. Nicht ausgeschlossen ist, dass auch Italien, Portugal, Spanien und andere stark verschuldete Länder wieder höhere Zinsen für ihre Staatsanleihen zahlen müssten. Mit einem Austreten Griechenlands wäre nämlich die irreversibel angelegte Währungsunion gescheitert. Das dürfte Spekulanten motivieren, auf weitere Austritte zu wetten. gam

Was löst ein Grexit auf Zeit in Griechenland aus?

Wenn das Land zur Drachme zurückkehrt, wird die neue, alte Währung gegenüber dem Euro massiv abgewertet. Auf einen Schlag wird das verbleibende Vermögen auf den Bankkonten deutlich weniger wert, was eher Menschen mit weniger Geld treffen dürfte als die Reichen, die bereits viel ins Ausland geschafft haben. Der Import von Produkten verteuert sich, das treibt die Inflation hoch. Griechenland importiert etwa 80 Prozent seiner Energie, 40 Prozent seiner Nahrungsmittel und einen Großteil seiner Medikamente. Was mit den maroden Banken geschieht, ist unklar. Die Zentralbank kann nun ihr Geld selbst drucken, damit die Banken am Leben erhalten und den Staat finanzieren. Mit den Einnahmen in abgewerteten Drachmen wird es für die Regierung (und andere griechische Schuldner) viel schwerer, ihre Euro-Schulden zurückzuzahlen. Allerdings kämen auch mehr Urlauber nach Griechenland, weil Reisen dorthin billiger werden; und das bringt zumindest der Tourismusbranche zusätzliche Einnahmen. aha

Wie wirkt sich ein Grexit auf die Euro-Zone aus?

Die direkten volkswirtschaftlichen Folgen wären überschaubar. Griechenland trägt nur zwei Prozent zur Wirtschaftsleistung der Euro-Zone bei. Weniger als ein halbes Prozent der deutschen Exporte gehen in das Land. Europas Firmen erleiden durch ein wirtschaftliches Chaos dort also keine größeren Verluste. Auch Europas Banken halten kaum noch Kredite mit griechischen Schuldnern, sie wären von einem Zahlungsausfall wenig betroffen. Wenn Griechenland nach einem Grexit die Hilfskredite nicht zurückzahlt, ist das in erster Linie ein politisches Problem etwa in Deutschland; im Vergleich zu den Steuer-einnahmen des deutschen Staates wären die Ausfälle verkraftbar. Die entscheidende Frage ist, ob ein Grexit Investoren bewegen würde, auf einen Austritt weiterer Krisenstaaten wie Spanien oder Portugal zu spekulieren. Zahlreiche Ökonomen sehen die damit verbundenen Gefahren kleiner als vor ein paar Jahren, als diese Länder in einer ähnlich desolaten Lage waren wie Griechenland. Inzwischen geht es all diesen Staaten deutlich besser. aha

Ist es realistisch, dass Athen in die Euro-Zone zurückkehrt?

Eine Studie über 70 Länder, die seit dem Zweiten Weltkrieg Währungsverbünde verlassen haben, stellt bei zwei Dritteln von ihnen wirtschaftliches Wachstum bereits im ersten Jahr fest. Nach drei Jahren war die Quote noch höher. Ein Land kann nach dem Ausscheiden aus der Währungsunion wirtschaftlich gesunden. Es muss dazu aber die richtige Politik betreiben. Einige baltische Staaten standen nach Ausbruch der Finanzkrise 2007 vor dem Abgrund. Sie zogen wie Lettland ein hartes Anpassungsprogramm durch und traten ein paar Jahre später dem Euro bei. Das schleppende Reformtempo der griechischen Regierungen seit 2009 erlaubt allerdings Zweifel, ob dem Land eine Rückkehr gelingen würde. aha

© SZ vom 13.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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