Finanzkrise:Bush allein im Regen

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Das 700-Milliarden-Dollar-Paket für die US-Finanzmärkte ist geplatzt: Die Republikaner im Repräsentantenhaus lassen ihren Präsidenten im Regen stehen. Nun hofft die Branche auf eine Sitzung der Abgeordneten am Donnerstag.

Chr. Wernicke und M. Koch

Jeb Hensarling zählt nicht zur Prominenz in Washingtons Politbetrieb. Wirklichen Respekt genießt der Kongressabgeordnete nur bei der konservativen Rechten, und nur dort hat das Wirken des 51-jährigen Republikaners bisher sichtbare Spuren hinterlassen - in Form marktradikaler Pamphlete. Aber an diesem Montag, da Amerikas Repräsentantenhaus Geschichte schreiben und das mit 700 Milliarden Dollar teuerste Rettungspaket aller Zeiten verabschieden soll, da spricht Jeb Hensarling für weit mehr Menschen als nur seinen elitären Zirkel rechter Fundis.

Nach der Abstimmung: Eine sichtlich geschockte Nancy Pelosi und andere Abgeordnete. (Foto: Foto: AP)

Mit Leidenschaft wirft sich der Texaner ins Zeug. Sein Entsetzen, dass Amerika mit dem Notplan für die Wall Street "auf die Rutschbahn in Richtung Sozialismus" gerate, mögen nur Kollegen auf seiner Seite des politischen Spektrums teilen. Aber was dann folgt, können auch linke Demokraten unterschreiben: "Wenn wir unsere Fähigkeit zu scheitern verlieren", so verkündet der Republikaner die Logik des Aufstands, "dann verlieren wir bald auch unsere Fähigkeit zum Erfolg."

Sie gehorchen Gefühlen, nicht dem kühlen Verstand

Die Reichen an der Wall Street dürften nicht mit Steuergeld für ihre riskanten Exzesse belohnt werden. Das sehen auch viele Demokraten so. Vor allem linke Abgeordnete aus Wahlkreisen, wo die Krise inzwischen die Arbeitslosigkeit in die Höhe und die Preise für das Eigenheim in den Keller getrieben hat, spüren Wut darüber, welche Art von Solidarität ihnen ihre Parteiführung abverlangt.

Und diesen Gefühlen, nicht dem kühlen Verstand, gehorchen sie dann: Sensationell fällt der Rettungsplan durch, mit 228 zu 205 Stimmen. Wie erwartet votieren mehr Republikaner gegen als für das Paket, das Regierung und die demokratische Kongressführung übers Wochenende ausgehandelt hatten. 133 Republikaner verweigern dem Präsidenten die Gefolgschaft, 65 stimmen zu. Nur, dass auch 95 Demokraten ihren Emotionen folgen würden und gegen das Establishment stimmen, damit hatte niemand gerechnet.

Nancy Pelosi, die demokratische Mehrheitsführerin, stellt sich kreidebleich der Presse. Mehr als ein lauer Appell zu überparteilicher Zusammenarbeit kommt ihr nicht über die Lippen. Drei Stunden zuvor hatte die Abgeordnete aus dem linksliberalen San Francisco noch ganz anders geklungen. Unmittelbar bevor die Glocke zur Abstimmung rief, schimpfte sie noch einmal mit ganzer Verve über die "halsbrecherische Wirtschaftspolitik" der Regierung von George W. Bush. Es sollte eine flinke Generalabrechnung werden, um den Linken in den eigenen Reihen doch noch Mut zu machen für ein Ja-Votum. Doch ihre Klage über die "Alles-ist-möglich-Mentalität" dieser Regierung ging nach hinten los.

"Stimmung vergiftet"

Denn Pelosis Philippika trieb die Republikaner auf die Barrikaden. John Boehner, der Minderheitsführer, machte Pelosi prompt für die vielen Nein-Stimmen verantwortlich. Die Madame Speaker habe mit ihrer aggressiven und parteilichen Rede "die Stimmung vergiftet" und für viele Republikaner eine Zustimmung unmöglich gemacht. Während der Debatte hatte sich Boehner noch mit einem dramatischen Appell an seine Parteifreunde gewendet. Sie sollten die Schäden bedenken die ein Scheitern für ihre Freunde, ihre Nachbarn, ihre Wähler bedeuten würde. Die Ersparnisse der Bürger könnten sich in Luft auflösen.

Präsidentschaftskandidat John McCain mahnte hernach, es sei "nicht die Zeit, Schuldige zu benennen, sondern das Problem zu lösen". Doch im Satz zuvor hatte er "Senator Obama und seinen Verbündeten" vorgeworfen, die Interessen ihrer Partei über die des Landes gestellt zu haben.

Die Demokraten reagierten empört. "Das ist Irrsinn, was die Republikaner behaupten", spottete Barney Frank, Vorsitzender des Finanzausschusses. "Sie sagen: 'Irgendwer hat meine Gefühle verletzt, also schade ich meinem Land.' Gebt mir ihre Namen, damit ich sie trösten kann." Dass die Sache schiefgehen könnte, hat Frank geahnt, seit ihm am Wochenende ein konservativer Kollege seine Prinzipien anvertraut hatte: "Ökonomischer Schmerz ist nötig, um die wirtschaftliche Freiheit zu bewahren."

Die politischen Folgen dieses Denkens könnten die Grand Old Party teuer zu stehen bekommen. "Nun sind wir in den Augen der Bürger nicht nur die Partei, die die Finanzkrise zu verantworten hat, sondern auch diejenige, die eine Lösung verhindert hat", stöhnt ein Parteistratege.

Und George W. Bush? Der Noch-Präsident sagt nur staatstragend, er sei "sehr enttäuscht". Nun wolle er mit seinen Beratern über die nächsten Schritte sprechen. Das Land sei in einer schwierigen Krise, die angegangen werden müsse.

"Spiel mit dem Feuer"

Fast dieselben Worten gebraucht sein Finanzminister Henry Paulson, als er dann aus dem Weißen Haus kommt und in der milden Abendsonne die harte Lage beschreibt: Amerikas Finanzmarkt sei "in Aufruhr", ja "die Märkte rund um die Welt stehen unter Stress".

Dem Finanzminister geht es kaum besser, in den vergangenen Tagen hat er kaum Schlaf bekommen und am Wochenende angeblich sogar einen Schwächeanfall erlitten. Aber er will weiter rackern und "einen Weg finden, einen umfassenden Plan" zu schmieden und dann eben diesen in einem zweiten Anlauf so schnell wie möglich durch den Kongress bringen.

Paulson, vor seiner Berufung selbst Investmentbanker, musste zusehen, wie die Nachricht aus Washington an der Wall Street einschlug. In New York stürzte die Börse ab, der Dow Jones Index fällt um 777 Punkte. Das ist der größte Tagesverlust aller Zeiten, schlimmer noch als am 11. September 2001, da nebenan die Twin Towers einstürzten.

Die Broker reagieren fassungslos: "Der Kongress spielt mit dem Feuer", sagt Laurence Fink, Chef der Investmentfirma Blackrock. "Es geht hier nicht um Wall Street, es geht um Main Street, um die Bürger unseres Landes." Die Händler sprechen von einer nationalen Blamage und sehen schiere Not auf das Land zukommen: Der Strom neuer Kredite, ob für Investitionen oder ein neues Auto, ist schon so gut wie versiegt. Aber da geht es dem Kongress kaum besser: Auch der hat am Montag eine Menge Kredit verspielt, nicht nur an der Wall Street.

© SZ vom 30.09.2008/ihe/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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