Entführter israelischer Soldat:In Angst um den verlorenen Sohn

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Ganz Israel bangt mit der Familie des Soldaten Gilad Schalit, der seinen Entführern als Faustpfand für gefangene Palästinenser dienen soll.

Thorsten Schmitz

Als die Eltern von Gilad Schalit am Sonntagmorgen vom Überfall palästinensischer Terroristen auf einen israelischen Grenzposten nahe dem Gaza-Streifen erfuhren, wussten sie noch nicht, dass dabei auch ihr Sohn entführt worden war. Die Mutter Aviva des 19 Jahre alten Soldaten arbeitet bei einer Organisation für den Schutz der Natur, Vater Noam ist bei Iscar angestellt, der Maschinenbaufirma des Industriellen Stef Wertheimer, die gerade vom amerikanischen Multi-Milliardär Warren Buffett für 4 Milliarden US-Dollar aufgekauft worden ist.

Der entführte Soldat Gilad Schalid ist 19 Jahre alt. (Foto: Foto: AFP)

Es war noch früh am Morgen, als im Radio und im Internet die ersten Meldungen von dem Überfall liefen, die von der Entführung eines israelischen Soldaten in den Gaza-Streifen berichteten. Kollegen von Noam Schalit berichteten ihm von dem Angriff. Seine Frau Aviva las derweil im Internet, was geschehen war nahe Kerem Schalom und sandte umgehend eine SMS an ihren Sohn: "Gilad, melde dich, wenn du kannst." Als nach einer halben Stunde noch immer keine Antwort kam, rief sie ihn an. Doch sein Handy war ausgestellt. Sie begann, sich Sorgen zu machen. Kurz darauf kam Noam in Begleitung zweier israelischer Offiziere zum Arbeitsplatz der Mutter und holte sie von dort nach Hause. Dort warteten bereits Gilads Geschwister Joel und Hadas.

Botschaft an die Entführer

Im Handumdrehen wurde das beschauliche Dorf Mizpe Halil, das auf einer Erhebung im westlichen Teil von Galiläa liegt und in Israel als Wochenend-Zuflucht für Großstädter bekannt ist, zum Wallfahrtsort der Sorge. Einen Tag lang traute sich die Familie Schalit, die selber auch Zimmer vermietet, nicht aus ihrem Haus und ließ ihre Nachbarin und beste Freundin Ilana Levi mit den Vertretern der Weltpresse und den israelischen Medien sprechen. Immer wieder wurde die Nachbarin gefragt, wer denn Gilad Schalit sei, der auf dem weltweit veröffentlichten Foto erstaunliche Ähnlichkeit mit der Filmfigur von Harry Potter hat.

Sehr still sei "das Kind", sagte Ilana Levi am Dienstag, "ich nenne ihn Kind, für mich war er kein Soldat". Er sei für sie "wie der eigene Sohn". Gilad habe wenig Freunde, "dafür aber echte". Mathematik und Physik begeistere ihn, und immer trage er ein Lächeln im Gesicht. Wie die Stimmung innerhalb der Familie sei, wird Ilana Levi gefragt, als könnte es darüber einen Zweifel geben. "Die Familie ist angespannt, verschlingt jede noch so kleine Information, immer wieder fließen Tränen, ein Kopf wird an die Schulter des anderen gelehnt."

Am Montag dann ging Noams Vater vor die Haustür und verlas einen Brief an den verlorenen Sohn. Man hoffe, dass er "diese schwierigen Zeiten" durchstehe, man denke "die ganze Zeit an ihn". An seine Entführer richteten die Eltern den Satz, man sei sicher, dass diese auch Kinder hätten und daher wüssten, "was wir durchmachen". Seine Frau Aviva sei in "schlechter Verfassung, so wie jede andere Mutter auch, deren Sohn entführt worden ist".

Israel ist ein kleines Land mit nur sieben Millionen Einwohnern. Nachrichten verbreiten sich hier in Windeseile, und oft kennt jeder jeden, zumindest über Ecken. Die Anteilnahme am Leid der Familie Schalit ist in diesen Tagen daher groß. Spontan kommen Hunderte Menschen an der Klagemauer in Jerusalem zusammen und beten für Gilads Rückkehr, die Zeitungen rufen dazu auf, blaue Stoffstreifen an Autoantennen zu knoten, und im Rundfunk gibt es nur ein Thema: Wo ist Gilad? Und: Wann startet die Armee den Einmarsch in den Gaza-Streifen?

Widersprüchliche Informationen über Geisel

Über Gilads Verfassung kursieren widersprüchliche Informationen. Sicher scheint zu sein, dass er von seinen Entführern nicht weggetragen wurde, sondern selbst laufen konnte. Zunächst hieß es, er sei beim Überfall auf seinen Panzer am Bauch durch eine Schusswunde verletzt worden, inzwischen spricht man nur noch von einer gebrochenen Hand. Nach neuesten Erkenntnissen der Armee wird Gilad im Flüchtlingslager von Rafach im Süden des Gaza-Streifens festgehalten.

Die Entführer, darunter die Hamas, tönten am Dienstag, Gilad werde an einem "sicheren Ort vor dem zionistischen Feind" versteckt gehalten. Der 19 Jahre alte Soldat soll nun als Faustpfand für die Freilassung von weiblichen und jugendlichen Palästinensern dienen. In israelischen Gefängnissen sitzen derzeit etwa 8500 palästinensische Häftlinge, darunter 100 Frauen und 313 Minderjährige. Israels Regierungschef Ehud Olmert hat einen Gefangenenaustausch jedoch kategorisch ausgeschlossen.

© SZ vom 28.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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