Deutschland und die RAF:Recht vor Gnade

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Auch nach drei Jahrzehnten tut sich die Bundesrepublik schwer, die letzten inhaftierten ehemaligen RAF-Terroristen freizulassen.

Heribert Prantl

Terrorjahr 1977: Kollektiver Hungerstreik der inhaftierten RAF-Häftlinge. Mord an Generalbundesanwalt Buback. Mord am Bankier Jürgen Ponto. Versuchter Raketenwerferanschlag auf die Bundesanwaltschaft. Entführung und Ermordung von Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer.

Dieses Fahndungsplakat (hier ein Ausschnitt) mit den meistgesuchtesten deutschen Terroristen verbreitete am 09.12.1980 das Bundeskriminalamt. In der mittleren Spalte oben: Christian Klar. (Foto: Foto: AP)

Tatbeteiligt jeweils: Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt. Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte die beiden deswegen am 2.April 1985 wegen vielfachen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe.

Nach mehr als 24 Jahren Haft hat nun Brigitte Mohnhaupt zum wiederholten Mal Haftentlassung beantragt; gestern wurde sie dazu vom 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart angehört. Der Vertreter der Bundesanwaltschaft unterstützte ihren Antrag. Er beantragte, ,,die Vollstreckung des Restes der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen''.

Bei Christian Klar ist das noch nicht möglich. Das Gericht hatte seinerzeit, wie auch bei Mohnhaupt, ,,die besondere Schwere der Schuld'' festgestellt und bei Klar eine Mindestverbüßungszeit festgesetzt, die erst Anfang 2009 abläuft. Vorher kann nur der Bundespräsident ihm auf dem Gnadenweg die Freiheit geben. Das Gesuch hat Klar schon bei Präsident Johannes Rau eingereicht. Dessen Nachfolger Horst Köhler wird in Kürze darüber entscheiden.

Stahlnetze über dem Gefängnis

Das Terrorjahr 1977. Nie zuvor war der Rechtsstaat Bundesrepublik so herausgefordert und in so elende Verunsicherung gestürzt wie damals; nie zuvor und dann erst wieder 24 Jahre später, nach dem 11. September 2001, hat der Staat die Gesetzgebung und den Sicherheitsapparat so aufgerüstet wie damals. Das gesamte Recht der inneren Sicherheit wurde umgeschrieben, verschärft, ausgeweitet.

Rechtsstaatliche Grundregeln wurden eingeschränkt, Ausnahmegesetze wurden Normalität. Innerhalb von vier Jahren wurden sechs Gesetze mit insgesamt 27 Einschränkungen von Rechten der Verteidigung und vielen Erleichterungen für die Verfolgung durch Staats- und Bundesanwaltschaft erlassen.

Eigens für die Prozesse gegen Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) war 1975 neben dem Gelände der Haftanstalt Stuttgart-Stammheim eine gepanzerte Mehrzweckhalle erbaut worden. Aus Furcht vor etwaigen Befreiungsversuchen mit Hubschraubern wurde diese Halle - ebenso wie der Hofgang - großflächig mit Stahlnetzen überspannt.

Die Stimmung jener Tage lässt sich im Archiv der Stuttgarter Lokalblätter studieren, Rubrik Leserbriefe. ,,Diese Verbrecher haben gar keine menschliche Behandlung verdient, selbst als Tote nicht.'' Oder: ,,Jeder Terrorist muss wissen, dass ihn nichts anderes erwartet als der Strick.''

Drei der insgesamt 26 zu lebenslänglicher Haft verurteilten RAF-Terroristen hatten sich im Herbst 1977 in der Haft in Stammheim das Leben genommen: Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe begingen kollektiven Selbstmord, als der Versuch der RAF, sie freizupressen, gescheitert war.

Der Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel wusste von Leuten, die die toten Terroristen am liebsten in die Müllverbrennung geworfen hätten; er stemmte sich gegen den Sturm der Empörung, besorgte den Toten ein Gemeinschaftsgrab auf dem Dornhaldenfriedhof: ,,Mit dem Tod endet die Feindschaft'', sagte er. Als Rommel vor fünf Jahren dazu befragte wurde, meinte er: Die Situation von damals erinnere ihn ein bisschen an die Zeit nach dem Anschlag auf das World Trade Center.

Der Weg vom Gemeinschaftsgrab im Herbst 1977, als es Rommel um die Würde der toten Terroristen ging, bis hin zur Kinkel-Initiative war weit und blutig.

In dieser Initiative des damaligen Bundesjustizministers ging es um die Menschenwürde der sehr lang und lebenslang inhaftierten RAF-Mitglieder und um einen ,,Ausweg aus der Spirale der Gewalt''. Der Staat wollte auch verurteilten RAF-Terroristen einen Weg zur Resozialisierung öffnen.

