Entschädigungen:Aufstand der Geschichte

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Deutschland sollte mit Mitgefühl und nicht mit juristischer Kälte auf Reparationsforderungen reagieren. Sie befreien Griechenland dennoch nicht von der Reformpflicht.

Von Stefan Ulrich

Geschichte wiederholt sich nicht. Aber sie kehrt wieder, vor allem, wenn sie traumatisch war. Verdrängtes bedrängt nicht nur die Seelen einzelner Menschen, sondern auch das Zusammenleben ganzer Nationen. Und alte Schuld, die nicht recht gesühnt wurde, schafft neue Probleme, selbst wenn sie juristisch nicht mehr einklagbar ist.

Dies zeigt sich gerade im Verhältnis Deutschlands zu Griechenland. Der Aufstand der Geschichte belastet aber auch die Gegenwart anderer Völker. Türken und Armenier entzweit der Völkermord, dem einst so viele Armenier zum Opfer fielen. Serben, Kroaten, Bosnier oder Kosovaren sehen sich wechselseitig als Opfer von Mord und Vertreibung. Nationen des Südens werfen dem Norden bis heute Kolonialismus und Sklaverei vor. Geschichte kann die Gegenwart überwältigen und die Zukunft gefährden. Auch deshalb müssen sich die Nationen ihr stellen, auch wenn sie sich nicht wiederholt.

Deutschland hat sich vielen Entschädigungsforderungen aus Ländern, die einst vom Dritten Reich geschunden wurden, juristisch geschickt entzogen. Früher argumentierten die Bundesregierungen, Kriegsreparationen könnten erst in einem künftigen Friedensvertrag abschließend geregelt werden. In Zeiten des Kalten Krieges, als eine starke Bundesrepublik gegen die Sowjetunion gebraucht wurde, kam sie damit durch. Doch nach dem Ende des Kalten Krieges meldete sich die Geschichte zurück. Einzelne Griechen und Italiener verklagten Deutschland auf Entschädigung. Hunderttausende ehemalige Zwangsarbeiter setzten ihre Forderungen gegen deutsche Firmen mit amerikanischer Hilfe durch. Und Athen verlangte, endlich für die Verwüstung seiner Infrastruktur und andere Leiden im Weltkrieg entschädigt zu werden.

Die Opfer verdienen Mitgefühl statt juristischer Kälte

Deutschland fand wieder Argumente, um sich dem Drängen zu widersetzen: Der Zwei-Plus-Vier-Vertrag von 1990 sehe keine Reparationen mehr vor. Eine Zwangsanleihe, die Griechenland nun zurückgezahlt haben will, sei gar kein echter Kredit gewesen. Und im Rahmen des vereinten Europas habe Deutschland ohnehin viel für Griechenland geleistet. Mit diesen Begründungen wird Berlin auch jetzt wieder die griechische Rechnung über 279 Milliarden Euro zurückweisen.

Juristisch betrachtet sind die Argumente der Deutschen gut. Allerdings sollte sich die Bundesrepublik ihren europäischen Freunden gegenüber nicht benehmen wie ein kühler Geschäftsanwalt. Gewiss, Athen provoziert im Streit um Reformen und Etatsanierung und benutzt die Reparationsforderungen als Druckmittel in diesem Konflikt. Deutschland tut gut daran, darauf zu bestehen, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Griechenland muss seinen Staat im eigenen und im europäischen Interesse erneuern, unabhängig davon, ob es eine alte Rechnung mit Deutschland offen hat.

Nur: Diese Rechnung liegt trotzdem weiter auf dem Tisch. Die Griechen werden sie immer wieder präsentieren; genauso wie die Balkanvölker einander weiter alte Schuld vorhalten werden - oder der Süden dem Norden.

Muss die Gegenwart also Geisel der Geschichte bleiben? Falls die Täter keine echte Reue zeigen und die Opfer auf Schadenersatz im vollen Umfang bestehen: ja. Kein Volk kann nach einem großen Krieg all das reparieren, wiederaufbauen und ausgleichen, was es in fremden Landen angerichtet hat. Deutschland schon gar nicht. Dafür sind die Zerstörungen des Dritten Reiches etwa in Osteuropa oder Griechenland zu groß gewesen. Wie negativ hohe Reparationspflichten wirken können, zeigte der Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg. Damals fühlten sich die Deutschen unerträglich belastet. Das schürte Ressentiments und führte - unter anderem - in einen neuen Krieg. Auch wegen dieser Lehre kam Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg glimpflich davon, ließen die Sieger Gnade vor Recht ergehen. Die Folgen für ganz Europa sind äußerst positiv.

Dennoch bleibt es moralisch verstörend, wenn alte Großschuld nie beglichen wird. Wenn in dieser Welt ein Verkehrsunfall reguliert wird, während Opfer von Krieg ohne Entschädigung bleiben. Die Nachfahren der Opfer dürfen da zumindest erwarten, dass die Nachfahren der Täter ihnen nicht mit juristischer Kälte, sondern mit Empathie begegnen.

Es geht nicht darum, der griechischen Regierung 279 Milliarden zu überweisen. Die Erfüllung einer solchen Forderung ist illusionär. Eine Geste des guten Willens, sei es Stiftung, Spende oder Aufbauhilfe, wäre jedoch angebracht. Ein solcher Dienst an der Vergangenheit könnte Griechen und Deutschen helfen, sich wirklich auszusöhnen und der Gegenwart zuzuwenden. Die ist kompliziert genug.

© SZ vom 08.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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