Diskriminierung im US-Strafvollzug:Der unterschwellige Makel

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Amerikas Justiz steht noch immer unter Verdacht, nicht frei von rassistischen Vorurteilen zu sein - ein halbes Jahrhundert nach dem Beginn der Bürgerrechtsmärsche.

Reymer Klüver

Der Vergleich hat es in sich. In Amerikas Gefängniszellen leben mehr junge Schwarze als in Wohnheimen der Colleges. Das hat die Statistikbehörde der USA vor ein paar Tagen festgestellt.

Ein Häftling wartet auf seinen Transport in eine Zelle. (Foto: Foto: afp)

Das Zahlenspiel gibt jäh den Blick frei in einen der Abgründe der Nation. Ein halbes Jahrhundert nach Beginn der Bürgerrechtsmärsche steht Amerikas Justiz noch immer unter Verdacht, bei Strafverfolgung und Strafzumessung nicht frei von rassistischen Vorurteilen zu sein.

Vor ein paar Wochen hat der Fall der Jena Six die Debatte über die Fairness der US-Justiz wieder angestoßen. Ein weißer Staatsanwalt hatte sechs schwarze Jugendliche nach einer Prügelei wegen versuchten Totschlags jahrzehntelang in Haft schicken wollen. Weiße Jugendliche aber ließ er bei ähnlichen Delikten mit Bewährungsstrafen davonkommen. Das war eindeutig Rassismus. Und es war eben kein Einzelfall.

Wird der in den USA populäre Football-Star Michael Vick , der eklige und verbotene Hundekämpfe organisierte, etwa deshalb so unnachsichtig verfolgt, weil er schwarz ist? Und liegt die Sache bei OJ Simpson, dem einstigen Football-Idol, nicht ähnlich? Sein Fall ist rassistisch aufgeladen.

Vor gut einem Jahrzehnt wurde er vom Vorwurf des Mordes an seiner (weißen) Ex-Frau freigesprochen, doch waren die USA entlang der Rassengrenzen tief gespalten: Das weiße Amerika sprach ihn schuldig, das schwarze Amerika folgte dem Gericht. Nun will ihn wieder ein (weißer) Staatsanwalt mit einer merkwürdig aufgeblasenen Anklage für den Rest seines Lebens hinter Gitter bringen.

Wie die Kriminalisierung einer Hautfarbe

In Georgia wiederum wurde ein schwarzer Teenager zu zehn Jahren Haft verurteilt, weil er Sex mit einer minderjährigen Freundin hatte. Der Staatsanwalt war ein Weißer. Die Härte des Gesetzes soll in den USA alle gleich treffen. Nur trifft es die Schwarzen oft härter.

Ein paar Zahlen. Gut 40 Prozent der Häftlinge sind Schwarze, der Bevölkerungsanteil der Schwarzen liegt aber nur bei knapp 13 Prozent. Die Zahl der Schwarzen in den Gefängnissen Amerikas hat sich im letzten Vierteljahrhundert vervierfacht. Wenn der Trend anhält, dürfte ein Drittel aller schwarzen Jungen, die seit 2001 zur Welt kamen, irgendwann im Knast landen. Dies käme der Kriminalisierung einer Hautfarbe gleich.

Amerika hat gelernt, mit Widersprüchen zu leben. Die USA sind viel bunter geworden, toleranter, ein in mancher Hinsicht tatsächlich multikulturelles Land. Es bietet unglaubliche Chancen - für Amerikaner aller Rassen. Barack Obama ist dafür das beste Beispiel.

Erstmals kann sich ein Schwarzer berechtigte Hoffnungen auf den Einzug ins Weiße Haus machen. Die Vereinigten Staaten haben zwei schwarze Außenminister in Folge. Die Reihe schwarzer Wirtschaftsführer ist eindrucksvoll. Eine der einflussreichsten Figuren in der für Amerika so wichtigen Glitzerwelt der Stars in Fernsehen und Unterhaltung ist Oprah Winfrey, eine Schwarze. Der krude Rassismus alter Zeiten ist gewiss vorbei.

Doch hat die Diskriminierung in Zeiten des Postrassismus subtilere Formen angenommen. Nur zwei Beispiele aus der Justiz: Es ist eine Tatsache, dass die Delikte, die gemeinhin von Schwarzen begangen werden, vor allem im Drogenmilieu, mit ungleich höheren Strafen bewehrt sind als die Verbrechen, die eher von Weißen verübt werden.

Wer Crack raucht (was mehr Schwarze als Weiße tun), muss länger in den Bau als diejenigen, die Kokain schnupfen. Und nur zu oft sind auch die Geschworenen der Gerichte einseitig ausgewählt. Obwohl Schwarze zwölf Prozent der Bevölkerung in der Gegend stellen, war die Jury im Fall der Jena Six zum Beispiel rein weiß besetzt- und das in einem Ort, der bei Wahlen mit großer Mehrheit für einen früheren Führer des rassistischen Ku-Klux-Klan stimmte.

Wie ist dem Problem beizukommen? Die Selbstheilungskräfte des amerikanischen Systems wirken. Schwarze Jugendliche werden zwar noch immer deutlich häufiger festgenommen als Weiße - aber nicht mehr so häufig wie noch vor zwei Jahrzehnten.

Das eigentliche Problem liegt woanders

Es gibt Bestrebungen, das vor Jahren eingeführte System drakonischer Mindeststrafen in Drogenfällen zu reformieren - weil es überdurchschnittlich viele Schwarze trifft. Auch die Auswahl der Geschworenen ist wiederholt Gegenstand von Revisionsverfahren gewesen, bis hin zum Obersten Gericht. Das wird auf Dauer das Ausmaß der Diskriminierung verringern. Doch das eigentliche Problem wird es nicht lösen.

Es ist zunächst eben nicht Rassismus, der Schwarze hinter Gitter bringt. Es sind Verbrechen. Selbst wenn man dem US-Justizsystem auf der Stelle allen unterschwelligen Rassismus und sämtliche Diskriminierungen austreiben könnte - es würden prozentual noch immer mehr Schwarze straffällig werden als Weiße.

Es ist die soziale Verwahrlosung in den Städten, die Zerstörung geordneter Strukturen gerade bei schwarzen Familien, die junge Männer (und zunehmend auch junge Frauen) zu Hunderttausenden auf geradem Weg ins Gefängnis bringen. Der Kampf dagegen ist der eigentliche Kampf gegen die Kriminalisierung der Schwarzen. Er wird eine der großen Herausforderungen für Amerika werden.

© SZ vom 8.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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