Entführung von Deutschen durch die PKK:Der Staat nährt seine Feinde

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Seit Jahren wird der bevorstehende Untergang der kurdischen Arbeiterpartei PKK vorausgesagt. Die Realität zeigt etwas anderes: Trotz des internationalen Drucks hat die Partei noch großen Zulauf.

Kai Strittmatter

Damit konnte man nicht unbedingt rechnen. Die Türkei war nicht Kolumbien, bislang. Die PKK entführte schon lange keine ausländischen Touristen mehr. Deutsche Geiseln als Waffe - das ist eine neue Qualität im Kampf der Kurdischen Arbeiterpartei PKK. Eines ist klar: Es sind Kämpfer unter Druck, unter großem Druck.

Trotz aller Niedergangs-Prophezeiungen für die PKK: Viele Kurden sehen in der Partei ihre einzige Alternative zu einem Staat, von dem sie sich abgelehnt fühlen. (Foto: Foto: AFP)

Die PKK sieht sich zunehmend isoliert, immer mehr Kurden haben die Nase voll von Gewalt und Bürgerkrieg. Die Welt drückte beide Augen zu, als die türkische Armee zu Jahresbeginn in die nordirakischen Berge einfiel. Die USA lieferten türkischen Bomberpiloten Geheimdienstinformationen über die Lage von PKK-Camps. Die nordirakischen Kurdenführer sind drauf und dran, in Gespräche mit Ankara zu treten. Die Europäische Union und die USA führen die PKK offiziell auf ihrer Liste von Terrororganisationen. Gerade jene europäische Staaten, die in der Vergangenheit oft Sympathie für die Sache der Kurden gezeigt hatten, kooperieren zunehmend mit Ankara.

Nur, wer das Armutsproblem der Kurden löst, kann die PKK besiegen

Ist damit die Entführung auch der verzweifelte Versuch eines Befreiungsschlags? Man muss vorsichtig sein mit solchen Einschätzungen. Die türkischen Zeitungen melden seit Jahren regelmäßig den bevorstehenden Untergang der PKK. Und die PKK kam noch jedes Mal zurück. Weil der türkische Staat dem entscheidenden Irrtum anhing, das die PKK allein ein Terror- und Sicherheitsproblem sei.

Dabei ist längst klar: Die PKK besiegt nur, wer die Diskriminierung und die Armut der Kurden bekämpft, eines Volkes, dem in der Türkei lange Jahre die eigene Existenz verneint wurde. Kurden seien nichts anderes als "Bergtürken", hieß es. Das türkische Militär hat schon deshalb schlechte Referenzen, weil es mit schuld ist, dass die PKK überhaupt existiert. Die Generäle ließen nach dem Militärputsch 1980 kurdische Männer vom Knaben bis zum Greis foltern. Viele gingen daraufhin "in die Berge" - zur PKK.

1984 überfiel die PKK erstmals eine Polizeistation: Es war der Beginn eines Bürgerkriegs, in dem Terror und Gegenterror bis heute 40000 Menschen das Leben kosteten. PKK-Gründer Abdullah Öcalan schuf eine Kadertruppe mit sektenähnlichen Zügen, die auch gegen "Verräter" im eigenen Volk gnadenlos vorgeht. Öcalan wurde 1999 festgenommen; das wäre die Chance für den türkischen Staat gewesen. Die PKK war kopflos, sie erklärte einen Waffenstillstand, der Jahre anhielt. Die Türkei ließ die Chance ungenutzt verstreichen, nichts wurde unternommen, was den Sumpf hätte austrocknen können, aus dem die PKK immer wieder neue Nahrung bezog.

Die PKK, die einst für einen eigenen Kurdenstaat kämpfte, erklärt seit einiger Zeit, nur noch die kurdische Autonomie und die Anerkennung der kurdischen Identität zu wollen. Das sind keine hohlen Worte für die Menschen im Südosten, die noch immer absurden Restriktionen ausgesetzt sind. Die Kurdengebiete, seit Jahrzehnten vernachlässigt, sind die ärmsten des Landes, die Arbeitslosigkeit in Städten wie Diyarbakir liegt bei 60 bis 70 Prozent.

Skepsis gegenüber offizieller Versprechen

Gleichzeitig macht sich strafbar, wer in öffentlichen Schreiben die Buchstaben Q, W und X benutzt - die nämlich gibt es nur im kurdischen, nicht im türkischen Alphabet. Wenn beim kurdischen Neujahrsfest Newroz ein Polizist einem 15-jährigen Jungen den Arm nach hinten drückt, bis er bricht, und ein Video davon bei YouTube landet, dann kann sich die PKK keine bessere Rekrutierungswerbung wünschen.

Die AKP-Regierung von Tayyip Erdogan hat im Mai ein Milliardenprogramm vorgestellt, mit dem sie die Wirtschaft im Südosten aufpäppeln will. Aber die Skepsis ist groß: Zu viele solcher Versprechen gab es schon. Immerhin soll bald ein kurdischsprachiges Programm des Staatssenders TRT auf Sendung gehen. Es droht jedoch großes Ungemach: Gegen die Regierungspartei AKP läuft ebenso ein Verbotsverfahren wie gegen die Kurdenpartei DTP, in der viele den legalen Arm der PKK sehen.

Die Kurden aber haben diesen beiden Parteien bei der Wahl 2007 mehr als 90 Prozent ihrer Stimmen gegeben. Und die werden nun einfach per Federstrich vom Verfassungsgericht ausgelöscht? "Wir senden ihnen die Botschaft: Eure Stimmen zählen nicht. Demokratie zählt nicht", fürchtet der liberale Kolumnist Yavuz Baydar. Wasser auf die Mühlen der PKK. Sie mag schwach sein. Sie mag oft verbrecherisch agieren. Trotzdem sehen viele Kurden in ihr noch immer die einzige Alternative zu einem Staat, von dem sie sich abgelehnt fühlen.

Im liberalen Teil der türkischen Presse wird manchmal das symbiotische Verhältnis der Armee zur PKK diskutiert. "Die Armee hat diesen Krieg geschaffen. Und der Krieg hält die Armee mächtig", glaubt etwa die Autorin Perihan Magden. Die Kritiker fragen, wie es möglich sein kann, dass Abdullah Öcalan seit neun Jahren in Isolationshaft auf einer Insel sitzt und dennoch weiter die PKK steuert.

Die letzten Geiseln hat die PKK im Oktober 2007 genommen: Eine Gruppe türkischer Soldaten war in Daglica in einen PKK-Hinterhalt geraten, bei dem 12 Soldaten getötet und acht von der PKK entführt wurden. Es war dieser Angriff, der in der Türkei die Dämme brechen ließ; tags darauf forderte die Presse die Regierung auf, der Armee endlich den Einmarsch in den Nordirak zu gestatten.

Nun enthüllte die Zeitung Taraf: Die Armeeführung wusste vorher von dem PKK-Angriff - und hatte ihn geschehen lassen, offenbar, weil er ihr ins Kalkül passte. "Der Staat allein", sagt Mehmet Kaya von der Handelskammer in Diyarbakir, "hat es in der Hand, die PKK wieder groß zu machen." Die Geiseln von damals kamen übrigens nach zwei Wochen unversehrt wieder frei.

© Süddeutsche Zeitung vom 11.7.2008/dgr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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