Zuchtbullen:Der perfekte Diebstahl

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"Rinder kennen den Bullen, Bullen kennen die Rinder": Ist so ein prachtvolles Tier erst im Lastwagen außer Landes gebracht, findet sich nur schwer Ersatz. (Foto: Caro/Ponizak)

In Brandenburg werden immer wieder Zuchtbullen in Lkws verladen und nie wieder gesehen. Die Polizei vermutet Banden aus Osteuropa - zurück bleiben hilflose Bauern und verstörte Herden.

Von Jan Heidtmann, München

Nur, um das klarzustellen, es geht hier nicht um süße Kälbchen, sondern um ausgewachsene Bullen. Mindestens 1,2 Tonnen wiegt einer von denen, 1200 Kilo, so viel wie eine Mittelklasselimousine. Doch anders als ein Auto lässt sich der Bulle schwer kontrollieren. "Der geht nicht mal in einen Lkw rein, wenn Sie das wollen", sagt Frank Matheus, Vorsitzender der Agrargenossenschaft im brandenburgischen Neuzelle. "Um den zu bewegen, müssen Sie sich mit solchen Tieren auskennen."

Ende Januar müssen gleich vier dieser Zuchtbullen auf einen Lkw getrieben worden sein, eines Morgens waren sie aus dem Stall verschwunden. Die Marken, über die die Tiere in der EU zu identifizieren sind, wurden aus den Ohren getrennt. Außerdem waren auch ein Stück vom Weidezaun und andere Gerätschaften verschwunden. "Die Täter haben ihre Liste sauber abgearbeitet", sagt Matheus. Sie wussten also ziemlich genau, was sie wollten.

Der Fall in Neuzelle ist einer in einer ganzen Reihe von Viehdiebstählen in Brandenburg. Mindestens 37 Kühe verschwanden am Jahresanfang in Lieskau, in der Nacht zum 18. Februar wurden in Jänschwalde 30 Rinder aus einem Agrarbetrieb gestohlen. Beide Orte liegen in der Nähe von Cottbus, nahe der polnischen Grenze. Der Schaden in Jänschwalde wird auf 15 000 Euro geschätzt. Damit kamen die Landwirte günstig davon. In Terpt, 177 Einwohner, gelegen am Rand des Spreewalds südöstlich von Berlin, nahmen die Täter eine Rinderherde mit 32 Tieren mit. Genau so viele, wie auf einen Viehtransporter passen; darunter tragende Tiere, Kälbchen und einen Zuchtbullen, Gesamtwert 35 000 Euro.

Nun ist Viehdiebstahl nicht nur ein Topos des Wilden Westens, wo nach den Tätern "tot oder lebendig" gefahndet wurde. In Madagaskar gab es bis in die jüngste Zeit blutige Auseinandersetzungen zwischen Viehdieben und dem Militär, auch in Deutschland verschwinden immer mal ein paar Tiere. Klassischerweise wird die Kuh in einen Sprinter getrieben, ein paar Kilometer weiter an einen Baum gebunden und geschlachtet. Im Norden der Republik wurden wertvolle Galloway-Rinder gestohlen, auf der Stubenalm beim Watzmann sieben Jungrinder, und ebenfalls in Bayern trieb eine ganze Bande eine Zeit lang ihr Unwesen. Sie hatte mit einem Schlachter gemeinsame Sache gemacht und das Fleisch unter der Hand verkauft. Doch die jüngsten Fälle in Brandenburg sind anders.

Mario Heinemann vom Polizeipräsidium in Potsdam genügt für diese Einschätzung ein Blick in die Statistik: 2015 gab es in Brandenburg 19 Viehdiebstähle, dabei wurden 60 Tiere gestohlen. Im vergangenen Jahr wurden zwar nur unwesentlich mehr Diebstähle gemeldet, 24 insgesamt. Aber die Zahl der Tiere, die dabei gestohlen wurden, stieg erheblich: auf 260. "Da werden nicht mehr einzelne Tierchen weggeklaut, sondern ganze Herden", sagt Heinemann. "Da sind Zuchtbullen darunter, da schneidet sich nicht mal jemand ein Steak aus den Rippen. Hier braucht man eine Logistik, das muss man vorher ausbaldowern." Die Ställe und Weiden sind gut ausgesucht, meist haben sie zwei Zufahrten, sodass immer ein Fluchtweg bleibt, sie liegen am Rande kleiner Ortschaften, meist mit einer direkten Zufahrt zur Autobahn Richtung Polen.

Niedrige Milchpreise, der Getreidepreis eingebrochen und nun auch noch das

Bislang konnte noch kein Täter gefasst werden; wenn die Polizei informiert wird, haben die schon Stunden Vorsprung. Doch für die Bauern und auch für die Polizei ist klar, dass die Banden aus Osteuropa stammen. "Wir haben ja einen Haufen Täter von dort, "Solarmodule, Geldautomaten, Kfz - das geht alles Richtung Osten", sagt Heinemann. "Beim Vieh ist Polen aber eher ein Durchreiseland." Das liegt an der nahtlosen Registrierung der Tiere innerhalb der Europäischen Union: Jedes neugeborene Rind muss im Herkunftssicherungs- und Informationssystem für Tiere registriert werden, mitsamt Eltern. Selbst wenn die Täter also die Ohrmarken der Rinder entfernen, ihnen innerhalb der EU eine neue Identität zu geben, ist aufwendig. Da Polen zur EU gehört, gehen die Ermittler davon aus, dass die Tiere noch weiter in Richtung Osten transportiert werden. Und zwar nicht etwa, um sie dort zu schlachten, so Heinemann. "Wir vermuten, dass damit neue Herden aufgebaut werden sollen."

Umgekehrt sind für die Bauern in Brandenburg die Kosten für neue Zuchtbullen nicht der einzige Schaden. Einerseits ist es nicht leicht, guten Ersatz für den prächtigen Bullen zu finden. Zum anderen sind auch Rinder soziale Wesen. Verschwindet ihr Anführer, ist das Kollektiv verstört. "Die Rinder kennen den Bullen, die Bullen kennen die Rinder", erklärt Sebastian Scholze vom Landesbauernverband Brandenburg. Bis zu zwei, drei Jahre könne es dauern, bis wieder Ruhe im Stall sei. Hinzu kommt, dass der Viehdiebstahl die Bauern in einer schwierigen Zeit erwischt. Die niedrigen Milchpreise im vergangenen Jahr, Getreidepreise, die um zehn bis 15 Prozent eingebrochen sind - "das macht den Bauern schon ein bisschen Angst", sagt Scholze. Vor allem, "da man gegen die Diebstähle kaum etwas machen kann".

Tatsächlich liegt die Aufklärungsquote bei null, eine Diebesbande, die kürzlich in Polen ausgehoben wurde, hatte mit dem Tierklau in Brandenburg nichts zu tun. Gleichzeitig sind abgelegene Ställe und Weiden kaum zu sichern. Kameras wären abhängig vom Funksignal, das oft schwach ist, und die Gehöfte mit Stacheldraht zu Festungen ausbauen, das will auch keiner. Selbst über Chips, die man den Tieren implantiert und mit denen man sie orten kann, wird nachgedacht. Doch was bei Haustieren und Pferden, die mal entlaufen, vielleicht funktioniert, könnten geschulte Diebe wieder entfernen. Wäre da nicht der sicherlich sinnvolle Tierschutz, könnten die Bauern auf Wild-West-Methoden zurückgreifen. Ein Brandzeichen ist schwer zu fälschen.

© SZ vom 02.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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