Diese Linie hatte Kinkel noch als Justizstaatssekretär zusammen mit Antje Vollmer, seinerzeit Fraktionssprecherin der Grünen, vorbereitet. Beim Dreikönigstreffen der FDP 1992 machte Kinkel öffentlich, dass der Staat ,,dort, wo es angebracht ist'', zu Haftentlassungen bereit sein werde. Seine Initiative führte zu erregten öffentlichen Debatten - über angemessenen Schuldausgleich und über die potentiell anhaltende Gefährlichkeit der Häftlinge.

Bis zum Zeitpunkt der Kinkel-Initiative waren gegen RAF-Mitglieder insgesamt 25 Mal lebenslange Freiheitsstrafen verhängt worden, und zwar gegen: Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe, Manfred Grashof, Karl-Heinz Dellwo, Bernhard Rössner, Verena Becker, Knut Folkerts, Stefan Wisniewski, Rolf Heißler, Rolf Klemens Wagner, Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar, Eva Haule, Andreas Baader, Irmgard Möller, Klaus Jünschke, Lutz Taufer, Hanna Krabbe, Günter Sonnenberg, Christine Kuby, Angelika Speitel, Peter-Jürgen Boock, Sieglinde Hofmann, Adelheid Schulz und Helmut Pohl.

1993 kam mit Birgit Hogefeld das 26.RAF-Mitglied hinzu, das zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde. Hogefeld, Eva Haule, Birgitte Mohnhaupt und Christian Klar sind die letzten vier der Lebenslänglichen, die noch in Haft sitzen. Sie haben im Gegensatz zu vielen anderen ehemaligen Terroristen nicht mit der Justiz kooperiert, nicht wie zum Beispiel Peter Jürgen Boock, der 1992 eine ,,Lebensbeichte'' ablegte, die von ihm begangenen Straftaten einräumte und so zur vollständigen Aufklärung der Schleyer-Entführung beitrug.

Er wurde1998 nach 17 Jahren Haft entlassen - wie weitere 17 zu Lebenslang verurteilte Ex-Terroristen. Der erste Gnadenherr war Bundespräsident Richard von Weizsäcker.

Kinkel weiter für Haftentlassung

Der ehemalige Bundesjustizminister Klaus Kinkel (FDP) wirbt heute wie damals für Gnade: ,,Man muss einen Menschen nicht bis zum Ende seines Lebens richten'', sagte er am Montag der Süddeutschen Zeitung. Er plädiert eindringlich für eine Haftentlassung sowohl von Mohnhaupt als auch von Klar.

Ob es da vorher nicht deutliche Zeichen der Reue brauche? Kinkel sagt, dass auch bei den letzten vier Lebenslänglichen ein Prozess des Nachdenkens eingesetzt habe; jemand wie Mohnhaupt hätte sonst keinen Entlassungsantrag gestellt. ,,Ich glaube, wer so lange hinter Gittern saß, muss die Chance haben, in die Gesellschaft zurückzufinden'', sagte er.

Horst Herold, Chef des Bundeskriminalamts von 1971 bis 1981, tut sich schwer mit der Haftentlassung von Klar und Mohnhaupt: ,,Ich meine, 60 Jahre alt sollten die Mörder schon sein, bevor man sie entlässt'', sagte er der SZ. Christian Klar ist 54, Brigitte Mohnhaupt 57 Jahre alt. Über Jahre hin habe er, so sagt Herold, als BKA-Präsident immer wieder vor den vielen schrecklich zugerichteten Opfern der RAF stehen müssen.

,,Lustvolle Grausamkeit''

Unter den Toten, vor denen Herold stehen musste, war sein Freund Siegfried Buback, der Generalbundesanwalt. Mit ihm sei er sich, sagt Herold heute, schon 1976 darin einig gewesen, ,,dass, neben anderen, Klar und Mohnhaupt die Mörder des Jahres 1977 sein würden'' - ohne zu ahnen, dass Buback selber eines der Opfer sein würde.

Herolds Stellungnahme in der Begnadigungsdebatte leugnet die eigene Betroffenheit auch nach 30 Jahren nicht: ,,Selbst wenn ich mich um eine objektive Betrachtung der ursprünglich hochmoralischen Täter bemühe, so kann man doch die Hartnäckigkeit und lustvolle Grausamkeit ihrer Gemetzel nicht ignorieren.''

Klar und Mohnhaupt: Ihre Haftentlassung kann und wird ,,gewiss nicht allen gefallen'', prognostiziert Klaus Kinkel. Bubacks Sohn, der Göttinger Chemieprofessor Michael Buback, sagt: ,,Ich bin froh, dass Angehörige nicht beteiligt sind an Begnadigungen. Das müssen

andere tun, die eher eine Prognose abgeben können über die Frage, ob noch Gefahr von einem Täter ausgeht oder nicht.'' Klaus Kinkel ist der Überzeugung, dass sich die Stärke des Staates in solchen Gnadenakten zeige. Dies war auch die Überzeugung Richard von Weizsäckers, der als erster Bundespräsident Ex-Terroristen begnadigte, der Einsicht folgend, dass die Eingliederung ehemaliger Terroristen in die Gesellschaft die beste Chance gegen die Terroristen von heute ist.

© SZ vom 23.01.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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