EU:Ohne Briten geht es besser

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Was geht eigentlich noch mit den Briten? Die nüchterne Antwort: Zu wenig, um die Europäische Union voranzubringen. Deswegen sollte diese ihre Rechnung erst einmal ohne das Inselvolk machen.

Martin Winter

Man hätte es wissen können, wenn man genauer hingehört hätte. Nun erfahren die kontinentalen Europäer auf die harte Tour, was Tony Blair vor vier Jahren mit dem Satz meinte, dass Großbritannien Führung zeigen müsse, "damit wir Europa in unserem Sinne ändern können."

Unterscheidet sich nur Blair nur im Stil von seinen Vorgängern Margret Thatcher? (Foto: Foto: Reuters)

Das war kein Versprechen, Europa mitzugestalten, wie viele in der damaligen europäischen Reformeuphorie hofften. Das war eine Drohung. Die Insel will nicht europäischer werden, sondern Europa soll sich nach ihren Wünschen formen.

Das mag verständlich sein, kann aber nicht gut gehen. So baut man keine Gemeinschaft auf, so zerstört man sie. Selbst wenn die britische EU-Präsidentschaft jetzt mit einer Einigung auf die Finanzen relativ glimpflich zu Ende geht, so bleibt doch eine schwere Beschädigung des europäischen Geistes.

Dieser Geldkompromiss, den man schon vor sechs Monaten hätte haben können, wird die EU nicht zerreißen. Aber mit den politischen Schleifspuren des brutalen Machiavellismus der britischen Verhandlungsführung wird nicht leicht zu leben sein. Den neuen Mitgliedsländern ist die falsche Lektion erteilt worden: Immer nur stur seinen nationalen Interessen zu folgen.

Das ist umso bitterer, weil es gerade diese Länder waren, die den ersten Versuch der finanziellen Einigung im Juni gemeinschaftsdienlich zu retten versucht hatten. Obwohl sie auf jeden Euro angewiesen sind, legten sie, als nichts mehr zu gehen schien, einen Teil des ihnen Zugedachten wieder auf den Tisch.

Für einen Moment schwebte damals der europäische Geist wie ein Engel über dieser Versammlung von Krämerseelen - bis die Hoffnung am harschen Nein der Briten zerplatzte, hinter dem sich freilich auch eine paar andere, wie die Holländer und die Schweden, versteckten.

Niemand wird es den kleinen und den armen Ländern künftig verübeln können, wenn sie Appelle an Gemeinsinn und Solidarität schulterzuckend abtun. Der schlimmste Schaden, den die Briten angerichtet haben, ist der in den Köpfen.

Es wird mühsam werden, der Erkenntnis wieder Geltung zu verschaffen, dass die Addition nationaler Interessen noch kein vereinigtes Europa ergibt. Erst die Bereitschaft eines jeden, für das Gelingen des Gemeinsamen zu geben und nachzugeben, kittet die Union zusammen.

Niemandem werden existenzielle Opfer abverlangt. Aber dafür, dass die Union allen politisch und wirtschaftlich enorm nutzt, darf sie erwarten, dass alle ihren berechtigten Eigeninteressen wo nötig europäische Zügel anlegen. Viel verlangt ist das nicht. Aber selbst das scheint Großbritannien nicht willig zu geben.

Das kontinentale Europa muss sich darum der Frage stellen, vor der man sich lange gedrückt hat: Was geht eigentlich noch mit den Briten? Die nüchterne Antwort, nur wenig. Zu wenig jedenfalls, um die Europäische Union voranzubringen.

Dass Tony Blair der erste britische Premier sei, der sein Land nicht nur an Europa heran-, sondern es auch hinein- führt, hat sich als Illusion erwiesen. Er unterscheidet sich nur im Stil von seinen Vorgängern Margret Thatcher, die handtascheschwingend ihr Geld zurückforderte, und John Major, der aus Ärger über die europäische Furcht vor seinen BSE-Rindern monatelang die EU auf allen Ebenen blockierte.

Großbritannien, soviel ist sicher, wird sich wichtigen Kernelementen der EU nicht anschließen, weder dem Euro noch dem Schengensystem der offenen innereuropäischen Grenzen. Und es wird bei der politischen Vereinigung weiter auf der Bremse stehen. Von Blairs Nachfolger Gordon Brown und dessen Herausforderer David Cameron weiß man jedenfalls schon, dass sie Europa nur als Freihandelszone schätzen.

Es bleibt darum nur übrig, die weitere europäische Rechnung erst einmal ohne die Briten zu machen. Denn Europa wird nur dann einen Weg aus seiner gegenwärtigen Orientierungslosigkeit finden, wenn es sagt, wohin es will.

Dafür muss es zwei Dinge anpacken, die London am liebsten nicht angerührt sähe: Die EU muss zum einen die Grenzen ihrer Erweiterung bestimmen. Allein die Gewissheit darüber kann sie stabilisieren und beruhigen. Und zum anderen kann sie nur eine Reform ihrer Strukturen politisch wirklich handlungsfähig machen. Dass darüber ab dem Frühjahr nun ernsthaft geredet werden soll, verdanken wir auch den frustrierenden Erfahrungen mit britischer Führerschaft in europäischen Angelegenheiten. Da immerhin hat Blair Gutes bewirkt.

Nachdem Deutschland nun wieder eine stabile Regierung hat, fällt es ihm zu, Anstöße für eine neue, europäische Bewegung zu geben. Nicht weil es klüger wäre, sondern weil es das größte Land ist und die weitreichendsten europäischen Interessen hat. Um Europa auf Kurs zu bringen, bedarf es einer starken Kraft, die viele kleine Kräfte zu bündeln weiß.

Mit ihrem respektablen Auftritt beim EU-Gipfel hat Angela Merkel Erwartungen geweckt, denen sie versuchen sollte, gerecht zu werden. Dabei sei ihr der Mut zum weiten Blick gewünscht. Nur der hilft noch. Und am Ende mögen die Briten sogar wieder dabei sein. Denn was sie noch weniger leiden können als die EU, ist es, von ihr abgehängt zu werden.

© SZ vom 19.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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