Die SPD und Bayern:Passt nicht!

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Franz Maget von der SPD ist den Bayern sympathisch, seine Partei ist ihnen fremd. Es wird mal wieder böse enden.

von Peter Fahrenholz

(SZ vom 26. Juli 2003) - Ein trostloserer Ort im ansonsten so schmucken Oberbayern ist kaum vorstellbar, als diese Gastwirtschaft, deren Name lieber verschwiegen werden soll.

Gibt sich trotz schwieriger Ausgangslage für die Bayern-SPD zuversichtlich: Spitzenkandidat Franz Maget (Foto: Foto: dpa)

Die Farbe an den Wänden verblichen, im Garten Gerümpel, die Speisekarte im Schaukasten neben dem Eingang völlig verblasst, so lange ist sie schon nicht mehr ausgewechselt worden. Drinnen jene Resopal-Gemütlichkeit, die eigentlich schon in den achtziger Jahren aus der Mode gekommen ist. Hinter dem Tresen im Gastraum ein unwirscher Kellner, der den Eindruck macht, als habe er sich mangels Gästen im Laufe des Tages das eine oder andere Glas selber gezapft. An den letzten beiden Tischen des Nebenraums verlieren sich ein paar Gäste. Es trifft sich an diesem Abend der SPD-Ortsverein Tuntenhausen, um dem Landtagskandidaten Manfred Gerner zu lauschen, der auch SPD Kreisvorsitzender von Rosenheim-Land ist. Die Ortsvorsitzende Gitta Britschet blickt leicht resigniert in die Runde. "Allzu groß ist der Andrang ja heute wieder mal nicht", stellt sie fest.

Es sind genau acht Leute da, die Ortsvorsitzende Britschet inklusive.

Tuntenhausen - das ist ein besonders schwarzes Bollwerk im schwarzen Bayern. Hier ist jener katholische Männerverein zu Hause, der lange Zeit eine Herzkammer des klerikalen Flügels der CSU gewesen ist. Zweimal im Jahr ist die imposante Wallfahrtskirche von Tuntenhausen rappelvoll, dann fahren die Minister und Staatssekretäre der CSU in ihren Limousinen vor. Auch den Protestanten Peter Gauweiler hat der Männerverein schon einmal als Redner eingeladen, und der hat das selbstverständlich als eine große Ehre angesehen. Die SPD dagegen hat in der Flächengemeinde Ostermünchen-Tuntenhausen, die insgesamt 6000 Einwohner zählt, gerade mal 21 Mitglieder. Im Ortsteil Tuntenhausen bekennt sich genau einer zur Sozialdemokratie, und der möchte lieber anonym bleiben. Deshalb lässt er sich die Post von der Partei nicht nach Hause schicken. "Ich weiß", sagt der Kreisvorsitzende Gerner, "dass es im Ortsverein Tuntenhausen nicht einfach ist".

Wer wissen möchte, warum die SPD in Bayern nun schon seit mehr als 40 Jahren hoffnungslos abgeschlagen in der Opposition ist, während es die CSU in dieser Zeit geschafft hat, sich mit dem Land Bayern gleichzusetzen, ist in Tuntenhausen also gut aufgehoben. Er könnte aber auch an jeden anderen beliebigen Ort außerhalb der Ballungszentren fahren. Vor allem im wohlhabenden Alpengürtel mit München als blühender Metropole sind die Sozialdemokraten im Laufe der Jahre mehr und mehr zur politischen Splittergruppe verkümmert. Oben im Norden, in den fränkischen Gebieten, gibt es Regionen, in denen die SPD politisch den Ton angibt. Dummerweise leben aber im reichen Süden viel mehr Menschen, so dass sich die SPD in Hof besinnungslos siegen könnte und trotzdem immer schwächer würde, solange sie im Süden verliert und verliert. Dass das Oberbayern-Problem von den fränkischen Würdenträgern, die in der bayerischen SPD lange Jahre bestimmt haben, wo es langgeht, immer ignoriert worden ist, ist einer der Gründe für die Ohnmacht der SPD. Aber wirklich nur einer.

