FDP-Parteitag:Guido, der Emotions-Express

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FDP-Chef Guido Westerwelle hält auf dem Parteitag ein leidenschaftliches Plädoyer für den Liberalismus. Das tut er so emotional wie nie zuvor und punktet so kräftig beim Parteivolk. Doch der Grat zwischen Volksnähe und Populismus ist schmal.

Bernd Oswald, München

Nach außen hin tut Guido Westerwelle so, als ob er darüber stehe, dass ihm die SPD die Schau stiehlt. Die Sozialdemokraten halten parallel zum FDP-Parteitag einen Zukunftskonvent ab. SPD-Chef Beck redet fast gleichzeitig wie Westerwelle. Der FDP-Vorsitzende ist Realist genug, um zu wissen, dass der Ober den Unter sticht, sprich die mediale Aufmerksamkeit sich auf die schlingernde SPD konzentriert.

FDP-Chef Westerwelle: Wir sind ein eigenes Lager (Foto: Foto: Getty)

"Auf die Schlagzeilen von Herrn Beck verzichte ich gerne. Gute Wahlergebnisse sind besser", sagt Westerwelle trotzig und verweist stolz darauf, dass die FDP bei 44 der vergangenen 50 Wahlen zugelegt hätten. Er führt das auch auf die Geschlossenheit in der Partei zurück. In der Tat gibt es bei den Liberalen deutlich weniger Kakophonie als in anderen Parteien, was auch daran liegt, dass es kaum einem FDP-Politiker gelingt, das Westerwellsche quasi-Monopol auf Schlagzeilen zu brechen.

Ausgerechnet an diesem Parteitag wird die Geschlossenheit aber auf eine schwere Probe gestellt: Am Sonntag stehen gleich drei Anträge zum neuen Steuerkonzept der Partei zur Abstimmung. Die Landesverbände Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen haben konkurrierende Steuermodelle zu dem des Bundesvorstandes eingereicht.

Deppen der Nation

Westerwelle geht erstaunlich wenig auf diese Kontroversen ein, viel lieber betont er die übergeordnete Botschaft, ganz gleich, welches Konzept sich am Ende durchsetzen werde: Die FDP will die Bürger massiv entlasten.

Eigentlich müsste man sagen: Die FDP will die Mittelschicht massiv entlasten. "Es ist diese Mitte, die mit ihren Steuern und Abgaben unser Land trägt", erklärt Westerwelle. Ergo fordert der oberste Liberale, dass die Mittelschicht "endlich Solidarität bekommt".

Wenn es um die Steuererhöhungen der großen Koalition geht - Westerwelle spricht von 19 - dann ist er in seinem Element, redet sich richtig in Rage: "Alle, die arbeiten, sind doch die Deppen der Nation". Sie würden abkassiert "durch die Sozis: die roten, die schwarzen, die grünen und die dunkelroten sind noch schlimmer", zetert Westerwelle. Da hat er den Nerv der 662 Delegierten getroffen, die tosenden Applaus spenden. Westerwelle weiß, dass er sich an der Grenze zum Populismus bewegt.

Er prophezeit schon Schlagzeilen, dass er in diesem Punkt nicht besonders "philosophisch und intellektuell" gesprochen habe. Nach einer Kunstpause setzt er ein bestimmtes "Ja" - und sichert sich die Lacher des Parteivolks. Aber Guido Westwelle ist heute ein einziger Emotions-Express: "Ich habe nicht die Absicht, volksnahe Sprache den anderen überlassen." Das zeigt sich auch beim Thema Bürgerrechte, dem Westerwelle ebenfalls einen signifikanten Teil seiner Grundsatzrede widmet.

Gläserne Welt

Zehn Jahre ist die FDP nicht mehr in der Bundesregierung. In Westerwelles Welt hat das zu folgender Bilanz geführt: "Der gläserne Bankkunde, der gläserne Telefonnutzer, der gläserne Steuerzahler, der gläserne Patient, der gläserne Fluggast, der gläserne Computer. Und demnächst vermutlich auch der gläserne Autofahrer."

Das Thema eignet sich natürlich gut für ein Plädoyer zur Freiheit, als deren Bannerträger sich die Liberalen verstehen. Und Westerwelle liefert diese Plädoyer leidenschaftlich ab. Er versetzt sich in die Rolle des überwachten Bürgers und schleudert dem Big Brother-Staat der großen Koalition entgegen: "Verdammt noch mal, wie ich zuhause lebe, geht Euch nichts an. Haltet Euch da raus." Wieder erntet der 46-jährige Parteichef kräftigen Applaus.

In einem anderen Feld gerät Westerwelles Abrechnung mit der Regierung Merkel zum Spott: Reine Symbolpolitik sei es, wenn die Bundeskanzlerin nach Grönland fahre, um dort die Auswirkungen des Klimawandels mit eigenen Augen zu sehen. "Wer sich ein Bild von einem schmelzenden Gletschern machen will, muss lange daneben stehen bleiben", höhnt Westerwelle.

"Vorfahrt durch Vernunft"

Er fordert in der Energie- und Umweltpolitik "Vorfahrt durch Vernunft" und die Symbiose von Herz und Verstand. Als solche preist Westerwelle den Liberalismus der FDP an. Als Haltung zum Leben, "die gut für das ganze Volk ist." Das ganze Volk - darunter macht es Westerwelle an diesem Samstag nicht. Er spricht zwar noch nicht von der Volkspartei FDP, besteht aber doch darauf, dass die FDP keinem Lager angehöre, nicht der natürliche Koalitionspartner der Union sei. "Wir sind ein eigenes Lager", behauptet Westerwelle mutig, wenn auch gewagt. Beim Parteivolk kommt er damit glänzend an.

Johannes Vogel, der Chef der Jungen Liberalen, spricht von einer "sehr starken" Rede, Miriam Gruss, die kinder- und jugendpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagfraktion, findet die Rede "fulminant" und zeigt sich selbst "mitgerissen". Der niedersächsischen Delegierten Gesine Meißner wird es "als Sozialpolitikerin warm ums Herz". Westerwelle hat offenbar geschafft, was viele in der Partei seit längerem fordern: die emotionale Seite der FDP zu betonen. Die volksnahe Sprache will Westerwelle auch beim bayerischen Wahlkampf pflegen. Gelegenheit gibt es offenbar genug: "Ich habe so viele Volksfesteinladungen, da wird sogar Erwin Huber neidisch werden."

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