Europa am Scheideweg:Merkel will mit Zugeständnissen den EU-Gipfel retten

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Mit substantiellen Zugeständnissen an die Kritiker will die deutsche EU-Präsidentschaft die Reform der Union retten. Polen erhält kein neues Angebot.

Martin Winter

Durch einen Verzicht auf alle staatlichen Symbole, durch eine Verbannung des Begriffes Verfassung aus dem EU-Sprachgebrauch und durch zusätzliche Regeln, welche die Ängste vor einem Superstaat EU nehmen sollen, hofft die Bundeskanzlerin und EU-Präsidentin Angela Merkel an diesem Wochenende in Brüssel auf eine Einigung.

Auf harte Verhandlungen eingestellt: Bundeskanzlerin Angela Merkel. (Foto: Foto: AP)

In einem detaillierten Vertragsentwurf, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, werden vor allem Großbritannien, den Niederlanden und Tschechien Brücken gebaut.

Polens Verlangen nach einer Veränderung der Stimmgewichtung zu seinen Gunsten wurde jedoch nicht aufgenommen. In einer Fußnote wird nur darauf hingewiesen, dass "zwei Delegationen mitgeteilt" hätten, auf dem Gipfel für die polnische Forderung einzutreten. Neben Polen ist das Tschechien.

Dass der polnische Wunsch keine Aufnahme in den deutschen Vorschlag gefunden hat, begründete ein hoher Beamter aus Berlin damit, dass die 25 anderen Länder dagegen seien.

Verzicht auf alles, was an eine Verfassung erinnern könnte

Einige, wie zum Beispiel Spanien, hatten damit gedroht, dass sie zusätzliche Forderungen stellen würden, sollte das Paket, das die EU als Institution betrifft, geöffnet werden. Dazu gehören die Abstimmungsverfahren.

Die deutlichsten Änderungen gegenüber dem Entwurf des Verfassungsvertrags, der vor zwei Jahren bei Volksabstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden gescheitert war, von 18 anderen Ländern aber ratifiziert wurde, ist der Verzicht auf alles, was nur im Entferntesten an eine Verfassung erinnern könnte.

Die Reform soll nun durch die Einfügung wichtiger Teile des Verfassungsvertrags in die geltenden Verträge erreicht werden. Dabei wird den Niederlanden und Tschechien mit einer Stärkung des Einflusses der nationalen Parlamente auf europäische Entscheidungen entgegengekommen.

Den Haag bekommt außerdem seinen Wunsch nach einer Blockademöglichkeit erfüllt, falls es "wesentliche Aspekte seines Systems der sozialen Sicherheit" durch Gesetzesvorhaben in der EU verletzt sieht.

Das Verlangen der britischen Regierung, Fragen des Strafrechts den Mehrheitsentscheidungen zu entziehen, wird insoweit nachgegeben, als ein Staat nachträglich eine Behandlung dieser Themen auf einem EU-Gipfel verlangen kann, auf dem Einstimmigkeit gilt.

Wird diese verfehlt, dann ist der Beschluss zwar hinfällig, zugleich sieht der deutsche Entwurf aber vor, dass dann andere Staaten, wenn sie mindestens "ein Drittel" aller Mitglieder stellen, den Beschluss für sich in Kraft setzen können. Damit soll eine Blockade der gemeinsamen Innen- und Justizpolitik verhindert werden.

Den Kritikern wird auch dadurch entgegengekommen, dass die Charta der Grundrechte nur noch mit einem, allerdings rechtsverbindlichen Verweis erwähnt wird.

"Die Welt geht nicht unter"

Der vor allem in London auf Ablehnung stoßende Satz, dass europäisches über nationalem Recht steht, soll durch einen Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ersetzt werden, die aber regelmäßig den Vorrang des europäischen Rechts bestätigt. Auf besonderen Wunsch Prags wird festgelegt, dass der Europäische Rat auch eine "Verringerung" der EU-Zuständigkeiten beschließen kann.

Angesichts der stark umstrittenen Probleme, neben dem polnischen vor allem die Erwähnung der Charta, die rechtliche Stellung der EU oder die gemeinsame Außenpolitik, spielte ein hoher deutscher Diplomat die Folgen eines möglichen Scheiterns herunter. Davon gehe "die Welt nicht unter". Er widersprach Meldungen von einem polnischen Entgegenkommen. Davon habe Berlin bisher nichts bemerkt.

© SZ vom 21. Juni 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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