Existenzminimum:Was man so braucht

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Arbeitsministerin Nahles will die Hilfe für Ausländer begrenzen. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Welche Unterstützung steht arbeitslosen Ausländern in Deutschland zu? Andrea Nahles plant dazu ein Gesetz, doch zunächst prüft das Verfassungsgericht.

Von Wolfgang Janisch

Dürfen arbeitslose Ausländer in Deutschland von Hartz IV-Ansprüchen ausgeschlossen werden? In diesem unübersichtlich gewordenen Streit ist nun das Bundesverfassungsgericht angerufen worden. Das Sozialgericht Mainz hält es für verfassungswidrig, dass Ausländer, die allein zur Arbeitssuche in Deutschland sind, von den Leistungen ausgeschlossen sind. Dies verstoße gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Das Sozialgericht beruft sich insbesondere auf die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2012. Die Karlsruher Richter hatten dort festgelegt, dass Asylbewerber einen Anspruch auf ein Existenzminimum hätten. Nun schreiben die Mainzer Sozialrichter: "Das Menschenrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verpflichtet den Gesetzgeber zur Schaffung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen für alle Menschen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich aufhalten." Dieses Recht sei "unverfügbar", denn es folge aus dem Schutz der Menschenwürde. (Az: S 3 AS 149/16)

Die Vorlage aus Mainz ist brisant. Würde das Bundesverfassungsgericht dem Beschluss inhaltlich folgen, wäre wahrscheinlich das aktuelle Vorhaben der Bundesregierung hinfällig, EU-Ausländern die Hilfen zu streichen. Nach dem Gesetzentwurf von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sollen EU-Bürger in Deutschland für fünf Jahre von Hartz IV und von Sozialhilfe ausgeschlossen werden, wenn sie in Deutschland noch nicht gearbeitet oder Ansprüche auf Sozialleistungen erworben haben.

Die Rechtslage in diesem Bereich ist strittig. Zwar hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg in mehreren Urteilen bestätigt, dass EU-Zuwanderern kein Leistungsanspruch gewährt werden muss, wenn sie allein zur Arbeitsuche in Deutschland sind. Allerdings hat das Bundessozialgericht diese restriktive Linie teilweise unterlaufen. Mit einem spektakulären Urteil gewährte das oberste Sozialgericht EU-Ausländern vom sechsten Monat ihres Aufenthalts an einen Anspruch auf Sozialhilfe, die - anders als Hartz IV - von den Kommunen zu tragen ist. Das zentrale Argument des Gerichts: Die Menschen hielten sich legal in Deutschland auf und hätten deshalb Anspruch auf das Existenzminimum. Ein Ausschluss von den Leistungen sei nur über die Beendigung des Aufenthaltsrechts möglich.

Gegen dieses Urteil liefen die Kommunen Sturm. Sie befürchteten erhebliche Kosten. Die Bundesregierung reagierte umgehend und legte ihre Pläne zum Leistungsausschluss vor. Unterdessen haben auch die unteren Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit dem Bundessozialgericht vielfach die Gefolgschaft verweigert. Der Vorlagebeschluss aus Mainz könnte nun eine Klärung bringen - falls das Bundesverfassungsgericht ihn aufgreift und nicht aus formalen Gründen abweist.

Wie dann die Karlsruher Richter urteilen werden, ist schwer zu sagen. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2012 die Leistungen für Asylbewerber als zu niedrig eingestuft und ihnen - abgeleitet aus dem Schutz der Menschenwürde - das Existenzminimum zuerkannt: "Dieses Grundrecht steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu." Offen ist gleichwohl, ob dies für EU-Ausländer gleichermaßen gilt, weil diese, anders als Asylbewerber, in ihre Herkunftsländer zurückkehren und die dortigen, wenngleich zumeist niedrigeren Leistungen in Anspruch nehmen können.

© SZ vom 04.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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