EU-Osterweiterung:Brückenschlag ins Ungewisse

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Bayerische Ängste und tschechische Hoffnungen: Eine Reise entlang der deutschen Ostgrenze vor der EU-Erweiterung: Der Gastwirt, der Bürgermeister, die junge Mutter und der Skispringer - was die Bürger vom Wegfall der alten Barrieren erwarten.

Von Stefan Klein

Erst kommt die Grenze, dann die Tankstelle, dann die Kolonie der Gartenzwerge. Ein Zwerg ist schöner als der andere, es gibt sogar eine Gartenzwergin oben ohne, und weil wir die nun ein bisschen genauer studieren, kommt sogleich die vietnamesische Verkäuferin herbeigeeilt, deutet hoffnungsvoll auf das Objekt unseres Interesses und sagt: "Zwerg?"

Die einzigen Objekte der Begeirde beim Grenzübertritt Richtung neue EU-Mitgliedsländer? (Foto: Foto: dpa)

Der Deutsche, so scheint es, wird nach Überschreiten der tschechischen Westgrenze offenbar von einem unstillbaren Drang nach Gartenzwergen und ähnlich possierlichen Kreaturen aus Gips übermannt, denn sonst stünden sie ja nicht hier - die Zwerge, die Schlümpfe, die Bambis, die Lämmchen, die Förster, die Schäferhunde sowie die Herren Dick und Doof. Sie sind alle sehr preiswert, und das gilt vermutlich auch für das junge und überaus blonde Fräulein, das weit über allen Gnomen auf höchsten Plateausohlen gerade durch den Ort stakst.

Schnäppchenparadies

Da fallen einem natürlich sofort Onkel Pepin und seine einmaligen Schönheiten aus der City Bar ein, so wie sie die wunderbaren Geschichten des böhmischen Erzählers Bohumil Hrabal bevölkern, nur dass diese hier in Strazny einmalig blass und übernächtigt aussieht und wahrscheinlich eine harte Nacht im "Mirage Nightclub" hinter sich hat. Sündenpfuhl? Paradies? Auf jeden Fall ein Schnäppchenparadies. Strazny hat keinen Charme, kein Flair, nichts, es wirkt so grob hingehauen wie ein Präriekaff in einem Wildwestfilm, aber es hat seine unschlagbaren Preise, und die allein entfalten eine enorme Anziehungskraft auf die Bayerwäldler von der anderen Seite der Grenze. Man sieht es nicht nur an der Tankstelle.

Die Zigaretten, der Zigeunerbraten, die neue Frisur, die Maniküre, alles fast geschenkt. Was in Philippsreut gerade für zwei Bier reicht, langt in Strazny leicht für einen prima Vollrausch. Und ein Casino gibt es auch. Nur noch Transitgebiet

Ja, das Casino: Die Brodingers in Freyung sitzen um den großen Holztisch für die abendliche Brotzeit, Vater Sepp, Frau Helga, Tochter Helga, Schwiegersohn Stephan, und der Lichtenauer Sepp ist auch dabei. Der ist Hausmeister im Kurhaus und kann bestätigen, was gerade einer sagt, nämlich dass an Silvester nur 80 Leute ins Kurhaus gekommen sind, während sich drüben im Casino von Strazny 2000 Besucher gedrängt haben - "die mussten sogar ein Zelt aufstellen".

So war das, und wer weiß, was noch alles kommt. Hat man nicht gehört, dass sie sich im Wintersportort Mitterfirmiansreut Sorgen machen, weil angeblich drüben auf der tschechischen Seite ein großes Skigebiet in Planung ist? Und könnte die bevorstehende Schließung des Berggasthofs "Dreisessel" nicht auch damit zu tun haben, dass die drei Busse mit Gästen, die jeden Freitagnachmittag kamen, eines Tages durchgefahren sind bis nach Tschechien?

