Europa allein zu Hause:USA zeigen wenig Interesse an Mazedonien

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Peter Münch

(SZ vom 28.3.2001) - Auf dem Balkan zeigt sich Europas Krankheit. Schizophrenie lautet die Diagnose, gestellt in den neunziger Jahren. Das war die Zeit der beschleunigten EU-Einigung, des Binnenmarktes, der Euro-Euphorie.

Einerseits. Andererseits war es die Zeit der jugoslawischen Erbfolgekriege, der Massenmorde und ethnischen Säuberungen. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichen war oft beklagt, doch noch öfter verdrängt worden.

Aber die Krankheit brach immer wieder aus, wenn der abgekoppelte Teil Europas den aufstrebenden Kernkontinent mit einem neuen Krieg konfrontierte. In Slowenien, Kroatien, Bosnien und auch im Kosovo offenbarte sich Europas Schwäche und Uneinigkeit. Wird sich nun in Mazedonien endlich einmal seine Stärke und Einigkeit zeigen?

Ein solcher Anspruch jedenfalls ist klar erhoben. Javier Solana, das Gesicht der gemeinsamen europäischen Außenpolitik, rast seit Ausbruch des Konflikts wie ein Kugelblitz durch die Krisenregion.

Dieses Auftreten hebt sich wohltuend ab von den alten Tagen, als nach einiger Verzögerung ständig wechselnde EU-Troiken durch die Schluchten des Balkans irrlichterten. Die Ratlosigkeit wurde im Sechs-Monats-Takt von einer Ratspräsidentschaft an die nächste weitergereicht.

Diesmal aber hat Europa rasch das Gefahrenpotenzial erkannt, schnell reagiert und in der Person von Solana mit einer Stimme gesprochen. Das ist neu, und soweit ist es gut.

Nötig ist es auch. Denn dieses Mal kann sich Europa noch weniger als früher eine Schwäche leisten. In allen Balkan-Krisen seit dem Slowenien-Krieg gehörte es zum Standard-Repertoire der EU-Politiker, dass die Lösung der Wirren "vor unserer Haustür" eine genuin europäische Angelegenheit, ja sogar eine Chance für Europa sei, seine Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.

Jenseits solcher Rhetorik überließ man das Handeln aber dann doch lieber den Amerikanern. Sie bombten in Bosnien die Serben an den Verhandlungstisch von Dayton, und sie führten einsam die Anti-Belgrad-Streitmacht an.

Auch diplomatisch ging nichts ohne Washington. Als die Europäer zum Beispiel in der von ihnen mit Aplomb einberufenen Kosovo-Konferenz von Rambouillet auf der Stelle traten, wurde Madeleine Albright eingeflogen, um den Stall auszufegen.

Nun aber sind die Europäer allein im Haus. Die Amerikaner zeigen sich demonstrativ uninteressiert an Mazedonien. Mehr als ein paar unverbindliche Grußworte waren von Präsident George W. Bush und seinem Außenminister Colin Powell zum neuen Balkan-Konflikt bislang nicht zu hören.

Das ist einerseits feige, zumal auch Washington nicht ohne Schuld ist an der Zuspitzung. Denn die alte Kosovo-UCK, von der aus eine unübersehbare rote Linie zur Tetovo-UCK läuft, war von den Amerikanern vor dem Krieg gemästet und nach dem Krieg viel zu zögerlich eingedämmt worden.

Andererseits aber ist die amerikanische Haltung konsequent, denn es war lange genug angekündigt worden, dass die USA den Europäern auf dem Balkan das Feld oder zumindest die Hauptarbeit darauf überlassen wollten.

Gemessen an Solanas Rastlosigkeit scheint die EU nun auch nicht kneifen zu wollen, sondern den Zwang zum eigenverantwortlichen Handeln als Chance zu begreifen. Doch Aktionismus allein ist noch kein Verdienst - und bislang ist leider hinter der demonstrativen Präsenz noch wenig Substanz zu erkennen.

Die EU-Politik erschöpft sich in unverbindlichen Sowohl-als-auch- Appellen, und Solana selbst verwirrt Freund und Feind mit seinem haltlosen Optimismus.

Was der EU in der Mazedonien-Politik fehlt, ist die klare Linie. Die Verlautbarungen der EU-Politiker sind so unkonkret, dass mit Ausnahme der Extremisten beide Seiten eine Bestätigung für ihre Positionen ablesen und eine Rechtfertigung für mögliches Handeln ableiten können.

Ein wenig Balsam für die slawische Seele und ein bisschen was für die albanische Befindlichkeit - das tut keinem weh und keinem gut.

Mit solcher Unverbindlichkeit jedoch verspielt Europa die Chance, als Vermittler ernst genommen zu werden. Deutlich demonstriert hat das bereits der mazedonische Präsident Boris Trajkovski.

Auf dem Stockholmer EU-Gipfeltreffen am Wochenende war er freundschaftlich empfangen, aber auch freundlich ermahnt worden, beim militärischen Vorgehen gegen die Albaner-Miliz die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu wahren, um den Rebellen nicht die Massen zuzutreiben.

Trajkovski pfiff auf die Mahnung und schickte schon am nächsten Tag seine Armee in die Offensive gegen die UCK in den Tetovo-Hügeln. Es hätte nun zumindest ein Rüffel der EU folgen müssen.

Stattdessen jedoch segnete Solana im Verbund mit Nato-Generalsekretär Robertson die Militäraktion ab, mit der ein politischer Ausgleich zwischen den slawischen Mazedoniern und den Albanern deutlich erschwert worden ist.

Europa hätte - anders als früher - die Kraft, in diesem Konflikt als ehrlicher Makler aufzutreten. Denn die EU hat eine Perspektive zu bieten, die für die Masse der Bevölkerung auf beiden Seiten attraktiver ist als neue Kämpfe.

Doch Europa muss sich auch zu seiner Kraft bekennen, wenn es sein muss, auch militärisch. Ansonsten droht wieder der Rückfall in die alte Schizophrenie.

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