Flüchtlinge gegen den Terror:"Ihr habt uns stolz gemacht"

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In einem Plattenbau im Leipziger Stadtteil Paunsdorf war der Terrorverdächtige festgenommen worden. (Foto: Jan Woitas)

Erleichterung, Freude und Wut auf den mutmaßlichen Bombenbauer von Chemnitz: Im Internet feiern Exil-Syrer die Festnahme des Verdächtigen durch Landsleute. Und wundern sich, warum der Mann Shorts trug.

Von Dunja Ramadan, München

Sie suchten nach ihm an Bahnhöfen, an Flughäfen, auf Sachsens Straßen - aber auch im virtuellen Raum. Während die Polizei in Sachsen fieberhaft nach dem flüchtigen Dschaber al-Bakr fahndete, wurden viele hier lebende Syrer in den sozialen Netzwerken des Internets aktiv. In nahezu allen großen Facebook-Gruppen der syrischen Exil-Gemeinde riefen die Administratoren dazu auf, den Mann aus Syrien zu finden, der verdächtigt wird, einen Bombenanschlag vorbereitet zu haben. In der Nacht zum Montag führten eben die Aufrufe und Fahndungsfotos auf Facebook dazu, dass drei Syrer in Leipzig den jungen Mann, der bei ihnen um einen Schlafplatz gebeten hatte, als den gesuchten Dschaber al-Bakr wiedererkannten.

Das ist kein Zufall. Für Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak und aus anderen Ländern sind die sozialen Netzwerke das wichtigste Forum, um sich zu informieren und untereinander, aber auch mit daheim oder in anderen Ländern zurückgebliebenen Familienmitgliedern und Freunden in Kontakt zu bleiben. Auf Facebook gibt es zahlreiche Gruppen, in denen sich Tausende, bisweilen gar Zehntausende Exilanten austauschen. Hier werden Bilder und Gedichte aus der Heimat gepostet, lustige Videos geteilt - und manchmal werden schwarze Schafe in der eigenen Gemeinde gejagt. Und gefunden.

Syrische Flüchtlinge betreiben eine Facebook-Gruppe mit 90 000 Mitgliedern

Die Gruppe "German Lifestyle GLS" hat auf Facebook fast 90 000 Mitglieder und wird von zwei syrischen Bloggern betrieben: Allaa Faham, 19, und Abdul Abbasi, 22, sind als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen und drehen Videos auf Deutsch und Arabisch. Darin sprechen sie über Themen wie Liebe zwischen den Kulturen, Wohnungssuche oder Sprachkurse. Am Sonntag entscheiden sie sich, den Fahndungsaufruf der Polizei nach Dschaber al-Bakr zu posten - und schreiben dazu auf Arabisch: "Wir sind gegen eine Pauschalisierung von Flüchtlingen, denn wir sind nicht alle Terroristen. Wir werden jedem Landsmann den Kampf ansagen, der jenem Volk etwas Böses antun will, das uns sehr, sehr viel gegeben hat." Der S üddeutschen Zeitung sagt Allaa Faham: "Es ist unsere Aufgabe, so einen Aufruf zu teilen, wir erreichen viele Flüchtlinge in unserer Gruppe. Dieses Land hat so viel für uns getan. Wir selbst sind vor Terror geflohen und werden alles tun, damit Terror hier keinen Platz hat." Ob die Syrer in Leipzig durch ihren Aufruf aufmerksam wurden oder durch eine andere Gruppe, weiß er nicht.

Ähnliche Beiträge erscheinen auch in anderen Netzwerken und werden hundertfach kommentiert, oft sehr emotional, einige Nutzer sind wütend, haben Sorge, dass nun alle Flüchtlinge mit verstärkten Vorbehalten zu kämpfen haben. Einer schreibt: "Hoffentlich werde ich ihn nicht finden, denn dann wird die Polizei ihn nicht mehr unversehrt bekommen." Ein anderer bemerkt: "Ab mit ihm direkt in die Hölle!"

Als bekannt wird, dass es Syrer waren, die den Tatverdächtigen an die Polizei lieferten, ist die Freude bei den meisten Flüchtlingen groß. "Tolle Nachricht!!", schreiben die beiden Blogger Faham und Abbasi. Aber es gibt auch einige skeptische Stimmen. Ein Kommentar lautet: "Wenn er sich mit Sprengstoff auskennt, wieso hat er dann nichts, mit dem er sich verteidigen kann, wenn ihn jemand überwältigt?" Ein anderer Nutzer unkt: "Wie kann es sein, dass ein ganzes Land nach einem möglichen Terroristen sucht und er am Ende irgendwelche Syrer anspricht und sie fragt, ob er bei ihnen übernachten darf und sie ihm die Haare schneiden?"

In der Gruppe "Syrische Gemeinde in Deutschland", die mehr als 195 000 Likes gesammelt hat, posten die Administratoren das Foto des gefesselten Dschaber al-Bakr, das die drei Syrer, die ihn überwältigten, aufgenommen haben. Über dem Beitrag steht: "Ein Syrer hat den Terroristen Jaber al-Bakr festgenommen. Und das Beste dabei ist: Sie haben ihn mit einem Stromkabel gefesselt. Ihr habt uns stolz gemacht, ihr Syrer!" Die meisten Nutzer freuen sich über die Festnahme des Terrorverdächtigen. Einer schreibt: "Allahu Akbar, Gott ist groß. Damit niemand sagt, alle Flüchtlinge seien Terroristen!" Zwischen viel Freude und wenig Skepsis entgeht einigen Nutzern ein triviales Detail auf dem Foto des gestellten Dschaber al-Bakr nicht: "Die Gestalten von Daesh", wie der IS auch genannt wird, "tragen doch keine Shorts."

© SZ vom 12.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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