Es ist kein besonders fröhliches Gespräch, das die Brodingers da führen. Wie sollten sie auch? Sie sind ja selber Beweis dafür, dass die Zeiten hart sind. Früher war ihr Gasthof mittags fast immer voll, und neue Gäste musste Sepp Brodinger, der Chef, vertrösten: "Drahn'S a Runde ums Kurhaus." Heute sperrt er nur noch für seinen Stammtisch auf. Wirtshäuser und Hotels, die zumachen, Tankstellen, die sich nicht mehr lohnen, holländische Urlauber, für die der Bayerische Wald nur noch Transitgebiet ist auf dem Weg ins billige Böhmen, aber Fritz Gibis, Bürgermeister der kleinen Grenzgemeinde Haidmühle, verspricht tapfer, dass er nicht jammern werde.

Und am Ende, als wir uns verabschieden, sagt er: "Ich hoffe, ich hab' nicht zu stark gejammert." Nein, zu stark war es tatsächlich nicht, jedenfalls gemessen an den Problemen, die er hat: Alle Sägewerke im Ort geschlossen, die Hauptschule aufgegeben, die Zahl der Einwohner rückläufig, die der Gäste ebenfalls.

Große Perspektiven für den Tourismus

Besserung ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Am 1. Mai wird der Nachbar hinter der nahen Grenze EU-Mitglied und damit "Hochförderland", wie Gibis das nennt. Er hätte auch Höchstförderland sagen können, aber es ist so schon quälend genug, denn hinter dem Begriff verbirgt sich die Tatsache, dass in Zukunft viele Investitionen auf der anderen Seite der Grenze mit bis zu fünfzig Prozent von Brüssel bezuschusst werden, was zum Beispiel dem Tourismus große Perspektiven eröffnet.

Dazu die viel geringeren tschechischen Löhne, und so ergibt sich an der einstigen Bruchstelle zwischen Ost und West ein neues Spannungsfeld: Bayerisches Hochlohn- und Niedrigfördergebiet trifft auf tschechisches Niedriglohn- und Höchstfördergebiet. Da muss man kein Prophet sein, um vorauszusagen, wo die Investoren ihre Millionen demnächst hinfließen lassen werden.

Spiel mit neuen Regeln

Kaspar Sammer von der "Euregio", einem Verein, der die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu fördern versucht, hat jede Woche ein bis zwei Anfragen von Unternehmern, die "nach Ansprechpartnern in Prag fragen", weil sie "drüben" tätig werden wollen. Manche sind es schon. Der Brillenhersteller Rodenstock war mal der größte Arbeitgeber im Landkreis Regen mit 2000 Arbeitnehmern. Doch seit den Neunzigerjahren hat er schrittweise reduziert, und nun hat er von den verbliebenen 800 Arbeitsplätzen abermals fast die Hälfte abgebaut und die meisten davon in ein bereits bestehendes Werk nach Tschechien verlagert.

"Hart und grausam" nennt das der Landrat Heinz Wölfl, in dessen Statistiken sich die Maßnahme mit einer Steigerung der Arbeitslosigkeit von mehr als 10 Prozent niederschlägt. Es wird wohl nicht der letzte Zuwachs sein.

Wölfl jedenfalls weiß von Zulieferbetrieben im Grenzland, deren Abnehmer schon seit längerem mahnen, sie seien zu teuer und sollten sich endlich "umorientieren". Was das heißt, wissen die Betroffenen nur zu genau: Warum auf deutscher Seite produzieren und Höchstlöhne zahlen, wenn ein paar Kilometer weiter die Arbeit nur ein Viertel davon kostet? Da werden, fürchtet der Landrat, "wohl noch viele über die Grenze gehen". Nicht minder bedrohlich sind in seinen Augen aber die, die kommen werden: Zwar wird es nach dem 1. Mai zunächst noch gewisse Beschränkungen für Firmen aus den Beitrittsländern geben, die in Deutschland Arbeit anbieten wollen, für Einzelunternehmer ohne Angestellte aber steht der deutsche Markt offen.

Dass diese die Gelegenheit nutzen werden, steht für Wölfl außer Frage: "Wenn ein tschechischer Fliesenleger hier die Hälfte dessen verlangt, was bei uns üblich ist, verdient er immer noch doppelt so viel, wie er drüben bekäme. Er wäre ja dumm, wenn er das nicht machte." Nein, auch dies ist keine wirklich erfreuliche Unterhaltung, es fallen Worte wie "Verlierer" und "Bedrücktheit", und dabei hat man noch wenige Stunden vorher den Wirt des Gasthofs "Lamperstorfer" in Waldkirchen von seinem tschechischen Koch schwärmen hören, was für eine Arbeitsmoral der habe, und krank sei er auch so gut wie nie.