Manfred Gerner, der in seinem Vortrag vor seinen acht Parteifreunden immer stärker ins Idiom seiner oberbayerischen Heimat verfällt, nennt einen anderen Grund. "In vielen Ortschaften gehören wir einfach nicht zu den Leuten, die das Meinungsklima bestimmen." Die SPD ist in Bayern vielerorts zum Fremdkörper geworden. Sie hat sich systematisch abgekoppelt vom so genannten vorpolitischen Raum, von den Vereinen, den Verbänden. In den achtziger Jahren gab es im Landtag den SPD-Abgeordneten Max Falter. Ein Mannsbild wie aus einem CSU-Prospekt. Stattliche Figur, Schnauzbart, Trachtenanzug, mangelhaftes Hochdeutsch. Nur der kleine Ring, den Falter im Ohr trug, war für die damalige Zeit vielleicht ein wenig ungewöhnlich. In der SPD-Fraktion ist er ein unbedeutender Hinterbänkler geblieben, "ein mit Skepsis beäugter Außenseiter", sagt Gerner.

Und - ein zweiter Grund - die SPD hat es nicht geschafft, ihre erfolgreichen Kommunalpolitiker zur Lokomotive zu machen, statt zum Anhängsel, das gelegentlich lieber schamhaft versteckt wurde, weil es der CSU so ähnlich war. Denn es ist ja nicht so, dass die CSU auf allen Ebenen in Bayern den Ton angäbe, und die SPD nur gebraucht würde, um die restlichen Sitze in den Kommunalparlamenten aufzufüllen.

Die SPD stellt in Bayern mehr Oberbürgermeister als die CSU. "In der SPD gibt es zwei Welten", sagt deshalb Manfred Gerner.

Die eine davon ist die Welt der Parteitage und Gremiensitzungen. Wo sich kluge, gut ausgebildete Delegierte treffen und gerne zu dem Befund kommen, wenn die Bayern lieber von der CSU regiert werden wollen als von der SPD, dann seien daran eben die Bayern selber schuld und allerhöchstens noch die Medien. Aber nicht die SPD. Die andere Welt ist die kommunalpolitische Welt, wo erfolgreiche SPD-Politiker so aussehen und agieren wie ihre Kollegen von der CSU. Seban Dönhuber zum Beispiel. Der ist 30 Jahre Landrat von Altötting gewesen und war bei seinem Ausscheiden aus dem Amt im Jahr 2000 der dienstälteste Landrat Bayerns.

Altötting, eine Wiege des bayerischen Katholizismus, ist einer der vielen rabenschwarzen Landstriche Bayerns. Die SPD kommt hier normalerweise auf Wahlergebnisse um die 22 Prozent. SPD-Landrat Dönhuber ist bei einer Wahl aber einmal auf 96 Prozent gekommen, die CSU hat sich meist nicht einmal getraut, einen Gegenkandidaten aufzustellen. So einer muss doch ein Erfolgsrezept haben. "Mei", sagt Dönhuber, der Landeschef der Arbeiterwohlfahrt ist, "das fragt man sich selber auch". Dann zählt er die gleichen Eigenschaften auf, die alle anderen erfolgreichen SPD-Bürgermeister und Landräte auch aufzählen würden. Dass man verwurzelt sein muss bei den Leuten, die einen ja schließlich wählen sollen ("Die Leut' wollen einen, wo sie sagen: des is oana von uns"). Dass man präsent sein muss, immer, und nicht nur vor Wahlen oder Listenaufstellungen. Seban Dönhuber zum Beispiel war während der warmen Jahreszeit, also etwa von Mai bis September, 30 Jahre lang an jedem Samstag und Sonntag auf mindestens einem Volksfest. "Da warst du in den siebziger Jahren nicht mehr in bei uns", erzählt er. Das waren die Zeiten, als in der SPD insgesamt, in der bayerischen SPD aber ganz besonders, linke Theoretiker in Mode waren. "Wir sind ja als Fronleichnamssozialisten verunglimpft worden", erinnert sich Dönhuber, "die SPD hat sich nie um uns gekümmert". Zwischen den Pragmatikern in den Kommunen und den Theoretikern, die im Landesverband das Sagen hatten, habe es "keine Verbindung" gegeben.

