Erkundungen in Stein und Eis:Der Stand der Forschung

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Seen verschwinden, Nordseefische wandern noch weiter gen Norden, die Alpengletscher schmelzen - was Klimaskeptiker als eine Reihung von Zufällen darstellen wollen, gilt Klimaforschern als Alarmsignal: Die globale Erwärmung scheint unaufhaltsam.

Patrick Illinger

Die Erde lässt sich nicht in ein paar simple Formeln oder Gleichungen pressen. Dazu ist das biologisch-physikalisch-chemische Wechselspiel dieses Planeten zu komplex. Wer also untersuchen will, in welchem Zustand die Erde in einigen Jahren oder Jahrzehnten sein wird, begibt sich auf ein kompliziertes Terrain.

Da müssen Klimadaten der Vergangenheit, etwa aus versteinerten Baumringen oder arktischen Eisbohrkernen, mit Computermodellen kombiniert werden, an denen die modernsten Rechenanlagen der Welt schwer zu arbeiten haben. Aus dieser Konstellation entstehen zwangsläufig Aussagen, die mit einem gewissen Unsicherheitsfaktor versehen sind.

Das bietet so genannten Klimaskeptikern immer wieder die Chance, den Klimawandel zu leugnen oder herunterzuspielen. Doch die Fülle der Indizien weist mittlerweile zweifelsfrei in eine Richtung: Das Erdklima ist im Wandel, und die Atmosphäre heizt sich nicht zuletzt aufgrund der menschengemachten Treibhausgase zunehmend auf.

Die jüngsten Prognosen des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg zeigen eine durchschnittliche Erwärmung der bodennahen Erdatmosphäre um 2,5 Grad Celsius bis zum Jahr 2100.

125 sibirische Seen spurlos verschwunden

Abhängig davon, wie viel fossile Energieträger die Menschheit in den kommenden Jahren verbrennt, kann die Steigerung auch vier Grad betragen. Das mag manchen Zeitgenossen zunächst nicht erschrecken.

Dabei muss man sich jedoch vor Augen halten, dass die globale Durchschnittstemperatur während der letzten Eiszeit vor 20000 Jahren nur um vier bis fünf Grad unter dem heutigen Wert lag. Damals war der Gardasee ein Alpengletscher, und die Elbe lag an der Grenze zum nördlichen Eispanzer.

Am vergangenen Freitag haben Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven ihre neuesten Klimadaten veröffentlicht. Nach der Analyse winziger Gaseinschlüsse aus den Tiefen des antarktischen Eises kamen sie zu dem Schluss, dass die Konzentration von Treibhausgasen in der Erdatmosphäre heute höher liegt als in den vergangenen 650000 Jahren.

Auch im hohen Norden mehren sich die Anzeichen der globalen Erwärmung. So sind in den vergangenen 30 Jahren in Sibirien 125 Seen spurlos verschwunden. Zwei Drittel der bodennah lebenden Fische der Nordsee haben ihren Verbreitungsschwerpunkt um bis zu 400 Kilometer nordwärts verlagert oder sich in tiefere Wasserschichten zurückgezogen.

Dazu gehören beliebte Speisefische wie der Kabeljau und die Seezunge. Südafrikanische Experten, welche die Artenvielfalt beobachten, schätzen, dass die Hälfte aller europäischen Pflanzenarten dem Klimawandel zum Opfer fallen könnten. Neue Verbreitungsräume würden hingegen Insekten erhalten, die Krankheitserreger übertragen. So könnten sich die Malariagebiete weiter nach Norden verschieben.

Hurrikane statistischer Zufall oder Alarmsignal?

In für Wissenschaftler ungewöhnlicher Deutlichkeit haben Klimaforscher auch die Hurrikan-Saison dieses Jahres mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht. Seit den siebziger Jahren hat sich die Oberflächentemperatur des tropischen Atlantiks um ein halbes Grad aufgeheizt, stellte Kerry Emanuel vom Massachusetts Institute of Technology fest.

Seither steigt auch die Energiedichte der Hurrikane. Wilma brach im Oktober den Rekord: Der Innendruck des Sturms von 882 Hektopascal war der tiefste je im atlantischen Raum gemessene Wert.

Rein statistisch könnten die Hurrikane dieses Jahres auch Zufall sein. Ein direkter Beweis für den Klimawandel ist das ebenso wenig wie der heiße Sommer des Jahres 2003 oder der Regen von 2005.

Doch nimmt man alle Daten, Messungen und Modellrechnungen der Klimaforschung zusammen, verschließt man nicht die Augen vor den rapide schmelzenden Alpengletschern, so sind Zweifel an der voranschreitenden globalen Erwärmung fast schon blauäugig.

© SZ vom 28. November 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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