Deutschland und Russland:Gemeinsame Pflicht

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Die Regierungen in Berlin und Moskau müssen dafür sorgen, dass sich auch die Staaten Mitteleuropas sicher fühlen. Die haben unter dem Zweiten Weltkrieg furchtbar gelitten. Das Leid der Polen etwa darf auch in Russland nicht verdrängt werden.

Von Julian Hans

Weil die deutsche Kanzlerin zur wichtigsten Gesprächspartnerin des russischen Präsidenten im Konflikt um die Ukraine geworden ist, wird sie in den Ländern Ostmitteleuropas von manchen als "Frau Ribbentrop" verhöhnt. Besonders in Polen weckt es schlimme Erinnerungen, wenn Deutsche und Russen wieder über das Schicksal der Länder verhandeln, die zwischen ihnen liegen. Im geheimen Zusatzprotokoll zwischen den Außenministern der Sowjetunion und des Deutschen Reiches wurde im August 1939 die Aufteilung Polens vereinbart. Es war ein Pakt zwischen der kommunistischen Diktatur und der faschistischen Diktatur. Das verdrängen sowohl Moskau als auch manche Menschen in Deutschland.

Zum Gedenken an das Ende des Krieges gehört es auch, an seinen Anfang zu denken. Für ganz Europa beginnt er 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen. Danach hatte die Sowjetunion gemäß Geheimvertrag die andere Hälfte des Landes besetzt. Für Moskau beginnt der Krieg jedoch erst 1941 mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, die Vorgeschichte in Polen wird verdrängt.

Merkel hat daraus eine doppelte Lehre für ihren Besuch zum 70. Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland gezogen. Als Kanzlerin bekennt sie sich zu der Schuld und der Verantwortung, die Deutschland gegenüber den Völkern hat, die einst zur Sowjetunion gehörten. Moskau und Berlin tragen aber auch eine gemeinsame Verantwortung gegenüber den Staaten in Mitteleuropa, über die die Front mehrmals hinwegrollte. In diese Verantwortung versucht Merkel Putin einzubinden.

Berlin und Moskau müssen an die Sicherheit aller Europäer denken

Das Gedenken an den Krieg ist einer der wichtigsten Erfahrungen, die nicht nur die Menschen in Russland miteinander verbindet, sondern nach wie vor auch die Völker der ehemaligen Sowjetunion - auch wenn es zum Jahrestag viel Streit darum gab, wie er begangen werden sollte und wer welchen Anteil an der Befreiung hatte. Die Geschichten, die die Veteranen und ihre Kinder und Enkel erzählen, sind in Minsk und Moskau, Wolgograd und Donezk ähnlich.

In Moskau wird Merkels Rolle ganz anders dargestellt: Eigentlich wollten die Deutschen ja gern mit Russland gehen, nur ließen sie die Amerikaner nicht. Wahr ist aber, dass Washington in der Ukraine-Krise den Europäern in vielem den Vorrang gelassen hat. Barack Obama ist den Forderungen nach Waffenlieferungen nicht nachgekommen, sondern hat der europäischen Diplomatie den Vorzug gegeben. Wegen des Gewichts Deutschlands in der EU und wegen des Vertrauens, das die Deutschen - anders als die Amerikaner - in Moskau genießen, fiel Merkel die Rolle der Vermittlerin zu. Auch um die schlechten Erinnerungen in Osteuropa zu zerstreuen, wurde der französische Präsident eingebunden in das sogenannte Normandie-Format. Der oft wiederholte Satz, dass es Sicherheit in Europa nur mit Russland geben kann, ist banal. Die gemeinsame Verantwortung von Russen und Deutschen ist es jetzt, dass sich auch Polen, Balten und Ukrainer wieder sicher fühlen können.

© SZ vom 11.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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