Im Gegenteil, statt sich abzuschauen, warum die Pragmatiker erfolgreicher sind, haben sich die klugen Köpfe im Landesverband besonders darum bemüht, das Andersartige herauszustreichen. Von den vielen verheerenden Fehlern, die die SPD begangen hat, war die Aktion "Das andere Bayern" in den siebziger Jahren vielleicht der verheerendste. Schon der Name signalisierte Abschottung. Die Bayern wollten sich aber nicht von der SPD ins Volkserziehungsheim stecken lassen, ihnen war das "andere Bayern" wurscht, sie wollten das eigentliche Bayern bleiben und wählten weiter die CSU. "Das Problem ist hausgemacht", sagt Dönhuber lapidar.

Davon hat auch Rüdiger Hahn schon eine Ahnung gekommen. Hahn kommt aus Bonn und soll als Chef der BayernKampa den Wahlkampf von SPD-Spitzenkandidat Franz Maget managen. Hahn ist ein außerordentlich höflicher Mann, viel zu höflich, um die fremdartige bayerische SPD-Welt, in die er da eingetaucht ist, allzu offen zu beschreiben. "Wenn man in der Opposition ist, ist es sehr leicht, die reine Lehre zu vertreten", sagt Hahn diplomatisch. Peter Glotz hat das einmal die "Minderheitengesinnung" der SPD genannt. Man schmort im eigenen Saft, fühlt sich schlecht dabei und unterlegen, wärmt sich aber lieber an den Gesinnungsgenossen, denen es genauso schlecht geht, statt den Aufbruch zu wagen. Eine "Wagenburgmentalität" attestiert Manfred Gerner seiner Partei.

Franz Maget würde das gerne ändern. Die erfolgreichen Kommunalpolitiker endlich stärker in die Parteiarbeit einbinden. Und die "Oppositionsmentalität" energisch bekämpfen. Für seinen Wahlkampfmanager Rüdiger Hahn ist Maget unter den gegebenen Umständen ein Glücksfall. Denn Maget ist von unverwüstlicher Freundlichkeit, kann mit Menschen jeder Couleur ungezwungen ins Gespräch kommen und nicht nur mit Genossen. Hahn möchte Maget als den warmherzigen "Anti-Stoiber" vermarkten. "Wenn man die Leute in 50-er Gruppen durch sein Büro führen könnte, hätten wir in zehn Jahren einen SPD-Ministerpräsidenten", glaubt Hahn.

Magets größtes Plus ist freilich, dass er in beiden SPD-Welten zu Hause ist. Maget ist Münchner SPD-Chef und hat nicht, wie so viele seiner Kollegen im Landtag, den typischen SPD-Blues. Denn in München regiert die SPD, der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude hat höhere Popularitätswerte als Edmund Stoiber. Jeden Montag sitzt Maget bei Ude im Büro, ein wenig vom Münchner Glanz fällt also auch auf ihn ab. Er nennt das: "abgeleitete Regierungsverantwortung".

Den Unterschied zwischen Regierung und Opposition bekommt Maget immer wieder am eigenen Leib zu spüren. Wenn er auf einem Münchner Empfang ist, wird er hofiert, ist wichtig. Wenn er auf einen Landesempfang geht, trifft er auf lauter Leute mit CSU-Parteibuch.

