Deutschlandtag der Jungen Union:Merkel und die Gerechtigkeit

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Wie sich Kanzlerin Merkel auf dem Deutschlandtag der JU präsentierte, was sie von der Debatte über das Arbeitslosengeld I hält - und mit welchem Vorschlag der neue CSU-Chef Huber auf sich aufmerksam gemacht hat.

Thorsten Denkler, Berlin

Angela Merkel hüstelt, als sie die Bundesvorstandsmitglieder der Jungen Union auf dem Deutschlandtag in Berlin per Handschlag begrüßt. Die Kanzlerin schleppt seit einigen Tagen einen schweren Schnupfen mit sich herum.

Politisch gesehen wäre es auch treffend zu sagen, Merkel sei etwas verschnupft. Was nicht unbedingt nur an der Jungen Union liegt.

Die trifft sich an diesem Wochenende im Atrium des DaimlerChrysler-Centers am Potsdamer Platz. Neun Stockwerke hoch ist die kaum 20 Meter breite Halle. Gerade groß genug, um der Selbstwahrnehmung der Jungen Union als größter deutscher Jugendorganisation mit 130.000 Mitgliedern gerecht zu werden.

Größe ist ein gutes Stichwort für JU-Chef Philipp Mißfelder, der am Freitagabend unter dem Jubel der 317 Delegierten den Deutschlandtag eröffnete. In Zeiten der Großen Koalition erwarte er "große Lösungen". Sicher nicht dazu zählt er die Debatte um das Arbeitslosengeld I. Ein Thema, mit dem die Union nicht gewinnen könne, sagt er.

Das scheint Merkel ähnlich zu sehen. Sie war in ihrer Rede am Samstag bemüht, den Streit über das Arbeitslosengeld in der eigenen Partei herunterzukochen.

Zum einen merkte sie an: Das Prinzip, wer länger einzahlt, soll auch länger Arbeitslosengeld bekommen, gebe es ja heute schon. Es solle nur ein wenig ausgebaut werden.

Zum anderen bat sie die Delegierten, das Arbeitslosengeld I (ALG I) doch bitte nicht "zum Zentralthema der Frage, was ist gerecht in unserem Land" zu machen.

Wenigstens einer in der CDU hat da völlig andere Vorstellungen: Jürgen Rüttgers, Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen und selbsternannter Arbeiterführer. Am Freitagabend zog er noch zu den Klängen des Kaiser-Chiefs-Songs "Ruby Ruby Ruby" einem Imperator gleich in das Atrium ein. Für den statusgerechten Jubel sorgten die Delegierten aus Nordrhein-Westfalen, die ihren "Landesvater" (Mißfelder) mit einem Meer aus NRW-Fläggchen begrüßten.

Das war es dann aber schon mit der Herzlichkeit. In der Jungen Union gilt Rüttgers inzwischen als unverbesserlicher Sozialromantiker. Im "Bollwerk gegen die Linke", wie Mißfelder seine Organisation gerne nennt, ist dafür nicht viel Platz.

"Neue Sicherheit"

Rüttgers kämpft seit drei Jahren für mehr soziale Gerechtigkeit. "Ich will, dass die Menschen die Reformen wieder verstehen", sagte er vor den Delegierten des Deutschlandtages. Der Jubel blieb an dieser Stelle aus. Auch die Fähnchenwedler hatten ihre Arbeit eingestellt.

Rüttgers will an zwei Schrauben drehen: Am ALG I und an den so genannten Schonvermögen, die nicht angetastet werden dürfen, wenn jemand in Hartz IV rutscht. Rüttgers will das ALG I für Ältere verlängern und größere Vermögensteile für Altersvorsorge vor dem Zugriff des Staates schützen, also die so genannten Schonvermögen raufsetzen.

Er möchte mit diesen Schritten eine "neue Sicherheit" schaffen, wie er es nennt. Aus seiner Sicht ist das für die CDU die Grundbedingung dafür, wieder klare Mehrheiten bei Wahlen zu bekommen.

JU-Chef Mißfelder warnte schon im Interview mit sueddeutsche.de, jetzt neue Verteilungsdebatten zu beginnen, nur weil die Konjunktur gerade brumme. Höhere Schonvermögen lehnt er deshalb ab. Und beim ALG I will er nur unter einer Bedingung mitgehen: wenn die Verlängerung kostenneutral geschieht. Was vor allem der JU-Bayern schon viel zu weit geht.

Mißfelders Vorgehen aber entspricht der Beschlusslage in der Union. Doch die bröckelt. CSU-Chef Erwin Huber sagte zwar am Samstag auf dem Deutschlandtag, dass er Kostenneutralität für richtig und wichtig halte. Doch die Einschränkung folgte umgehend: Das sei nicht "so leicht zu erfüllen".

Kanzlerin Angela Merkel tat die Angelegenheit kaum eine Stunde zuvor mit einem Nebensatz ab: "Darüber kann man jetzt lange debattieren. Wir haben einen Beschluss, kostenneutral kann das umgesetzt werden. Ok." Wichtiger aber sei es, Arbeitsplätze zu schaffen.

Am Geld also dürfte das längere ALG I in Verhandlungen mit der SPD nicht scheitern. Was es kostet, lässt sich eh noch nicht genau sagen. Im Raum stehen Zahlen von 800 Millionen bis drei Milliarden Euro, je nach Modell. Der Streit dürfte sich eher an der Systematik entzünden: Beck will das längere ALG I am Alter festmachen. Merkel, Rüttgers und Huber an den Beitragsjahren.

Wie da ein Kompromiss aussehen kann, weiß im Moment nicht mal Rüttgers, der Erfinder des CDU-Modells. Immerhin, CSU-Chef Huber hat vor den Deutschlandtag-Delegierten als erster einen Vorschlag gemacht, wie die Koalitionspartner zusammenkommen können. Er will das längere Arbeitslosengeld an die Verpflichtung knüpfen, jede Arbeit anzunehmen, die angeboten wird.

Und zwar nicht nur für Ältere. Huber will die Sozialgesetze so verschärfen, dass Sanktionen bei Arbeitsverweigerung nicht mehr im Ermessen des Sachbearbeiters liegen. Wenn da die SPD mitgehe, könne man reden.

Wem der Vorschlag bekannt vorkommt, der hat Recht. Mit einem ähnlichen Vorstoß hat Franz Müntefering versucht, Beck zum Einlenken zu bewegen. Genützt hat es nichts.

Merkels Versprecher

Hubers Idee richtet sich womöglich auch weniger an die SPD als an die CDU. Er will nicht hinnehmen, dass Jüngeren die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes zugunsten der Älteren gekürzt werde, wie es Rüttgers will. Man können dem 30-jährigen Familienvater "nicht die soziale Sicherheit reduzieren".

Übrigens: Mit Hubers Argument lehnt auch Beck das CDU-Modell ab.

In dieser unübersichtlichen Gemengelage kann auch eine Kanzlerin schon mal durcheinander kommen. Merkel wies in ihrer Rede auf den Uralt-Konflikt zwischen Sozial- und Christdemokraten hin. Erstere stellten das Kollektiv voran. Letztere die Kraft des Einzelnen.

Das finde sich auch in den jeweiligen Parteiprogrammen wieder. Dann der kleine, aber aufschlussreiche Versprecher: Darüber werde entschieden "bei unserem Parteitag in Hamburg, pardon, nee, das sind ja die Sozialdemokraten. Wir sind in Hannover."

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