EU-Türkei:Die Mühen nach dem Gipfel

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Bisher dürfen sich Flüchtlinge in Griechenland frei bewegen, hier am Grenzort Idomeni. (Foto: Vadim Ghirda/AP)

Misstrauen erschwert die Zusammenarbeit zwischen Brüssel und Ankara. Woran der Deal scheitern könnte.

Von Christiane Schlötzer

Angelina Jolie war da, auf Lesbos, im Hotspot von Moria. Flüchtlinge haben jetzt Selfies mit dem Hollywood-Star auf ihren Handys. Auch EU-Gipfel produzieren schöne Bilder, aber wenn das Scheinwerferlicht gelöscht ist, dann beginnt die Detailarbeit, und die ist weit weniger glamourös. Da beugen sich Beamte über Spiegelstriche in Gesetzentwürfen, dabei dürften sich die Bürokraten schon bald die Haare raufen, wenn es darum geht, Vereinbarungen zwischen der Türkei und der EU umzusetzen.

Grund dafür ist eine Art Grundmisstrauen zwischen der EU und der Türkei, das über etliche Jahre hinweg gewachsen ist. Man verstand sich zuletzt nur noch schwer. Die schon 2005 mit viel Verve begonnenen EU-Beitrittsgespräche kamen nie recht vom Fleck; erst wegen der Blockaden durch Frankreich und Zypern, dann wegen Recep Tayyip Erdoğans verstörend autokratischer Politik. Die Folge waren Sprachlosigkeit und Distanz. Das hat sich erst durch die Migrationskrise wieder geändert. Nun braucht die EU die Türkei - und plötzlich soll ganz schnell gehen, was eigentlich Zeit und Sorgfalt erfordert.

Für den Flüchtlings-Deal muss die Türkei ein "sicherer Drittstaat" werden, also der Genfer Flüchtlingskonvention Geltung verschaffen. Deren Schutz gilt in der Türkei bislang aber (aus historischen Gründen) nur für Europäer, also nicht für Syrer oder Iraker. Von geregelten Asylverfahren kann man in der Türkei bislang auch nicht sprechen, weshalb Schutzsuchenden, die aus der Illegalität herauskommen wollen, meist nur bleibt, sich an das UN-Flüchtlingshilfswerk in Ankara zu wenden. Dort türmen sich die Anträge von Iranern, Pakistanern und anderen Geflüchteten, die Aufnahme im Westen suchen. Die Wartezeiten betragen oft Jahre. In dieser Zeit müssen sich Flüchtlinge ohne jegliche staatliche Hilfe in der Türkei durchschlagen.

Nur ein Teil der mehr als zwei Millionen Syrer in der Türkei hat ein Zeltbett in einem Lager, die anderen müssen sehen, wo sie bleiben. Bislang gelten die Syrer als "Gäste", also nicht offiziell als Flüchtlinge, seit Kurzem dürfen viele von ihnen immerhin arbeiten. Auch dürfen sie im Gegensatz zu anderen Geflüchteten kostenlos in staatliche Krankenhäuser gehen. Rechtssicherheit für Flüchtlinge in der Türkei zu schaffen erfordert also noch viel juristische Mühe. Nicht anders verhält es sich mit der von der Türkei im Gegenzug gewünschten Visa-Freiheit für eigene Staatsbürger. 72 Punkte enthält die Liste der von der EU dafür gesetzten Bedingungen, die längst nicht alle erfüllt sind. Sie reichen von biometrischen Pässen bis zu einem Datenschutzgesetz, weil die Türkei dann auch Zugriff auf sensible Europol-Daten bekäme. Ein Gesetzentwurf aus Ankara erfüllt EU-Standards bislang nicht. Eine Liberalisierung der Visa-Politik wäre politisch ein großer Gewinn für Ankara, weshalb sie auch ein starker Hebel für die EU ist, ihre Vorgaben durchzusetzen.

Selbst wenn dies gelingt, bleibt die Lücke, die gewöhnlich zwischen Gesetz und Alltag klafft. Die EU müsste sich also weiter intensiv um die Umsetzung der Gesetze kümmern, sie müsste die Beitrittsverhandlungen zum Kapitel "Justiz und Grundfreiheiten" dann ernsthaft betreiben.

Aber all dies nützt wenig, wenn die EU nicht auch in Griechenland die Voraussetzungen dafür schafft, dass europäisches Recht eingehalten wird. Bevor Flüchtlinge, die Griechenland auf illegalen Wegen erreicht haben, wieder in die Türkei zurückgebracht werden können, müssen sie die Chance auf ein ordentliches Asylverfahren erhalten - sofern sie Asyl beantragen. Das haben mehr als 90 Prozent der auf griechischen Inseln ankommenden Boatpeople bislang nicht getan, weil sie ja weiter in ein anderes EU-Land wollen, meist nach Deutschland. Wenn sich aber die Kunde verbreitet, dass nun die schnelle Abschiebung zurück in die Türkei droht, werden viele das Wort "Asyl" schon bei der Ankunft aufs Lesbos oder Chios aussprechen. Das griechische Asylsystem aber ist bislang - trotz vergleichsweise weniger Anträge - bereits heillos überfordert.

Tsipras hat für die Umsetzung des Plans im Parlament nur eine dünne Mehrheit

Die Leiterin der griechischen Asylbehörde, Maria Stavropoulou, rechnet vor: Derzeit könnten höchstens 1500 Anträge pro Monat bearbeitet werden. So viele Menschen aber kamen zuletzt oft an einem einzigen Tag in Griechenland an. Die EU will nun Verstärkung schicken, die Asylbeamten - auch aus Deutschland - müssen dann aber noch das Kunststück fertigbringen, sich rasch mit ihren griechischen Kollegen zu verständigen, was bei früheren Beamtenmissionen in der Euro-Krise nicht recht klappte. Bislang erhalten die Flüchtlinge von den Behörden meist Dokumente in Griechisch in die Hand gedrückt, die auch die Migranten nicht lesen können.

Derzeit können sich Flüchtlinge in Griechenland frei bewegen, sollen sie abgeschoben werden, müsste man sie erst einmal finden. Vor dem Antritt der Regierung von Alexis Tsipras im Jahr 2015 wurden Migranten in geschlossenen Camps untergebracht. Die Zustände dort waren meist verheerend. Tsipras und seine Linkspartei Syriza hätten es daher schwer, erneut geschlossene Camps durchzusetzen.

Die EU will zudem, dass in Griechenland die Anerkennung der Türkei als "sicheres Drittland" in ein präsidentielles Dekret und am besten noch in ein Gesetz gefasst wird. Der Präsident soll sich bislang noch zieren, er hat das Papier schon länger auf dem Tisch. Und im Parlament hat Tsipras' Regierung nur eine seidenfadendünne Mehrheit.

© SZ vom 19.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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