Die Kaukasus-Krise:Ein Notfall, der zum Präzedenzfall wird

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Moskau beruft sich bei der Anerkennung georgischer Provinzen auf ein Vorbild, das der Westen schuf: die Republik Kosovo.

Cathrin Kahlweit

Gleich zu Anfang seiner Rede fällt das Schlüsselwort: Kosovo. "Selbst nach der einseitigen Erklärung der Unabhängigkeit des Kosovo" habe Moskau seine Position nicht aufgeben, stellt der russische Präsident fest, als er die Anerkennung der Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens verkündet.

Geburtstag mit Fahnen - zwei Frauen in Südossetien feiern die Anerkennung der Unabhängigkeit ihres Landes durch den russischen Präsidenten. (Foto: Foto: AFP)

Was der Mann im Kreml sagen will: Ein halbes Jahr lang habe Moskau Langmut gezeigt. Während der Westen Serbiens territoriale Integrität ignoriere und den Albanern unter Bruch des Völkerrechts zu einem Staat verholfen habe, habe Russland die Staatlichkeit Georgiens bewahrt und den Westen nicht düpiert. Nun sei der Schritt zur Anerkennung unvermeidbar gewesen, man habe einen Völkermord verhindern müssen.

In Washington und Brüssel sieht man das komplett anders: Die Unabhängigkeit des Kosovo sei unumgänglich gewesen, heißt es hier, die Anerkennung der Unabhängigkeit zweier separatistischer Provinzen indes sei unentschuldbar.

Aber ist vergleichbar, was da immer verglichen wird, nach dem Motto - euer Kosovo ist unser Südossetien? Wo endet das Recht und wo beginnt die Politik? Und welche Spielregeln gelten eigentlich im Kampf für - oder gegen - neue Staaten?

Zankapfel 1: Im Grunde ist der Kosovo die vorerst letzte Entität, die der Jugoslawienkrieg hervorgebracht hat; die Region stand Jahre unter UN-Verwaltung, bis heute regiert Brüssel in Pristina mit. Am 17. Februar 2008 hatte die Parlamentarische Versammlung in Pristina die Unabhängigkeit ausgerufen; etwa 40 Staaten, ein Fünftel der Völkergemeinschaft, haben die Republik danach anerkannt.

Weil unter anderem Russland und China eine Loslösung der Albaner von Serbien nicht mittragen wollten, geschah diese formal nicht mit Zustimmung der Vereinten Nationen, allerdings - in der Logik der Befürworter - gemäß der UN-Charta.

Diese Logik geht so: Zwar sei die territoriale Integrität eines Landes ein Wert an sich, aber wo Menschenrechte massiv unterdrückt wurden, wo Krieg und Vertreibung ein friedliches Zusammenleben auf lange Zeit unmöglich gemacht haben und keine Verhandlungslösung zu finden war, da musste der Wunsch der einen Seite nach Unabhängigkeit im Zweifel höher bewertet werden als das Recht der anderen auf staatliche Unversehrtheit.

Der Kosovo als "Südenfall"?

Eine Reihe von EU-Staaten sieht das bis heute anders. Spanien oder Rumänien etwa fürchten, dass ihre Minderheiten Unterdrückung beklagen und gleiches Recht für alle fordern könnten. Moskau und Belgrad wiederum beharren auf der UN-Resolution von 1999, die Serbien eine Lösung des Problems unter Wahrung seiner territorialen Integrität versprach. Sie warnten davor, dass hier zum Präzedenzfall werden könnte, was der Westen immer als eine Art Notlösung verstanden wissen wollte.

Zankapfel 2: Abchasien und Südossetien verstehen sich selbst seit 17 Jahren als unabhängig, wurden aber von keinem Staat anerkannt, auch nicht von Russland. Nun haben Kuba, Venezuela und Weißrussland angekündigt, dem russischen Beispiel zu folgen.

Lebensfähige Staaten sind die beiden Zwergrepubliken deshalb noch lange nicht. Moskau argumentiert nun bewusst so, wie die EU beim Kosovo argumentiert hat - und wie es den Tschetschenen nie zugestanden worden war: Krieg und Vertreibung (durch die Georgier) machten ein friedliches Zusammenleben unmöglich, eine Verhandlungslösung sei in vielen Jahren nicht gefunden worden, beide Völker hätten für die Sezession gestimmt.

Das Völkerrecht: Die Interpretation von internationalem Recht hängt - zumal bei der Frage nach der Rechtmäßigkeit einer Abspaltung - immer auch davon ab, auf welcher Seite in der internationalen Politik der Betrachter steht. Matthias Ruffert von der Universität Jena argumentiert, im Falle des Kosovo habe es eine dringend notwendige humanitäre Intervention gegeben, zeitgleich zahlreiche Resolutionen des Sicherheitsrats, später zähe Verhandlungen.

Ein multilaterales Vorgehen und eine von vielen Seiten mitgetragene Entscheidung zur Bewahrung der Menschenrechte habe die Sezession als Ende eines langen Prozesses ermöglicht. Anders im Kaukasus: "Es gab keine institutionalisierte Feststellung dauerhafter massiver Menschenrechtsverletzungen, die mit einer Intervention hätten unterbunden werden müssen; und die Unabhängigkeit wurde erklärt, während ein befreundeter Staat seine Truppen im Land hat." Das, so Ruffert, sei nicht als Notlage anzusehen, mit der sich eine Abspaltung von Georgien begründen ließe.

Andreas Paulus, Völkerrechtler von der Universität Göttingen, findet, der Kosovo könne als "Sündenfall des Westens" bezeichnet werden. Gleichwohl: Die Anerkennung, das sieht er wie sein Kollege aus Jena, sei die logische Folge eines Prozesses gewesen - und politisch unausweichlich.

Bei Abchasien und Südossetien hingegen liege ein Bruch des Völkerrechts vor: "Die Anerkennung eines Gebildes ist nur dann keine Verletzung des Interventionsverbots, wenn das Selbstbestimmungsrecht zum Recht auf Sezession erstarkt - wenn also durchgehende Diskriminierung und brutale Repression gegeben sind."

Paulus beurteilt Medwedjews Schritt sehr kritisch. "Er macht einen Kardinalfehler: Wer aus innenpolitischen Gründen außenpolitisch handelt, handelt falsch."

© SZ vom 28.08.2008/gdo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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