Die Akte Karl-Heinz Kurras:Verrat zum eigenen Vorteil

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Neu freigegebene Akten zeigen den Ohnesorg-Todesschützen Karl-Heinz Kurras als selbstgerechten Mann, der sogar seinen Stasi-Offizieren manchmal unheimlich war.

Hans Leyendecker

Die drei Schwarz-Weiß-Fotos zeigen einen Mann in besten Jahren mit Mantel und Halstuch, der erst seiner Frau die Tür aufhält, dann voranschreitet und ihr schließlich die Richtung weist. Sichtlich bemüht er sich um kerzengrade Haltung. "Ein Mann geht nicht krumm" hat der Mann auf dem Bild gern gesagt. Die Aufnahmen sind mehr als 33 Jahre alt und wurden heimlich vor einer Gaststätte in Ost-Berlin geschossen.

Spitzel knipsen Spitzel: Karl-Heinz Kurras und seine Frau Hannelore am 24. März 1976 in Ostberlin. (Foto: Foto: ddp)

Fotografiert hat damals die Stasi ihren Inoffiziellen Mitarbeiter Otto Bohl, der im Westen als Karl-Heinz Kurras eine traurige Berühmtheit war. Am 2. Juni 1967 hatte er in Berlin den Studenten Benno Ohnesorg aus nächster Nähe erschossen und war in zwei Gerichtsverhandlungen freigesprochen worden. An jenem 24. März 1976, als die Stasi ihren Agenten heimlich ablichten ließ, hatte sich Kurras in der Gaststätte "Haus des Lehrers" ein letztes Mal mit einem Stasi-Offizier getroffen, der den Verräter viele Jahre eingesetzt hatte.

Kurras war auch bei diesem letzten Treffen ganz der Alte: Stur, selbstgerecht, mitleidslos. In einem Stasi-Bericht zu dem Treffen findet sich der Hinweis, Kurras habe über Ohnesorg gesagt, "dass er sich nichts vorzuwerfen hatte und nichts bereut" habe. Er sei von der "Richtigkeit seiner Handlungsweise" noch immer überzeugt.

Die Fotos des Todesschützen wurden am Freitag von der Birthler-Behörde in Berlin freigegeben. In der vorigen Woche waren 16 der insgesamt 17 Bände, die von der Stasi seit 1955 über Kurras angelegt wurden, Medien zur Verfügung gestellt worden. Eine Auswertung dieser Akten zeigt das Bild eines Menschen, der Verrat zum eigenen Vorteil zu seiner Lebensphilosophie gemacht hat. Er verriet alles und fast jeden, sein Motiv waren Geldgier und Machtphantasien. Er brauchte Geld für Munition und Waffen, weil er schießwütig war, und er bat immer wieder seine Führungsoffiziere, auf Jagden eingeladen zu werden.

Als Beamter in der Staatsschutzabteilung der Berliner Polizei hatte er Zugriff auf Vernehmungen von Überläufern der Staatssicherheit. Er verriet Quellen, wies auf Fluchthelfer hin, beschaffte vertrauliche Unterlagen der Berliner Polizei und lieferte Material aller Art: Manches war banal, vieles war geheim.

Über "Veränderungen" bei dem Top-Agenten fertigte die Abteilung VII der Staatssicherheit im Januar 1967 einen langen Report. Bohl, so der Bericht, "vertritt die Meinung", dass man gegen bestimmte "Verräter scharf vorgehen" müsse. Vom 1. Juni 1967, einen Tag bevor er Ohnesorg erschoss, datiert ein "Informationsbericht". Bohl lästert über einen Inspektionsleiter und einen Kriminaloberrat, die persönliche Rechnungen mit der Staatssicherheit offen hätten. Der Kriminaloberrat habe "viel Ärger mit seiner Frau. Er ist deshalb auch wieder allein in Urlaub nach Italien geflogen".

Unterzeichnet hat den Bericht jener Stasi-Offizier, der nach dem letzten Treffen im März 1976 anregte, zu prüfen, ob Bohl alias Kurras doppelt spiele. Selbst der Stasi war dieser Top-Agent, den sie nach dem Tod Ohnesorgs abgeschaltet hatte, manchmal unheimlich.

© SZ vom 20.06.2009/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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