EU und Nato:Projekt Mega-Bündnis

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Nato-Generalsekretär Stoltenberg empfängt EU-Kommissionspräsident Juncker (links) und EU-Ratspräsident Donald Tusk (rechts) auf seiner Terrasse. (Foto: Nato)

Viele Jahre haben Allianz und Union nur nebeneinanderher existiert. Nun wollen beide Organisationen ihre Kräfte bündeln - etwa im Kampf gegen Cyberattacken.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Zweimal haben die Norweger Europa die kalte Schulter gezeigt, beide Male zum Leidwesen von Jens Stoltenberg. 1972 lehnten sie in einer Volksabstimmung den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft ab, der noch jugendliche Stoltenberg hätte gern dafür gestimmt. 1994, als sozialdemokratischer Wirtschaftsminister, machte Stoltenberg sich vergeblich für ein Ja im Referendum stark. Nun, als Nato-Generalsekretär, ist Stoltenberg fast in der EU angekommen. Er nennt es seinen "persönlichen Beitritt". Am Mittwochabend empfing Stoltenberg die beiden obersten EU-Vertreter in seiner Residenz. Beim Abendessen auf der Terrasse sprach der Nato-Generalsekretär mit EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker über ein Vorhaben, das schon öfter versucht wurde, aber nie wirklich funktioniert hat: ein Mega-Bündnis aus Allianz und Union.

Diesmal ist das Projekt weit gediehen. Nato und EU verhandeln dieser Tage über eine gemeinsame Erklärung anlässlich des EU-Gipfels Ende Juni in Brüssel und des Nato-Gipfels Anfang Juli in Warschau. Um Ort und Zeit der Deklaration gibt es noch ein wenig Hickhack, sie soll nun voraussichtlich kurz vor Beginn des Nato-Gipfels Anfang Juli in Warschau stattfinden. Darin wollen beide Organisationen eine enge Zusammenarbeit verkünden. Kooperieren sollen Nato und EU demnach vor allem beim Umgang mit hybriden Bedrohungen und bei Cyberangriffen. Russlands Vorgehen in der Ukraine habe alles verändert und erzwinge die enge Kooperation, ist in beiden Organisationen zu hören. Auf Szenarien, in denen sich Informationskrieg, verdeckte Operationen und militärische Drohgebärden mischten, könnten Nato und EU nur gemeinsam mit militärischen und zivilen Mitteln effektiv reagieren. Von einer "offensichtlichen Notwendigkeit der Zusammenarbeit" spricht Stoltenberg. Kooperieren will man auch auf See und bei der militärischen Stärkung von Partnerländern.

Diesmal ist das Vorhaben weit gediehen. Anfang Juli soll es eine gemeinsame Erklärung geben

In Brüssel geht damit eine lange Ära der indifferenten Koexistenz zu Ende. Die Nato zieht in Flughafennähe bald in ein neues Hauptquartier, die EU-Institutionen konzentrieren sich am zentraleren Schuman-Rondell. Räumlich trennen beide Organisationen nur 7,5 Kilometer. Früher schien es dennoch mitunter, als seien beide Organisationen in verschiedenen Galaxien beheimatet. Miteinander geredet wurde wenig bis gar nicht - obwohl es Annäherungsversuche gab. 2001 wurden entsprechende Absichtserklärungen ausgetauscht, 2003 einigte man sich auf ein Maßnahmenpaket namens "Berlin Plus". Doch das Nato-Mitglied Türkei einerseits sowie Zypern, seit 2004 in der EU, andererseits blockierten die Kooperation.

Die wohl bald bevorstehende Wiedervereinigung der seit 1974 in einen griechischen und einen türkischen Teil geteilten Insel trägt nun zur Entkrampfung bei. Die Türkei befürwortet die Zusammenarbeit mit der EU, lässt aber in einem Non-Paper, einem inoffiziellen Papier, auch Forderungen zirkulieren. Sie laufen auf mehr Beteiligung hinaus, wenn es um die Sicherheitspolitik der EU geht.

Auch die USA, einst misstrauisch gegenüber europäischen Verteidigungsinitiativen, sehen ein Bündnis mit der EU mittlerweile mit Wohlgefallen - passt es doch zur Forderung von US-Präsident Barack Obama, die Europäer müssten mehr tun für die Verteidigung.

In der Union selbst hat Zypern noch nicht alle Bedenken aufgegeben. Auch Irland und Malta gehören zu den Skeptikern. Das einst vehement auf Neutralität bedachte Österreich wird als "vorsichtig zustimmend" beschrieben. Dieser Tage wird sondiert, wie weit die Erklärung der Chefs von Nato und EU gehen kann, ohne Länder zu verärgern, die nicht zu jenen 22 gehören, die Mitglied beider Organisationen sind. Doch auch hier hat der Krieg in der Ukraine viel verändert. Finnland und Schweden, beides keine Nato-Länder, werden in Brüssel als "sehr enthusiastische" Befürworter der neuen Kooperation gelobt. In beiden Ländern wird seit der Annexion der Krim die Nähe zu Russland wieder stärker als Gefahr wahrgenommen.

Beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister kommende Woche in Brüssel werden denn auch zum Abendessen die Kollegen aus Schweden und Finnland erwartet. Mit dabei ist auch wieder die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, die beim Nato-Außenministertreffen vor wenigen Wochen den "Mehrwert" pries, den "die verschiedenen, aber sich ergänzenden Organisationen" für Sicherheit und Stabilität in der Welt bringen könnten. Die Italienerin und der Norweger haben beide 2014 ihr Amt angetreten und demonstrieren bei jeder Gelegenheit politische Zweisamkeit. "Wir haben in den vergangenen drei Monaten mehr Vereinbarungen miteinander getroffen als in den vergangenen 13 Jahren", verkündete Stoltenberg.

Das Pilotprojekt künftiger Zusammenarbeit ist dabei der Einsatz der Nato in der Ägäis. Sechs bis acht Schiffe der Allianz versorgen nicht nur Türken und Griechen, sondern auch die EU-Grenzschutzagentur Frontex mit Informationen über die Bewegungen von Schlepperbooten. Die Zusammenarbeit von Türken und Griechen verläuft zwar alles andere als reibungslos, beide haben sich aber in dieser Woche im Nato-Rat für eine Verlängerung ausgesprochen. Trotz deutlich zurückgegangener Flüchtlingszahlen soll die Mission mit dem deutschen Flaggschiff Bonn erst einmal weitergeführt werden - nicht zuletzt als gutes Beispiel.

Auch weiter westlich im Mittelmeer, vor der Küste Libyens, könnte die EU womöglich Unterstützung der Nato gebrauchen. Die Anti-Schlepper-Mission Sophia bereitet sich gerade auf eine Ausweitung vor. Sie soll sich auch dem Aufbau einer libyschen Küstenwache und womöglich der Durchsetzung eines UN-Waffenembargos widmen. Die Nato könnte die schlummernde Anti-Terror-Mission Active Endeavour einsetzen, doch die Überlegungen sind noch vage.

Auch bei Übungen wollen Nato und EU kooperieren, vor allem bei im Cyber-Bereich. Die neue Nähe aber hat Grenzen. Gemeinsame Manöver, heißt es, seien "Zukunftsmusik".

© SZ vom 10.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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