EU-Gipfel:Blockaden allüberall

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Eine neue Verfassung und ein neuer Kommissionspräsident - das sind die Ziele, die in Brüssel erreicht werden sollen. Doch die Mitgliedsländer bremsen sich gegenseitig aus. Während Bundeskanzler Schröder die "machtpolitischen Spielchen" der Konservativen kritisiert, wehrt sich London gegen ein "deutsch-französische Direktorium".

Rund ein Dutzend kleinerer und mittlerer EU-Länder haben am Freitag offenbar den irischen Kompromissvorschlag zur EU-Verfassung blockiert. Wie aus spanischen Regierungskreisen verlautete, wird die Gruppe von Tschechien angeführt.

Spanien selbst ist nach Angaben seines Staatssekretärs für Europafragen, Alberto Navarro, bereit, den irischen Kompromiss anzunehmen.

Nach Angaben Navarros wenden die Gegner des Vorschlages ein, dass er Spanien in allen seinen Forderungen entgegenkomme. Sie wollten die Schwelle bei der Mehrheitsfindung im Ministerrat von vorgeschlagenen 55 auf 60 Prozent der Mitgliedstaaten anheben.

Polen hingegen, das im Dezember zusammen mit Spanien eine Einigung auf die EU-Verfassung verhinderte, ist nach Angaben Navarros mit dem vorliegenden Kompromissvorschlag einverstanden.

Dublin schlägt zur Mehrheitsfindung im Ministerrat vor, dass mindestens 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die zugleich 65 Prozent der EU-Bevölkerung ausmachen, zustimmen müssen.

Damit nicht drei große Staaten mit einem Bevölkerungsanteil von mehr als 35 Prozent der Gesamtbevölkerung Beschlüsse blockieren können, müssen sich nach dem irischen Vorschlag mindestens vier Staaten zusammentun, um einen Beschluss zu verhindern.

Ferner empfiehlt Irland den 25 EU-Staats- und Regierungschefs, die EU-Kommission auf 18 Kommissare zu begrenzen. Bislang schickt jedes Land je nach Größe einen oder zwei Kommissare nach Brüssel.

In ihrem Kompromisspapier schlägt die irische Ratspräsidentschaft zudem vor, die Zahl der Sitze im Europaparlament pro Mitgliedstaat auf mindestens sechs zu erhöhen.

Neben dem Streit um die Verfassung wird auch weiterhin um den neuen Präsidenten der EU-Kommission gestritten.

Streit der großen Drei

Vor allem die großen Drei - Deutschland, Frankreich und Großbritannien - verhakten sich i Laufe des Tages in der ermüdenden Personaldiskussion und sparten auch nicht mit Seitenhieben.

Mit dem Beitritt der zehn neuen Mitgliedsländer waren neue Bündnisse möglich, alte Rechnungen gingen nicht mehr auf. Die von Optimismus geprägte Stimmung zu Beginn des Gipfels verschlechterte sich zusehends.

Das Kandidatenkarrusell, das sich schon lange vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs zu drehen begonnen hatte, kam auch beim Gipfel nicht zu einem Halt.

Noch während der stundenlangen Verhandlungen tauchten immer wieder neue Namen auf - sogar der des deutschen Außenministers Joschka Fischer (Grüne). Ein polnischer Diplomat zog den Vergleich zu einer Tasse Tee, in der jemand zu heftig gerührt hat: "Jeder wartet darauf, dass sich die Blätter wieder setzen, um ein klares Bild zu haben."

Klar war von Beginn an die Position der fest geschmiedeten deutsch-französischen Achse: Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Präsident Jacques Chirac hatten sich auf den belgischen Regierungschef Guy Verhofstadt festgelegt und wankten trotz des heftigen britischen Widerstandes nicht.

Schröder, während der ersten nächtlichen Verhandlungen zugleich auch Vertreter Chiracs, musste noch nicht einmal zum irischen Ratspräsidenten Bertie Ahern in den so genannten Beichtstuhl. Ahern hatte offenbar eingesehen, dass auch ein Zweiergespräch nichts bringen würde.

Öffentlich stemmte sich vor allem Großbritannien gegen Verhofstadt, den Gegner des Irak-Krieges, der während der Gipfelverhandlungen zur Verfassung auch noch für eine Steuerharmonisierung innerhalb der EU eintrat.

Auch Italien und Polen, ebenfalls treue Bündnispartner an der Seite der USA im Irak-Krieg, sowie Slowenien, Griechenland und Portugal seien gegen Verhofstadt gewesen, versicherte ein britischer Regierungssprecher.

London begrüßt Vorschlag der Konservativen

Dankbar griff London den Vorschlag der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) auf, die den britischen EU-Außenkommissar Chris Patten ins Rennen um den mächtigen Posten schickte: Außenminister Jack Straw sagte, er hege "große Bewunderung für Chris".

Er habe dies nur nicht vorher gesagt, weil das die Chancen seines Landsmanns geschmälert hätte, fügte er hinzu. In anderen Delegationen wurde Patten klar als Scheinkandidat bezeichnet, aufgestellt, um Verhofstadt zu verhindern.

Als Blockierer wollte sich London jedenfalls nicht abstempeln lassen. Die britische Regierung akzeptiere, dass nicht sie den nächsten Kommissionspräsidenten diktieren könne - das gelte aber auch für andere, stichelte der Sprecher gegen Schröder und Chirac.

Insgesamt seien "um die neun" Länder gegen Verhofstadt gewesen, verlautete aus EU-Kreisen. Es habe sich um die gehandelt, die gegen das "deutsch-französische Direktorium" seien.

Ihnen dürfte auch nicht gepasst haben, dass Schröder und Chirac nicht nur den Kommissionspräsidenten bestimmen, sondern damit auch Einfluss darauf nehmen wollen, dass ihre Länder ab November durch einen deutschen Superkommissar für Industriepolitik und vielleicht einen französischen Wettbewerbskommissar vertreten werden sollen.

Der Bundeskanzler kritisierte die "machtpolitischen Spielchen" der Konservativen. Nach den langen, dem Vernehmen nach "nicht so freundlichen" nächtlichen Verhandlungen gab er sich selber indes arglos: Deutschland habe keine eigenen personalpolitischen Interessen und wolle deshalb als "ehrlicher Makler" auftreten, sagte er.

Für die wichtigen Verhandlungen über die EU-Verfassung war der Streit um die Nachfolge Romano Prodis nicht gerade förderlich. So eine Nacht werfe ihre Schatten, gab die finnische Präsidentin Tarja Halonen zu.

Und Gipfelpräsident Bertie Ahern, der mit seinen Kandidatenlisten unermüdlich den Konsens uner den Staats- und Regierungschefs gesucht hatte, war am zweiten Tag auch nicht mehr so optimistisch und schloss einen Sondergipfel zur Kandidatenfrage nicht mehr aus. "Irgendwann", meinte er, "muss ja jemand diesen Job kriegen."

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