Fall Kurnaz:Steinmeiers Weltsicht

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Man muss kein Hellseher sein, um vorherzusagen, wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier als Zeuge zum Fall Murat Kurnaz im BND-Untersuchungsausschuss auftreten wird.

Peter Blechschmidt

Zunächst wird Steinmeier schildern, wie die Welt nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in Terrorfurcht erstarrt war. Er wird beschreiben, unter welchem Druck die deutschen Sicherheitsbehörden gestanden haben. Er wird alle Verdachtsmomente aufzählen, die Kurnaz als Sicherheitsrisiko erscheinen ließen. Er wird beteuern, dass es richtig war, Kurnaz die Rückkehr nach Deutschland zu verweigern. Und er wird jede Mitschuld daran, dass Kurnaz noch bis August 2006 in Guantanamo ausharren musste, weit von sich weisen.

Seit Januar geht es im Ausschuss um Kurnaz, und es geht nur schleppend voran. Zweimal schon wurde die Vernehmung Steinmeiers verschoben. Eine Zeitlang sah es so aus, als könnte das Schicksal des heute 25-jährigen Kurnaz, der in Bremen aufgewachsen ist und inzwischen wieder dort bei seinen Eltern lebt, den Außenminister ernsthaft in Bedrängnis bringen.

Im September 2002 brachten drei deutsche Beamte nach einer Befragung von Kurnaz in Guantanamo die Botschaft eines US-Geheimdienstlers mit, die Freilassung von Kurnaz stehe bevor. Dies war für Steinmeier, der damals Chef des Kanzleramtes war, und für die Präsidenten der deutschen Sicherheitsdienste der Anlass, eine Einreisesperre gegen Kurnaz zu verhängen.

Viele Merkwürdigkeiten

Anfang März 2007 wurde es für Steinmeier nochmals eng, als der frühere US-Sonderbeauftragte für Guantanamo, Pierre-Richard Prosper, sagte, die Deutschen hätten Kurnaz freibekommen können, wenn sie sich nur ernsthaft bemüht hätten. Kurz zuvor hatte Ex-Außenminister Joschka Fischer geschildert, wie er sich - leider vergeblich - bei seinem damaligen amerikanischen Kollegen Colin Powell für Kurnaz verwendet habe.

Zu den vielen Merkwürdigkeiten, die im Ausschuss zutage traten, gehört die Aussage Fischers, er und sein Auswärtiges Amt hätten bei ihren Bemühungen um Kurnaz von der Haltung des Kanzleramtes und des Innenministeriums nichts gewusst, Kurnaz außer Landes zu halten. Zu dieser Version passt nicht, dass ein Staatssekretär des Auswärtigen Amtes stets an der Präsidentenrunde der Geheimdienstchefs im Kanzleramt teilnimmt.

Seltsam auch, dass sich - laut dem Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbele - in den Akten kein Hinweis findet, dass der frühere BND-Präsident und jetzige Innen-Staatssekretär August Hanning die Berichte der Guantanamo-Vernehmer für fehlerhaft und unprofessionell hielt, wie Hanning vor dem Ausschuss sagte.

Soweit die Öffentlichkeit von den Ausschusssitzungen nicht ausgeschlossen wurde, boten die Anhörungen vielfältige Einblicke in die Arbeit der Geheimdienste. Die Zuhörer lernten, dass juristisch irrelevante Gerüchte gleichwohl für Sicherheitsbehörden ausreichender Anlass sein können, jemanden zu einem potentiellen Terroristen zu erklären und als solchen zu behandeln. Bis heute versucht SPD-Obmann Thomas Oppermann nachzuweisen, dass Kurnaz zumindest zum Umfeld der Hamburger Terroristen vom 11. September 2001 gehörte.

Diese Botschaft zeigt Wirkung, und sie entlastet Steinmeier. Die Mehrheit der Bevölkerung fragt sich ohnehin, warum sich die Bundesregierung für einen Türken, der seine Zugehörigkeit zum Islam mit auffälliger Barttracht demonstriert, überhaupt einsetzen sollte. Für die Opposition jedoch steht fest, dass im Fall Kurnaz elementare Grundrechte verletzt wurden. Der FDP-Obmann Max Stadler sieht ,,eine Krise des praktischen Rechtsstaatsschutzes''.

Gebremster Aufklärungseifer

Und der Linkspartei-Vertreter Wolfgang Neskovic, Bundesrichter außer Diensten, wirft Steinmeier und dessen Untergebenen vor: ,,Sie haben den Rechtsstaat im Stich gelassen.''Steinmeier ist nicht nur im Fall Kurnaz die zentrale Figur. Der Ausschuss soll auch andere Aktivitäten des BND aufklären - ob er US-Gefangene im Ausland befragt hat, ob er während des Irak-Kriegs Agenten in Bagdad spionieren ließ oder ob er im Inland Journalisten bespitzelte. Stets laufen die Fäden im Kanzleramt zusammen, das für den BND zuständig ist.

Während die Rollenverteilung zwischen dem Verteidiger Oppermann und den Angreifern von der Opposition klar ist, tut sich die Union schwer. Die Große Koalition bremst den Aufklärungseifer. Natürlich wolle man alle notwendigen Fragen stellen, sagt CDU-Obmann Hermann Gröhe. Auch der Ausschussvorsitzende Siegfried Kauder lässt gelegentlich Unmut aufblitzen über Fehlverhalten im Fall Kurnaz. Doch die Beißhemmung gegenüber den Zeugen aus der Regierung ist bei der Union unverkennbar.

Manche sagen, wenn die schwarz-rote Koalition vorzeitig auseinanderfallen sollte, würde sich das wohl an Steinmeier festmachen. So wie ihn jetzt seine Schlüsselposition in der Regierung stützt, so könnte ein allzu langes Sündenregister auch der Hebel sein, das Bündnis platzen zu lassen.

© SZ vom 29.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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