Mit dem Aufbrechen der Oppositionsmentalität allein wird es freilich nicht getan sein. Nirgends sonst spielt in der SPD der Unterschied zwischen rechts und links noch so eine große Rolle wie bei den bayerischen Genossen, und die gegenseitige Abneigung wird mit einer Intensität gepflegt, wie sie außerhalb von Parteien wahrscheinlich nur noch in Familienkreisen vorkommt. Manfred Gerner etwa, der Rosenheimer Kreisvorsitzende, wurde bei der Listenaufstellung zum Landtag bis auf Platz 22 durchgereicht, "eiskalt abserviert", wie er findet von "linken Seilschaften", die sich immer gegenseitig die Mandate absichern würden. "Das war ein mafioses Ergebnis", schimpft Gerner.

In einem Münchner Café sitzt die Bundestagsabgeordnete Sigrid Skarpelis-Sperk und kann das alles gar nicht verstehen. Skarpelis-Sperk ist so etwas wie die Edel-Linke in der bayerischen SPD. Eine kluge Frau, die stundenlang darüber reden könnte, warum eine antizyklische Wirtschaftspolitik jetzt so wichtig wäre, wo alle Welt auf einen neoliberalen Kurs eingeschwenkt ist: "Ich bin halt die Tante der langfristigen Ideen". Damit fällt sie ihren Parteifreunden, das gibt sie unumwunden zu, "manchmal auf die Nerven". Aber die "böse Linke" für alles verantwortlich zu machen, hält sie für ein Märchen. "Man kann von der jetzigen Führung nicht sagen, dass der linke Flügel dominiert". Skarpelis gehörte zu den Mitinitiatoren des Mitgliederbegehrens gegen die Reformagenda von Gerhard Schröder. Auf dem SPD-Sonderparteitag wurden die Rebellen klar abgeschmettert.

Hat die klammheimlich eingefädelte Initiative der Partei geschadet? "Bei den Gremien bin ich nicht in der Minderheit geblieben", sagt sie. Die Gremien - das Zauberwort. Man muss nur die Gremien so schnitzen, dass man eine Mehrheit findet, dann ist es auch die richtige Entscheidung gewesen. In der Welt der Gremien, Parteitage und Delegiertentreffen bewegt sich Skarpelis-Sperk wie ein Fisch im Wasser. Vor Wahlen rechtzeitig die Präsenz erhöhen, Absprachen treffen, die Stimmpakete für die Wiederwahl organisieren - darauf kommt es an in dieser Welt. Für ihren Kontrahenten Manfred Gerner aus der anderen SPD-Welt, der kommunalen Welt, sind Parteitage ein Gräuel: "Wenn ich auf so einem Delegiertentreffen bin, läuft es mir kalt den Rücken runter".

Mit dieser Partei hinter sich soll Franz Maget also jetzt in das ungleiche Duell gegen Edmund Stoiber ziehen. Es sei eine Ehre für ihn, die SPD in die Wahl zu führen, sagt Maget. Er weiß, dass er am Ende verlieren wird, egal, wie sympathisch ihn die Leute finden. Vor ihm ist auch Renate Schmidt gescheitert, obwohl sie höhere Popularitätswerte hatte als jeder CSU-Minister. Die Spitzenkandidaten vor Renate Schmidt sind auch alle gescheitert. Woanders stelle sich immer die Frage, wer Regierung sei und wer Opposition, hat SPD-Landeschef Wolfgang Hoderlein kürzlich beim Sommerempfang der SPD gesagt. Und dann zustimmendes Gelächter ausgelöst mit dem Zusatz: "Es könnte sein, dass sich diese Frage in Bayern nicht stellt."

Wenn man eine Weile mit ihm im Auto unterwegs war, gibt auch Franz Maget zu, dass es an den Nerven zehre, über die Dörfer zu tingeln, Optimismus zu verbreiten und genau zu wissen: es geht nur um die Höhe der Niederlage.

Möglich, dass sich Maget in solchen Momenten mit der Gewissheit tröstet, dass ihm persönlich nichts passieren kann. Er wird in jedem Fall Fraktionschef bleiben im Landtag. Und vielleicht werden ja irgendwann genügend 50-er Gruppen durch sein Büro gepilgert sein, dass er doch noch mal Chancen hat, Ministerpräsident zu werden.

In zehn Jahren.

Oder noch etwas später.

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