Die Karriere des Edmund Stoiber:Ganz vorn, aber manchmal auch weit hinten

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Edmund Stoiber wollte den Freistaat Bayern immer an der Spitze sehen, nur er selbst lief den Ereignissen oft hinterher.

Kassian Stroh und Hans Holzhaider

Am 21. September 2003 befand sich Edmund Stoiber auf dem Gipfel seiner politischen Macht. Er stand im ersten Stock des Landtagsgebäudes in München, dort hatte die CSU schon viele Wahlerfolge feiern können. Aber einen solchen noch nie: 60,7 Prozent der Stimmen hatte die CSU an jenem Abend erreicht, was für sie eine Zweidrittel-Mehrheit im Landtag bedeutete.

Edmund Stoiber im Jahr 1979. (Foto: Foto: AP)

Noch nie zuvor war das einer Partei bei Wahlen in Deutschland gelungen. Es war vor allem eine Stoiber-Wahl, und der Ministerpräsident wusste das. Von einem "sensationellen und epochalen Ergebnis" sprach er. Seine Frau verkürzte all die Emotionen des Wahlabends später auf den kurzen Satz: "Von Bayern geht die Kraft aus."

Davon konnte ein Jahr zuvor nicht die Rede sein. Im September 2002 wäre Edmund Rüdiger Stoiber um ein Haar Bundeskanzler geworden. Bei einem gemeinsamen Frühstück in seinem Haus in Wolfratshausen hatte ihm die CDU-Vorsitzende Angela Merkel die Kanzlerkandidatur angetragen.

Und einen Abend lang sah es dann am 22. September 2002 auch so aus, als hätte Stoiber Gerhard Schröder besiegt. Doch gegen Mitternacht wendete sich das Blatt - Schröder blieb Kanzler und Stoiber in München. Eine offene Wunde für den bayerischen Ministerpräsidenten.

Fataler Traum von Berlin

Fortan hatte Stoiber Berlin im Blick. Den Traum, einmal Kanzler zu werden, träumte er weiter - erst recht mit dem phänomenalen Wahlsieg von 2003. Danach verordnete er dem Freistaat Bayern eine Radikalkur: Von 2006 an sollten keine neuen Schulden mehr gemacht, viele Gesetze abgeschafft, eine brachiale Verwaltungsreform durchgeführt werden.

Das erste erreichte er, das zweite nur zum Teil, das dritte boxte er durch - gegen allen Widerstand auch in den eigenen Reihen. Damit aber begann in Bayern sein Niedergang - zumal da er, für viele unverständlich, Mitte 2004 das Angebot ausschlug, EU-Kommissionspräsident zu werden.

Vielen Bayern waren Stoibers Reformen zu radikal, sie erfolgten über die Köpfe der Betroffenen hinweg. Manche erschienen völlig sinnlos und nur als Reform um der Reform willen begründbar. Aber Stoibers Ziel war klar: Bayern sollte überall und immer vorne sein. Es gab von da an nahezu keine Pressemitteilung der Staatsregierung mehr, in der nicht der Satz "Bayern ist Spitze" zu lesen war.

Damit wollte sich Stoiber als Retter des "Sanierungsfalls Deutschlands" empfehlen - und als solchen sah er sich auch im Herbst 2005, wenn auch nur für ein paar Wochen. Er hatte beschlossen, in das Kabinett der großen Koalition einzutreten, als Super-Wirtschaftsminister. Das galt bis zum 1. November 2005, als er plötzlich verkündete, nun doch in München bleiben zu wollen.

Es war ein Schock für seine Partei, und die Bayern haben es ihm nie verziehen. Sein Widersacher, der von ihm einst geschasste Ex-Justizminister Alfred Sauter, traf den Punkt, als er ihm in einer CSU-Fraktionssitzung eine Woche später zurief: "Du hast den Bayern ihren Stolz genommen und dem Freistaat seinen Nimbus." Auch wenn Stoiber versprach, sich fortan nur noch um Bayern zu kümmern und wieder auf die eigene Basis und die eigene Partei zu hören - davon hat er sich nie mehr erholt.

Dass Edmund Stoiber das Gesetz des Handelns in dieser Weise aus der Hand gleiten würde, hätte niemand erwartet, der seinen politischen Aufstieg verfolgt hat. Er hat nie etwas dem Zufall überlassen seit seinem Kampf um das Direktmandat im Wahlkreis Miesbach, das er sich in einem nächtlichen, schnapsgetränkten Streitgespräch mit einem örtlichen Parteifunktionär eroberte. Immer war er ein 150-Prozentiger.

Tiefer Griff in die politische Schmutzkiste

Als Generalsekretär und Chef der Staatskanzlei unter Franz Josef Strauß griff er tief in die politische Schmutzkiste, als Innenminister im Kabinett Streibl entdeckte er die politische Zugkraft des Themas Asyl, hemmungslos ließ er seinen Staatssekretär Peter Gauweiler Pläne gegen Aids-Infizierte schmieden.

Zielstrebig baute er seine Machtstellung in der Partei aus, als Theo Waigel ihn 1988, nach dem plötzlichen Tod von Franz Josef Strauß, mit der Leitung der Grundsatzkommission der CSU betraute. Unermüdlich war Edmund Stoiber von Kreisverband zu Kreisverband gereist, es gab kaum einen Ortsvorsitzenden, dem er nicht persönlich die Hand geschüttelt hätte.

Als Max Streibls Scheitern in der Amigo-Affäre absehbar wurde, ging Stoiber listig in die Offensive, indem er sich öffentlich zu einigen eher lässlichen Sünden bekannte und so den uneinsichtigen Streibl düpierte.

Den politisch eher bedächtigen und honorigen Theo Waigel servierte er dann im Machtkampf um das Amt des Ministerpräsidenten eiskalt ab. Dass dabei auch kräftig unter die Gürtellinie geschlagen wurde, hat er wohl nicht veranlasst, aber er hat es geduldet. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis Waigel auch als CSU-Vorsitzender das Handtuch warf - mit weniger als der absoluten Herrschaft in Partei und Staat wollte Stoiber sich nicht zufriedengeben.

"Du, lieber Edmund, wirst es leichter haben als ich", sagte Waigel halb launig, halb bitter, als er das Amt an Stoiber übergab, "weil du einen direkten Draht zum bayerischen Ministerpräsidenten hast und der immer hinter dir steht."

© SZ vom 19. Januar 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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