Die Antrittsrede in der Presse:42 Mal Freiheit

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George W. Bush hat die Freiheit aller Menschen zu seinem großen Thema gemacht. Doch wie will der Präsident seine "atemberaubenden Ambitionen" in Realpolitik umzuwandeln, fragt sich nicht nur die Washington Post.

27 Mal habe der Präsident das Wort Freedom benutzt, jedoch kein einziges Mal den Irak erwähnt, wo allein in den letzten sieben Tagen mindestens elf US-Soldaten getötet wurden, schreibt die Washington Post.

"Bush gelobt, die Freiheit zu verbreiten", meldet die Washington Post. (Foto: Foto:)

Dazu kam, wie USA Today zählte, 15 Mal das Wort Liberty. In seiner 21-minütigen Rede, in pathetischem Ton gehalten, habe sich Bush vor allem auf ein einziges Thema konzentriert: Den Glauben, dass es seine Mission und "die Herausforderung unserer Zeit" sei, die Tyrannei zu beenden. Er "hämmerte auf diesem Thema herum und wiederholte es wieder und wieder", schrieb das Blatt.

In einer der teuersten Grundsatzerklärung aller Zeiten, so die Washington Post, habe Bush geschworen, die US-Außenpolitik umzuformen mit dem Ziel, den Menschenrechten oberste Priorität zu geben, da nur Freiheit die "Herrschaft von Hass und Missgunst beenden könnte", die zum 11. September geführt hätten.

Allerdings, so kommentierte das Blatt, habe er eine Rede mit "atemberaubenden Ambitionen" gehalten - doch mit "unsicherer politischer Bedeutung für die Politik, die er betreiben will".

Die Zeitung begrüßte seine Ankündigung, Demokratiebewegungen in aller Welt zu unterstützen, wies jedoch darauf hin, dass Bush dies bislang nur getan habe, wenn es den Interessen der USA diente. Man müsste Bushs Rede demnach so interpretieren, dass die Politik gegenüber Ländern wie Russland, China, Saudi Arabien und Pakistan vor einem historischen Wechsel steht.

Die Washington Times konstatierte, der Präsident sei weit davon entfernt, sich von seiner bisherigen Politik zu distanzieren - vielmehr habe er seine 21-Minuten-Rede genutzt, um sie nachdrücklich zu verteidigen, und sich dabei auf die Geschichte, Gott, die Gründerväter, die Verfassung und die Unabhänghängigkeitserklärung berufen.

Die New York Times vermisste in der Rede dagegen die Begriffe Irak, Afghanistan und 11. September, sogar das Wort Terrorismus fiel nicht. Doch genau dies, so vermutete das Blatt, sei vermutlich beabsichtigt gewesen.

Die Unterlassung habe Bush erlaubt, alle vergangenen und kommenden Krisen und Konflikte nahtlos zu verschmelzen zum großen Kampf bei der Verteidigung des Gründungskredos der Nation: der Freiheit. Doch bislang, so die Zeitung, tut sich ein großer Spalt auf zwischen seinen wortgewandt, stolz, fast trotzig vorgetragenen Sehnsüchten und der Realität.

Ähnlich kommentierte die Los Angeles Times, die auf den Konflikt zwischen den demokratischen Idealen und den wirtschaftlichen Interessen der USA hinweist. Seit mehr als ein Jahrhundert bestehe dieser Konflikt - und habe manches Mal zu einem Bündnis mit widerwärtigen Diktatoren geführt. Das Ende der Debatte zu verkünden bezeichnete das Blatt als verwegen - und die Umsetzung als schwierig.

Leichter gesagt als getan, so kommentierte auch die Chicago Tribune die Ankündigung Bush, er wolle versuchen, die Sicherheit der Amerikaner mit der Befreiung unterdrückter Völker zu gewährleisten. "Alle, die in Tyrannei und Hoffnungslosigkeit leben, sollen wissen, die Vereinigten Staaten werden eure Unterdrückung nicht ignorieren oder euren Unterdrückern verzeihen", hatte Bush erklärt.

Die Zeitung vermisste jedoch Erklärungen, wie dies in der Politik umgesetzt werden könnte - gerade wenn es um Saudi-Arabien, China oder auch den Iran gehe, in denen die Freiheit eingeschränkt ist.

