Familienarbeitszeit:Nur 28 bis 32 Stunden

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Ökonomen fordern eine flexible wöchentliche Arbeitszeit für beide Elternteile - mit einem staatlichen Lohnausgleich.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Als Manuela Schwesig (SPD) ihr Amt als Bundesfamilienministerin antrat, erregte erst ihr Alter Aufsehen und dann eine Kommunikationspanne. Ohne Absprache schlug sie die Familienarbeitszeit vor. Das Modell, das das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung entwickelt hatte, strebt eine gerechtere Arbeitsteilung für Paare mit Kindern an. Statt hinzunehmen, dass ein Partner - oft der Vater - in Vollzeit arbeitet und der andere - meist die Mutter - in Teilzeit oder gar nicht, sollten beide Eltern 32 Stunden pro Woche Geld verdienen. Die Gehaltsverluste, die ihnen im Vergleich zu zwei Vollzeitjobs entstehen, sollte der Staat teilweise ausgleichen.

Eine Erfinderin dieses Modells ist die Berliner Soziologin Jutta Allmendinger, die angesichts steigender Lebenserwartung fordert, die Lebensarbeitszeit zu strecken. Statt die Karriere in 40 Jahren absolvieren zu müssen, sollten Eltern in Zeiten, in denen Kinder zu betreuen sind oder alte Eltern, ihre wöchentliche Arbeitszeit verkürzen können, und zwar beide. Die fehlende Erwerbszeit, so Allmendiger, könnten sie in späteren Jahren nachholen. Väter hätten so, wie von vielen gewünscht, mehr Zeit für die Familie. Mütter könnten früher in den Beruf zurückkehren und so Altersarmut vorbeugen. Soweit die Idee.

Als Ministerin Schwesig die Familienarbeitszeit in einem Interview aufgriff, wurde sie von der Kanzlerin zurückgepfiffen. Eine 32-Stunden-Woche mit staatlichem Lohnausgleich sei im Koalitionsvertrag nicht vereinbart. Schwesig war düpiert, wirbt aber seither für die Idee. Und auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das das Modell vor zwei Jahren für die Friedrich-Ebert-Stiftung entwickelt hat, legte nach. Am Mittwoch stellte es die "Familienarbeitszeit reloaded" vor, also eine weiterentwickelte Variante.

Mehr Zeit fürs Kind: Ein flexibler Arbeitszeitkorridor soll helfen. (Foto: Jakob Berr)

Anstatt Eltern wie im bisherigen Modell für die staatliche Lohnersatzleitung auf eine Arbeitswoche von 32 Stunden festzulegen, so die Ökonomen, könnte beiden ein flexibler Arbeitskorridor von 28 bis 32 Wochenstunden angeboten werden. Denn nicht immer erlauben es beide Jobs der Eltern, auf 32 Stunden zu reduzieren oder aufzustocken. Ein Simulationsmodell des DIW, das das Arbeits- und Freizeitverhalten von 4465 Familien mit Kindern bis drei Jahren berücksichtigte, zeigte mehr Zuspruch für die flexiblere Variante. Hier verdoppelte sich die Zahl der Paare, die allein aus finanziellen Gründen bereit sind, Arbeit und Familie gerechter aufzuteilen und zwischen 29 und 32 Stunden zu arbeiten.

"Die Verdoppelung ist ein durchaus großer Effekt", sagt die DIW-Ökonomin Katharina Wrohlich. Zudem steige die Attraktivität des Modells, wenn der Staat statt individueller Lohnersatzleistungen eine Pauschale von durchschnittlich 250 Euro an Eltern zahle, die sich Beruf und Familie partnerschaftlich aufteilen. Die Pauschale wäre sozial gestaffelt, fiele also bei Geringverdienern höher aus. So könne für mehr Gerechtigkeit gesorgt werden, es falle aber auch Verwaltungsaufwand weg. "Aus unserer Sicht hat das Modell mit einem Korridor und einer Pauschalleistung die meisten Vorteile", so der Wirtschaftswissenschaftler Kai-Uwe Müller.

Auffällig ist jedoch, dass die Zahlen sich - bei allem Zuwachs - auf niedrigem Niveau bewegen. Nur drei Prozent der Paare würden sich in der DIW-Simulation für die flexiblere Familienarbeitszeit entscheiden. In Umfragen dagegen liegt die Zahl der Eltern, die sich eine gerechtere Aufteilung wünschen, deutlich höher. Nicht unwichtig ist die Frage der Kosten. Das DIW rechnet mit Nettogesamtkosten von "nicht mehr als 320 Millionen Euro pro Jahr". Sollte die Nachfrage aber steigen, weil das Familienbild sich wandelt, wäre "mit wesentlich höheren Kosten zu rechnen".

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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