Energie-Wende:Damals, beim Atomausstieg

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Keine Einzelheiten parat: Kanzlerin Merkel (Foto: Bernd von Jutrczenka/AFP)

Ein Untersuchungsausschuss befragt Merkel zu Fehlern bei der Biblis-Stillegung. Die kann sich nicht an Details erinnern.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Der Tisch ist der gleiche wie damals, im März 2011. Kreisrund, im ersten Stock des Kanzleramtes. Damals saßen hier die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten jener Länder, in denen Atomkraftwerke liefen. Jetzt sitzt hier wieder die Kanzlerin - nicht als Hausherrin, sondern als Zeugin eines Untersuchungsausschusses. Es geht um jene Tage im März, die Tage nach Fukushima.

Fünf Tage nach dem Atomunglück dort ist Merkel 2011 Gastgeberin einer bemerkenswerten Runde. Mit den Ministerpräsidenten der Atomkraftländer Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein berät sie, welche Folgen das Unglück in Japan hierzulande haben soll. Die Idee eines "Moratoriums" steht im Raum, aber keiner weiß, wie genau es aussehen wird. Nach der Sitzung sollen acht deutsche Atomkraftwerke stillgelegt werden - zunächst vorläufig, letztendlich für immer. Für Merkel, deren schwarz-gelbe Koalition eben erst die Laufzeiten verlängert hatte, ist es die abrupteste Kehrtwende ihrer Kanzlerschaft. "Für mich hat sich die gesamte Sicherheitsbewertung geändert", erinnert sich Merkel.

"Das war das primär tragende Element." Viereinhalb Jahre später sitzt Merkel nun wieder in dem Saal, selbes Thema, an der Stirnseite des Saales 59 Aktenordner voller Dokumente von einst - und im Rund ein Ausschuss des hessischen Landtags, der eigens ins Kanzleramt angereist ist. Und sich nun die Zähne an der Kanzlerin ausbeißt. Es geht um bis zu 235 Millionen Euro Schadenersatz, die irgendwer womöglich zahlen muss. Der Stromkonzern RWE hat ihn gefordert, für sein Atomkraftwerk Biblis in Hessen. Beide Blöcke des Kraftwerks wurden seinerzeit abgeschaltet, ein Verwaltungsgericht hat dem Essener Konzern recht gegeben - bei der Verfügung des Stillstands seien formale Fehler gemacht worden. Doch wer trägt die Verantwortung? Hat die Bundesregierung die Länder bei jener Sitzung im März 2011 in die Abschaltung getrieben? Hat die Kanzlerin gar Hessens Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) Hilfe zugesagt?

Merkels Linie ist von Anfang an klar: Die Entscheidungen in den Tagen nach Fukushima waren rein politischer Natur, die konkrete Ausführung war Sache der zuständigen Behörden. "Wir haben eine politische Diskussion geführt, keine Rechtsdiskussion", sagt Merkel über das Treffen mit den Ministerpräsidenten. Am Ende seien alle über die Abschaltung der Alt-Reaktoren einig gewesen, das zähle. Ein Protokoll jener Sitzung sucht man vergebens. Und an Details kann sich die Kanzlerin nicht mehr erinnern. "Sie hat ja auch noch ein paar andere Sachen um die Ohren", sagt der Vorsitzende des Ausschusses, Christian Heinz (CDU). Trotzdem fragt er wacker.

Leider sind es aber gerade die rechtlichen Fragen und Details, die den hessischen Landtag interessieren. Denn das "Moratorium" müssen Bund und Länder 2011 gemeinsam umsetzen - über einen Paragrafen des Atomgesetzes, der für die Gefahrenabwehr gedacht ist: Das Bundesumweltministerium schreibt eine Vorlage, die Länder verfügen sie, denn sie sind für die Atomaufsicht zuständig. Doch wer von beiden haftet? Das Land Hessen würde die Haftung gerne an den Bund abgeben. Merkel müsste nur zugeben, dass sie selbst in den Tagen die Regie führte, ungeachtet drohender Forderungen der Konzerne. Den Gefallen tut die Unions-Chefin dem schwarz-grünen Land nicht. "Die Schadenersatzfrage kam mir nicht in den Kopf", sagt sie, schon gar nicht in der Hektik. "Jeder war daran interessiert, dass man nicht erst in acht Wochen Schlussfolgerungen zieht - in der Stimmung, in der wir damals waren", sagt Merkel. Einige der angereisten Abgeordneten nicken beflissen. Mancher kann sich gut an die Zeiten erinnern. Als die Kanzlerin mittendrin kurz weg muss, zur Abstimmung über die Sterbehilfe im Bundestag, ist im Grunde schon alles gesagt. Angela Dorothea Merkel, wohnhaft Willy-Brandt-Straße 1 in Berlin, hat sich als Zeugin hinreichend unbrauchbar gemacht.

© SZ vom 07.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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