Religion und amerikanischer Idealismus, so die Wahrnehmung des San Francisco Chronicle, habe in den Worten Bush mitgeschwungen, als er erklärte, die Politik der USA sei es, "Demokratiebewegungen in jeder Nation und Kultur zu unterstützen mit dem ultimativen Ziel, die Tyrannei in der Welt zu beenden."

An einem historische Wendepunkt

Angesichts der Zweifler daheim und in der Welt habe der 58-jährige Republikaner klargestellt, dass er die Welt und die Nation an einem historischen Wendepunkt sieht, geprägt vom "unbezähmbaren Feuer der Freiheit", die "bis in die dunkelste Ecke unserer Welt leuchten wird".

In der New York Times bewertete einer der Kommentatoren die Rede Bushs als eine der fünf besten Antrittsreden zu einer zweiten Amtszeit, besser als die von Jefferson.

Bush habe klar gemacht, dass es die Freiheit ist, die zuerst kommen muss, nicht der Frieden, und dass es Tyrannen seien, die Menschen versklaven, Kriege beginnen und Revolutionen provozieren. Demnach sei die Verbreitung der Freiheit eine Voraussetzung für den Weltfrieden.

Im gleichen Blatt weist einer der Autoren jedoch noch einmal darauf hin, dass auch während der Vereidung des Präsidenten die Tragödie im Irak weitergehe, die Bush ausgelöst habe mit seiner Entscheidung, in einen völlig unnötigen Krieg zu ziehen - eine der schlimmsten Entscheidungen eines Präsidenten in der Geschichte der USA.

Bush und seine Unterstützer hätten die letzten Tage mit dem Feiern von Partys zugebracht, während Amerikaner, Iraker und andere im Irak weiterhin leiden und sterben würden. Am gleichen Tag, an dem die Bushs am Schwarze-Krawatten- und Cowboystiefel-Ball teilnahmen, starben 26 Menschen in Bagdad.

Auch die internationale Presse setzte sich kritisch mit der Rede auseinander:

THE DAILY TELEGRAPH (London): "Mit einem wesentlich stärkeren Mandat für seine zweite Amtszeit hat Bush nun große Ambitionen zur Verbreitung der Freiheit. (...) Die Absichten des Präsidenten sind bewundernswert, aber er muss es erst im Irak richtig hinbekommen, wenn es eine Chance dafür geben soll, dass seine Pläne verwirklicht werden."

THE INDEPENDENT (London): "Vor vier Jahren, ja, noch vor vier Monaten hätten nur wenige George W. Bush große Chancen eingeräumt, vor dem Kapitol für eine zweite Amtszeit vereidigt zu werden. Der Preis seines Sieges ist jedoch, dass er sich noch im Amt mit den Folgen seiner früheren Fehlentscheidungen auseinander setzen muss."

IL MESSAGGERO (Rom): "Wer jetzt eine neue politische Linie erwartet, könnte enttäuscht werden: Die Befreiung der Unterdrückten bedeutet auch den Krieg gegen die Unterdrücker (...)."

CORRIERE DELLA SERA (Rom): "Das demokratische Evangelium, dem Bush eine Antrittsrede mit stark missionarischen Tönen gewidmet hat, hat eine therapeutische Wirkung. Wenn die Tatsachen ihm Recht geben, kann Bush den Rückzug aus dem Irak vorbereiten (...)."

DERNIÈRES NOUVELLES D'ALSACE (Straßburg): "Die USA wollen die Freiheit verteidigen, und dies ist sicherlich ein ehrenwertes Engagement. Leider wird über diese "heilige Mission" einseitig entschieden und die Alliierten vor vollendete Tatsachen gestellt."

KOMMERSANT (Moskau): "Bush wird in die Geschichte der USA als Militärpräsident eingehen. Und das ist der russischen Führung sehr recht. (...) Wenn Bush für die kommenden vier Jahre ein Friedensprogramm verkündet hätte, hätte (der russische Präsident) Putin sich ernstlich Sorgen machen müssen."

MLADA FRONTA DNES (Prag): "Ein solches Programm kann sich nur vornehmen, wer neben Mut einen Hang zum Glücksrittertum besitzt, und wer blind an seine Wahrheit glaubt."

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