Die Änderung der Spielregeln

Es gibt ja, trotz hoher Arbeitslosigkeit auf der deutschen Seite, mehrere tausend tschechische Grenzgänger, die vor allem in der bayerischen Gastronomie ganz legal Arbeit gefunden haben und sich bei ihren Chefs großer Beliebtheit erfreuen. Nur: Das war bislang ein Spiel, das nach deutschen Regeln gespielt wurde.

Am 1. Mai ändern sich die: Statt mit Abhängigen wird man es dann mehr und mehr mit Konkurrenten zu tun haben, und gerade weil man um deren Qualitäten weiß, sind die Ängste so groß.Aber gar so negativ will der Landrat das Gespräch dann doch nicht ausklingen lassen, deshalb sagt er zum Schluss, in Japan sei das Schriftzeichen für Krise dasselbe wie für Chance- "vielleicht begreift man erst in der Krise, wo die Chancen liegen".

"Hallo Jan, hier ist Mike"

Viktoria Handrychova trägt pinkfarbene Stöckelschuhe, die zum Pullover und zur Handtasche passen. Sie ist die Mutter von Veronika, die gerade mit anderen Kindern zusammen ein Lied gesungen hat, in dem sich Osterhase auf Schnuppernase reimt. Dann haben sie noch "Häslein in der Grube" gespielt, und Veronika hat das Häslein sein dürfen. Nun ist die Mutter gekommen, um ihre Tochter in der Kindertagesstätte "Regenbogen" in Oberwiesenthal abzuholen.

Daran ist nichts Außergewöhnliches - außer einem: Frau Handrychova ist keine Mutter aus dem Ort, sie kommt aus dem vierzig Kilometer entfernten Karlovy Vary, früher auch bekannt als Karlsbad. Gut, dass sie sich mit den Eltern von Honzik, der ebenfalls aus Karlsbad kommt, abwechseln kann, aber auch so bedeutet es einen erheblichen Aufwand, jeden zweiten Tag zweimal die Strecke hoch ins Erzgebirge und wieder runter zu fahren, dazu noch eine Staatsgrenze zu überqueren. Jedoch: Die Tschechin Viktoria Handrychova will es so, "denn jetzt kommt die EU, und Veronika wird bessere Chancen haben, wenn sie Deutsch kann."

Oberwiesenthal also, das ehemalige Wintersportzentrum der DDR. Wir sind auf tschechischer Seite die Grenze ein Stück weiter nach Norden gefahren, begleitet von Fräuleins und von Gartenzwergen, sind dabei auch durch Karlsbad gekommen, ohne freilich von Mutter und Tochter Handrychova zu wissen - die lernen wir erst auf der sächsischen Seite kennen. Veronika ist vier Jahre alt, geht seit anderthalb Jahren zum "Regenbogen" und spricht inzwischen so gut Deutsch, dass die Betreuerinnen sie schon mal als Dolmetscherin einsetzen bei den tschechischen Kindern, die noch Probleme haben mit der neuen Sprache.

Zehn kommen von der anderen Seite der Grenze. Es könnten dreimal so viele sein, wenn die finanziell klamme Stadt Oberwiesenthal, die die Plätze subventioniert, das Geld dafür hätte. Die zehn tschechischen Kinder aber leistet man sich, auch wenn es unter den Heimatvertriebenen in der Stadt ein missbilligendes Geraune gab: "Jetzt kommen die Tschechen schon zu uns, haben die denn keinen eigenen Kindergarten?"

Bürgermeister Heinz-Michael Kirsten dagegen ist direkt ein bisschen stolz auf das grenzübergreifende Projekt, von dem er sagt: "Die Kleinen wachsen zusammen auf, die Eltern gehen zusammen einkaufen, von welcher Seite der Grenze sie kommen, ist doch ganz egal." Überhaupt scheint es, als sähe man in diesem Grenzabschnitt der EU-Osterweiterung weniger mit Sorgen als mit Hoffnungen entgegen. So zumindest klingt es beim Bürgermeister, der sein Amtszimmer so eingerichtet hat, wie es wohl nur einem Ortsfremden einfallen kann - nämlich als gemütliche Erzgebirgsstube.

