Fipronil-Skandal:Die Spitze des Eibergs

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Ein Bundesinstitut befürchtet, dass das Insektizid schon länger verwendet wurde als bekannt. Belastete Produkte wurden sogar nach Hongkong geliefert.

Von Daniel Brössler und Jan Heidtmann, Brüssel/München

Mit dem Läusegift Fipronil belastete Eier sind in mindestens 15 EU-Länder geliefert worden. Nach Erkenntnissen der EU-Kommission wurden die verseuchten Eier zudem in der Schweiz und in Hongkong verkauft. Die EU-Kommission beruft daher einen Eier-Gipfel ein, voraussichtlich für den 26. September. "Das Ziel ist es, relevante Lehren zu ziehen und Wege zu diskutieren, fortlaufend die Effektivität des EU-Systems im Umgang mit Betrug und Sicherheit im Lebensmittelbereich zu verbessern", sagte eine Kommissionssprecherin am Freitag in Brüssel. Das hochrangige Treffen solle in "einigem zeitlichen Abstand zu den aktuellen Ereignissen" abgehalten werden, damit alle Fakten verfügbar seien.

Am Eier-Gipfel sollen Minister und Vertreter der zuständigen EU-Behörden teilnehmen. Er ist aber ausdrücklich nicht als Krisentreffen geplant. Die EU habe "das fortschrittlichste und ausgefeilteste System weltweit, um Bürger und Konsumenten zu schützen", sagte ein Sprecher. Aus jedem Ereignis ließen sich aber Lehren ziehen, um das System weiter zu verbessern. In der Kritik stehen insbesondere die belgischen Behörden, weil sie erst sieben Wochen nach Feststellung des ersten Verdachtsfalls eine Warnung ins Europäische Schnellwarnsystem für Lebens- und Futtermittel einspeisten. Belgien wiederum wirft den Niederlanden vor, bereits im November 2016 über erste Informationen verfügt zu haben.

Bei einem Eier-Gipfel will sich die EU mit dem Skandal befassen. (Foto: dpa)

Die EU-Kommission schloss erneut eigenes Fehlverhalten aus. Zwar habe Belgien bereits am 6. Juli die Niederlande über ein EU-Netzwerk für Betrugsfälle im Lebensmittelbereich konsultiert, dieses Netzwerk operiere aber vollkommen getrennt vom Schnellwarnsystem. Von belgischer Seite habe es vor dem 20. Juli keinerlei direkte Unterrichtung der EU-Kommission gegeben. Es sei Gegenstand von Untersuchungen, ob Belgien das Schnellwarnsystem zu spät aktiviert und damit gegen EU-Regeln verstoßen habe. Man beteilige sich nicht an einem "Schwarze-Peter-Spiel". Die Regeln seien klar.

Nur ein Drittel aller Deutschen sieht sich laut einer Umfrage durch den Ei-Skandal gefährdet

Nach Angaben der EU-Kommission sind Geflügelbetriebe in Belgien, den Niederlanden, Deutschland und Frankreich im Zusammenhang mit dem Fipronil-Skandal gesperrt worden. Aus diesen Firmen seien Eier nach Schweden, Großbritannien, Österreich, Irland, Italien, Luxemburg, Polen, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, Dänemark, die Schweiz und nach Hongkong exportiert worden. "Im Sinne der Transparenz" habe man weltweit die Handelspartner der EU informiert. Die EU-Agrarminister treffen sich bereits Anfang September in Tallinn zu ihrer turnusmäßigen informellen Sitzung. Auch dort dürfte der Eier-Skandal zur Sprache kommen.

Nach einer Umfrage im Auftrag des ZDF-Politbarometers stehen die Deutschen dem Eier-Skandal weitgehend gelassen gegenüber. Nur gut ein Drittel der Befragten gab an, dadurch die eigene Gesundheit gefährdet zu sehen; 61 Prozent sagten, sie machten sich keine Sorgen. Dennoch plädierten 73 Prozent dafür, die Gesetze und Kontrollen im Lebensmittelbereich zu verschärfen.

Trotz der jüngsten Erkenntnisse geht auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) davon aus, das die Gesundheit der Bevölkerung nicht gefährdet ist. Zwar zeige sich nun, dass es sich nicht um einen einmaligen Einsatz von Fipronil gehandelt habe; die Tatsache, dass niederländische Behörden bereits im vergangenen November einen anonymen Hinweis bekommen haben, deute eher darauf hin, dass das Mittel schon länger im Einsatz sei, sagt die Toxikologin Monika Lahrssen-Wiederholt vom BfR. Die Testmethoden seien deshalb auf eine dauerhafte Einnahme von Fipronil eingestellt worden. "Bei Kindern ist der gesundheitliche Richtwert bei einem langfristigen Verzehr zu 76 Prozent ausgeschöpft und bei Erwachsenen zu 24 Prozent", sagt Lahrssen-Wiederholt. Der Grenzwert werde also in beiden Fällen nicht überschritten.

Obwohl es immer wieder einmal zu Skandalen kommt, zuletzt beim mit Salmonellen verseuchten Bayern-Ei, sehen Umweltschutzverbände Eier eigentlich als einigermaßen sicheres Lebensmittel an: Anders als die meisten landwirtschaftlichen Güter müssen sie eine klare Herkunftsbezeichnung tragen; zudem ist der Anteil an Bioprodukten höher als bei den vielen anderen Lebensmitteln. NGOs wie der BUND oder Foodwatch fordern nun, das Kontrollsystem in der EU so umzugestalten, dass gesundheitsrelevante Informationen nicht so lange zurückgehalten werden können. Außerdem sollten die Haltungsbedingungen der Legehennen, die ja erst den Einsatz solcher Mittel erforderlich machen, verbessert werden.

Ein Schutz gegen gezielten Betrug ist das jedoch nicht. Wie hoch die kriminelle Energie der Händler des mit Fipronil versetzten Reinigungsmittels Dega-16 offenbar war, berichtet der Spiegel in seiner jüngsten Ausgabe. Demnach täuschten Vertreter der niederländischen Firma Chickfriend, die Dega-16 vetrieb, die Landwirte bewusst, indem sie ein amtlich aussehendes "Produktsicherheitsblatt" mitlieferten. Dort wurde das Mittel als vollkommen harmlos beschrieben; tatsächlich ist Dega-16 offensichtlich von keiner Behörde zugelassen worden. Es war von Chickfriend als eine Art Wundermittel angepriesen worden, um gegen die rote Vogelmilbe vorzugehen, die Hühnerställe befällt. Anders als andere Mittel, die nur einen Schutz von zwei bis drei Monaten gewähren, versprach Dega-16, die Parasiten für mehr als ein halbes Jahr zu vertreiben.

© SZ vom 12.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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