Die Germanwings-Tragödie:Copilot ließ das Flugzeug abstürzen

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Laut Staatsanwalt leitete der zweite Mann im Cockpit den Sinkflug ein, um die Maschine zu zerstören.

Von Annette Zoch, München

- Der Copilot des in den französischen Alpen verunglückten Germanwings-Flugs 4U 9525 hat den Airbus A320 offenbar absichtlich zum Absturz gebracht. "Es ist davon auszugehen, dass er bewusst die Zerstörung des Flugzeugs eingeleitet hat", sagte Brice Robin, der zuständige Staatsanwalt in Marseille, nach Auswertung der Stimmaufzeichnungen. Demnach habe der Kapitän kurz nach Erreichen der Reiseflughöhe dem Copiloten das Kommando übergeben und seinen Sitz verlassen, um auf die Toilette zu gehen. Daraufhin habe der Copilot seinen Kollegen aus dem Cockpit ausgesperrt und absichtlich den Sinkflug eingeleitet.

Der Kapitän und andere Crew-Mitglieder hätten minutenlang gegen die Tür zum Cockpit gehämmert und auch versucht, diese einzutreten. Aber der Pilot habe nicht reagiert, auch nicht auf Kontaktversuche der Flugsicherung. Der Pilot habe "kein einziges Wort" gesprochen, sagte Robin am Donnerstag. Auf dem Tonband seien allerdings bis zum Aufprall der Maschine regelmäßige Atemgeräusche zu hören gewesen, die keinen Hinweis auf mögliche gesundheitliche Probleme gäben. "Wir gehen davon aus, dass der Copilot bis zuletzt am Leben war", sagte Robin. Aus den Aufzeichnungen gehe auch hervor, dass den Passagieren wohl erst im allerletzten Moment klar geworden sei, was geschehe.

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 ist es Vorschrift, dass die Cockpits von Passagierjets mit gepanzerten Türen gesichert sind. Dass Piloten in Reiseflughöhe ihren Sitz verlassen, ist üblich. Mit einem Zahlencode können sie Einlass ins Cockpit verlangen, der Kollege innen muss den Code bestätigen. Dies habe der Copilot offenbar unterlassen, so Staatsanwalt Robin. Nach Angaben von Lufthansa-Chef Carsten Spohr gebe es für den Fall einer Bewusstlosigkeit einen besonderen Code, sodass die Tür sich automatisch öffne. Dieser Mechanismus könne aber für die Dauer von fünf Minuten blockiert werden. Bei US-Airlines dürfen Piloten nicht alleine im Cockpit bleiben - ein anderes Crewmitglied muss den Abwesenden vertreten.

Jetzt wollen auch die größten deutschen Fluggesellschaften die Zwei-Personen-Regel einführen. Künftig soll sich kein Pilot beim Flug mehr allein im Cockpit aufhalten dürfen, sagte Matthias von Randow, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft, der dpa am Donnerstagabend. An diesem Freitag solle die neue Regelung mit dem Luftfahrt-Bundesamt besprochen werden. Die Airlines wollen sie unverzüglich umsetzen. Das betreffe den Lufthansa-Konzern mit Germanwings sowie Air Berlin, Condor und TuiFly. Der Lufthansa-Chef reagierte bestürzt auf die Erkenntnis, dass der Absturz offenbar absichtlich herbeigeführt war: "Nicht in unseren schlimmsten Albträumen hatten wir uns das verstellen können." Spohr sprach vom "furchtbarsten Ereignis in unserer Unternehmensgeschichte". Dies sei ein "tragischer Einzelfall".

In der Ausbildung des 27-jährigen Piloten Andreas Lubitz habe es eine längere Unterbrechung gegeben, dies sei aber nicht ungewöhnlich. Spohr nannte keinen Grund für die Unterbrechung. Der Pilot sei "zu 100 Prozent flugtauglich" gewesen, seine fliegerischen Leistungen seien "einwandfrei, ohne jede Auffälligkeit" gewesen.

Laut Staatsanwalt Brice Robin hat Lubitz auf den Aufnahmen zu Beginn des Fluges keine Auffälligkeit gezeigt. Er habe sich mit dem Kapitän "normal, heiter und höflich" unterhalten. Einen terroristischen Hintergrund schloss Bundesinnenminister Thomas de Maizière aus. Die französische Polizei will die Familie des Piloten am Freitag vernehmen, sie ist zur Absturzstelle gereist. Ermittler haben die Wohnungen des 27-Jährigen durchsucht. Sie betraten ein Haus am Düsseldorfer Stadtrand, in dem er wohnte. Auch im Elternhaus des Piloten im rheinland-pfälzischen Montabaur wurden Polizisten vorstellig. Kanzlerin Angela Merkel sprach von einer neuen, "schier unfassbaren Dimension" der Tragödie, die sie schwer getroffen habe. Das Auswärtige Amt hat eine offizielle Opferzahl mitgeteilt. Demnach sind 75 Bundesbürger umgekommen, nicht 72 wie zunächst gemeldet. Insgesamt starben 150 Menschen. Die Flugbegleitergewerkschaft Ufo setzt wegen des Unglücks die Tarifverhandlungen mit der Lufthansa t aus. Unterdessen sind im Absturzgebiet in Seyne-les-Alpes und Le Vernet in den französischen Alpen Angehörige eingetroffen. Sie wurden, eskortiert von der Polizei, mit Reisebussen aus Marseille in die Bergdörfer gebracht. Psychologen sind zugegen, um sie zu betreuen. In Seyne-les-Alpes versammelten sich die Familien am Abend in einer improvisierten Aufbahrungshalle.

© SZ vom 27.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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