Und in der Tat: Kirsten ist Ostfriese, der einst drei Meter unter Null zur Schule gegangen ist und heute die höchstgelegene Stadt Deutschlands regiert. Er tut das, indem er über die nahe Grenze hinausblickt und sich mit der anderen Seite unbürokratisch per Handy verständigt: "Hallo Jan, hier ist Mike."

Jan Hornik ist Bürgermeister von Bozi Dar, wintersportmäßig der kleine tschechische Cousin Oberwiesenthals, nur ein paar Kilometer entfernt. Zur Begrüßung humpelt der große, schlanke Mann auf einem Bein quer durch sein Büro, und man denkt unwillkürlich, dass Skifahren doch ein ziemlich gefährlicher Sport ist. Ist aber falsch gedacht, man kann sich auch anders verletzen, und für den Wintersport hat Hornik sowieso keine Zeit mehr.

Man hilft sich gegenseitig

Gerade hat er mit Freund Mike auf der anderen Seite gemeinsam die Junioren-Weltmeisterschaft für Snowboarder ausgerichtet, und als sie neulich in Oberwiesenthal aus Gründen des Umweltschutzes ein Wintergolfturnier nicht austragen durften, da ist - Hallo Jan - kurzfristig der tschechische Nachbar eingesprungen. Das Turnier fand dann gleich hinter dem Grenzpfahl statt. So hilft man sich gegenseitig, "denn wir", sagt Kirsten, "betrachten uns als ein Freizeitgebiet und vermarkten das gemeinsam, ich werbe für ihn, er für mich".

Aus dem Munde Horniks klingt es etwas gedämpfter. Zwar lobt auch er die Zusammenarbeit, aber gleichzeitig lässt er Enttäuschung anklingen, dass nicht schon viel mehr geschafft wurde. Die Zukunft jedenfalls müsse "ganz anders aussehen", und wenn es nach ihm geht, dann beginnt sie am 1. Mai. Dann hofft er, EU-Fonds anzapfen zu können für die Modernisierung der veralteten Lifte, um gleichzuziehen mit den Anlagen drüben und dann auf gleicher Augenhöhe mit den Oberwiesenthalern das Gemeinschaftsprojekt zu forcieren.

Von einer Verbindung zwischen beiden Skigebieten ist die Rede und von einem gemeinsamen Skipass für das ganze Gebiet. Sinn macht es allemal: Bozi Dar hat den Platz, den Oberwiesenthal schon nicht mehr hat, und Bozi Dar hat auch den Klinovec, den Keilberg, auf dessen Nordseite die Pisten oft bis in den Mai hinein halten - länger als auf dem deutschen Fichtelberg gegenüber.

Doch vielleicht ist gar nicht so entscheidend, was die beiden Bürgermeister denken. Vielleicht ist viel entscheidender, was Jens Weißflog denkt. Dreimal Olympiasieger, viermal Sieger der Vierschanzentournee, es gibt keinen berühmteren lebenden Erzgebirgler, keinen Oberwiesenthaler mit mehr Gewicht. In diesem Jahr war er erstmals seit 23 Jahren drüben in Bozi Dar zum Skifahren.

Es hat ihm gefallen, und die Idee der gemeinsamen Vermarktung leuchtet ihm ein: "Mit einem einzigen Skipass sind wir größer als jedes andere Skigebiet in den deutschen Mittelgebirgen." Man müsse global denken, findet Weißflog: "Unsere Konkurrenz ist nicht da drüben, sondern das Hochsauerland und der Bayerische Wald." Sohn Niklas freilich denkt eher lokal und ruft empört aus der Küche: "Jetzt sitzt der Onkel immer noch da, das gibt's doch nicht."

Heimat im Regenbogen

Sakra! Sakra! hätte bei einer solchen Unterbrechung Onkel Pepin gebrüllt, der Onkel Journalist indes beeilt sich, sein Interview zu Ende zu bringen. Was gäbe es auch noch zu fragen bei soviel gutem Willen auf beiden Seiten? Und was an Vorurteilen noch existiert, so ist deren Bekämpfung offenbar auf gutem Wege. Neulich erst in Oberwiesenthal: Da wurde Hornik nach einem Treffen mit Kirsten auf der Straße von einem Touristen, einem Norddeutschen, angesprochen.

