EU-Ratspräsident:Der Zimmermann

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Donald Tusk (links) im "Auge des Orkans": Der EU-Ratspräsident zu Beginn seiner Tour über die Balkanroute mit Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann. (Foto: Ronald Zak/AP)

Nach mehr als einem Jahr im Amt hat EU-Ratspräsident Tusk seine Balance gefunden. Sogar eine Wiederwahl erscheint nicht abwegig.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Es ist ein Besuch im "Auge des Orkans", wie Donald Tusk selber sagt. Der EU-Ratspräsident hat soeben mit Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann gesprochen. Nun ist er zuversichtlich, "dass Österreich dazu beitragen wird, einen europäischen Konsens im Angesicht der Flüchtlingskrise auszuarbeiten". In der Woche vor dem entscheidenden EU-Sondergipfel hat Tusk eine Tour entlang der Balkanroute begonnen, die ihn in umgekehrter Richtung durch jene Länder führt, welche die Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Westeuropa durchqueren oder gerne durchqueren würden. Der Pole reist durch das Zentrum der Krise - und nähert sich dabei auch der eigenen Mitte. Nach mehr als einem Jahr im Amt sieht es aus, als finde Tusk jene Balance, die in Brüssel und etlichen EU-Hauptstädten lange vermisst worden war.

Befreiend wirkt dabei Tusks Erfolg beim vergangenen Gipfel. In 26 Einzelgesprächen hatten er und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit den Staats- und Regierungschefs jenen Kompromiss gezimmert, der den Brexit verhindern soll. Die Ratstagung sei eine der "schwersten meiner Amtszeit" gewesen, bekannte Tusk danach in einem Bericht vor dem Europäischen Parlament. "Er hat Stehvermögen bewiesen", lobt der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok, der für das Parlament an den Verhandlungen beteiligt war. Zwar seien etliche Gipfelteilnehmer genervt gewesen wegen der langen Wartezeiten, was aber zähle, sei das Resultat. Und das sei eines, das auch die Stellung des Ratspräsidenten stärke.

Tusks Start in Brüssel war eher holprig gewesen. Als überhaupt erst zweiter Politiker nach dem Belgier Herman Van Rompuy hatte er im Dezember 2014 jenen Posten angetreten, der nach dem Wortlaut des Lissaboner Vertrages durchaus machtvoll sein kann. Der Präsident "führt den Vorsitz bei den Arbeiten des Europäischen Rates und gibt ihnen Impulse". Vor allem soll er darauf hinwirken, "dass Zusammenhalt und Konsens im Europäischen Rat gefördert werden". Die multiplen europäischen Krisen haben gerade das im vergangenen Jahr fast unmöglich gemacht. Tusk, der sich anders als Van Rompuy nicht nur als Strippenzieher im Stillen sieht, brachte immer wieder mächtige Regierungschefs gegen sich auf. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Tusk als polnischen Ministerpräsidenten schätzen gelernt hatte, ärgerte sich, als Tusk einmal unabgesprochen einen Flüchtlingsgipfel anberaumte.

Anfangs zweifelten viele an der Wiederwahl. Jetzt stehen die Chancen des Polen besser

Überhaupt verfolgte Tusk in der Flüchtlingskrise einen Kurs, mit dem er sich sowohl von Juncker als auch Merkel abgrenzte. Für die vor allem aus Mittelosteuropa laut vorgetragene Kritik am Modell der Flüchtlingsverteilung zeigte er Verständnis und betonte, dass vor allem die EU-Außengrenze geschützt werden müsse. "Diese Flüchtlingswelle ist zu groß, um sie nicht zu stoppen", sagte er im Dezember der Süddeutschen Zeitung. Vor dem Gipfel an diesem Montag geht es darum, ob das gelingt, bevor das Chaos entlang der Balkanroute dem Schengen-System des freien Reisens in der EU irreparablen Schaden zufügt. In dieser Sorge sind sich Tusk, Juncker und Merkel einig. Sollte das Treffen am Montag als Erfolg verbucht werden können, würde das auch Tusk gutgeschrieben - und womöglich einen Stimmungswandel verstärken, der in Brüssel seit einiger Zeit zu registrieren ist.

Noch vor einigen Monaten hatten sich viele nicht recht vorstellen können, dass die im Mai 2017 auslaufende Amtszeit Tusks von den Staats- und Regierungschefs noch einmal um zweieinhalb Jahre verlängert werden könnte. Nun aber haben viele Insider das Gefühl, der Pole sei angekommen. Seinen schwierigen Kampf mit der englischen Sprache hat Tusk tapfer bestanden. Auch sucht er stärker den Kontakt zu Diplomaten und Parlamentariern. Mit Juncker scheint sich eine vernünftige Arbeitsbeziehung etabliert zu haben, die sich wohltuend unterscheidet von der Ehrpussligkeit, die das Verhältnis zwischen Van Rompuy und dem damaligen Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso geprägt hatte.

Das größte Fragezeichen, was Tusks Zukunft anbelangt, steht allerdings nicht in Brüssel, sondern in Warschau. Für die Rechtsregierung in Polen ist der frühere liberal-konservative Ministerpräsident so etwas wie der Staatsfeind Nummer eins. Parteichef Jarosław Kaczyński sieht in Tusk eine zentrale Figur bei der angeblichen Verschwörung zur Verschleierung der wahren Ursache des Flugzeugabsturzes, bei dem sein Bruder Lech Kaczyński im russischen Smolensk ums Leben gekommen war. Monate vor dem Regierungswechsel, im Oktober 2015, schien es, als habe Kaczyński sein Urteil über Tusks Brüsseler Karriere gesprochen: "Uns geht es in der EU nicht darum, uns um Posten zu bewerben, sondern polnische Interessen durchzusetzen." Ohne Rückhalt aus dem eigenen Land schienen die Chancen Tusks auf eine Wiederwahl gegen null zu sinken.

Einerseits. Anderseits dürfte es etlichen Regierungschefs gerade angesichts der nationalistischen Töne aus Warschau schwerfallen, den Liberalen Tusk und damit den proeuropäischen Teil Polens fallen zu lassen. Man werde es den Kaczyński-Leuten nicht erlauben, sich hinter anderen Regierungen zu verstecken, sagt ein Insider. Soll heißen: Wenn Polens Führung aus innenpolitischen Gründen die Chance fahren lassen will, den ranghöchsten EU-Posten noch einmal mit einem Landsmann zu besetzen, soll sie es offen sagen.

Genau das scheint Polens Ministerpräsidentin Beata Szydło nicht zu wollen. Nach einem Gespräch mit Tusk vor ein paar Tagen bekannte sie, "dass es für uns immer von Wert ist, wenn ein Pole einen wichtigen Posten in internationalen Organisationen bekleidet". Das klang ganz so, als könne sie sich eine Verlängerung der Amtszeit Tusks vorstellen. Käme es dazu, wäre Tusk bis Dezember 2019 in Brüssel. 2020 wird in Polen wieder ein Präsident gewählt. Tusk hätte dann Zeit.

© SZ vom 02.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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