Ob man sich denn wirklich über die Grenze trauen könne oder ob man da Gefahr laufe, im Restaurant Hunde- und Katzenfleisch vorgesetzt zu bekommen? Der Jan Hornik hat da ziemlich an sich halten müssen, aber dann hat er dem Herrn freundlich erklärt, dass man nicht erst gestern von den Bäumen heruntergestiegen sei.

Oder der Autoklau, auch so ein Klischee. In Bozi Dar, sagt Hornik, sei in den vergangenen sechs Jahren ein einziges Auto weggekommen, und von den zwei Autoradios, die in diesem Winter entwendet wurden, habe man eines sichergestellt und der Besitzerin, einer Frau aus Chemnitz, zurückgegeben. Trotzdem: Hornik will, dass sich die Gäste wohl und sicher fühlen, und deshalb hat er in diesem Winter eine Überwachungskamera aufgestellt, drei weitere sollen folgen. Und so nimmt sie denn ihren Lauf, die Moderne in Bozi Dar, das mal Gottesgab hieß, aber das waren andere Zeiten.

Die Vergangenheit hier ist voller dunkler Stellen, auch die jüngere noch: Jan Hornik hat sie gesehen, die deutsch-russischen Invasionstruppen, wie sie im Sommer 1968 aus der DDR und über Bozi Dar herunterkamen in sein Land. Er hat in Karlsbad eine Brücke über die Eger unter zwei Panzern zusammenbrechen sehen, und obwohl er erst ein 14-jähriger Schüler war, so war er doch politisch bewusst genug, mit anderen zusammen Kalk zu holen und Protestparolen an die Wände zu schreiben: "Russen weg, wir wollen Frieden."

Andere Zeiten, wie gesagt, und dass sie nicht nachhallen in die Gegenwart ihrer gemeinsamen Projekte, darüber haben sich die beiden Bürgermeister längst verständigt. Für ihn sei das vergessen, sagt Hornik, und Kirsten sei ja ohnehin ein Westdeutscher. Kirsten sagt, die Vergangenheit ließen sie ruhen: "Was für uns zählt, ist die Zukunft." Und die mag nicht nur ein gemeinsames Skigebiet, sondern auch eine gemeinsame Schule bereithalten.

Oberwiesenthal, dessen Bevölkerung genauso schwindet wie anderswo im Osten auch, hat nicht mehr genug Kinder für eine eigene Grundschule, und so gibt es denn Überlegungen, sich mit dem tschechischen Nachbarn zusammenzutun. Er habe, sagt Kirsten, "überhaupt nichts dagegen, wenn die Schule in Bozi Dar entsteht." Schließlich seien die Kinder im Kindergarten "Regenbogen" ja ohnehin gemeinsam aufgewachsen.

Verlegen und belustigt

Es ist früher Nachmittag, als Viktoria Handrychova ihr Kind Veronika ins Auto packt für die Rückfahrt nach Karlsbad. Europa kann kommen, Veronika wird vorbereitet sein. Mit der deutschen Sprache ist ein Anfang gemacht, polyglott soll das Mädchen mal werden. Die Mutter dagegen tut sich noch schwer mit den Veränderungen, die schon zu spüren sind. Die Tschechen hätten Angst vor der EU, sagt sie, denn alles werde teurer. Sie selber hatte ein Geschäft für Kinderbekleidung, das musste sie jetzt aufgeben.

Die Billigkonkurrenz der Vietnamesenmärkte, die gestiegene Ladenmiete, demnächst soll die Mehrwertsteuer steigen, dann werde alles noch schwieriger. Die Deutschen, die über die Grenze kommen und alles wegkaufen, demnächst womöglich Grund und Boden - eine Sorge auch das. So redet sie, die junge Mutter, und dann sagt sie: "Wissen Sie, hier in der Tschechei..." Da bricht Frau Handrychova ab und lacht. Lacht verlegen. Lacht belustigt. Lacht in Oberwiesenthal, und für einen Augenblick gibt es keine Grenzen.

© SZ vom 17.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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